#Barack Obama

Mitt Romney und der mormonische Moment

von , 5.3.12

Der Aufstieg des ehemaligen Gouverneurs von Massachusetts ist beispielhaft für die wachsende Bedeutung der im US-Bundesstaat Utah beheimateten „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“. Während sie in Deutschland mit weniger als 40.000 Mitgliedern unter ferner liefen rangiert, verzeichnet sie in den USA ein Wachstum wie keine zweite Religionsgemeinschaft und ist dabei selbst für amerikanische Maßstäbe von kaum zu überbietender Skurrilität.

Mit 14 Jahren will der Religionsstifter Joseph Smith von Gott und Christus zum Propheten berufen worden sein, bevor er 1830 die Mormonen gründet. Der Engel Moroni führte ihn zum verborgenen Buch Mormon – dem Evangelium für die Amerikaner, dessen Neuaufrichtung sich Smith fortan widmet. Der Mormonismus ist gewissermaßen Amerikas ureigene, indigene Religion: Den Garten Eden verorten seine Anhänger in Jackson County, Missouri. Auch Jesus Christus scheint es die Region angetan zu haben. Jedenfalls soll er bei einem Amerikabesuch nach seiner Auferstehung angekündigt haben, bei seiner Wiederkunft auf die Erde hierhin zurückzukehren.

Bis es so weit ist, steuert ein Rat von 12 Aposteln von Salt Lake City aus einen aggressiven, auch wirtschaftlich äußerst erfolgreichen Wachstumskurs, im Zuge dessen zentrale theologische Bastionen der Vergangenheit, wie die Erlaubnis zur Polygamie, geschleift wurden. 14 Millionen Gläubige gibt es weltweit bereits, sechs davon in den USA – das sind jede Menge Wähler und Wahlkampfhelfer für Mitt Romney, dem laut Umfragen fast 90 Prozent seiner Glaubensgenossen positiv gegenüber stehen. Doch Mormonen machen nur rund ca. zwei Prozent der Gesamtbevölkerung aus. Und ob sich die restlichen Anhänger der Republikaner, auf deren Mobilisierung es im Herbst beim Duell mit Barack Obama ankommen wird, dazu bewegen lassen, für einen Mormonen zur Wahl zu gehen, ist nicht ausgemacht.

Mit dem Aufstieg Mitt Romneys rückt jedenfalls die gesellschaftliche Sonderrolle der Latter-Day Saints in den Fokus der Aufmerksamkeit eines Landes, in dem zwischen Politik und Religion seit jeher eine für europäische Verhältnisse eigentümliche Symbiose besteht. Vor allem wertkonservative Anhänger evangelikaler Kirchen hegen trotz Übereinstimmung in gesellschaftspolitischen Fragen Vorbehalte gegen die Mormonen (und unterstützten bei den Vorwahlen überwiegend Rick Santorum). Während der Fundamentalismus der christlichen Rechten in Washington so etabliert ist, dass er Politik, Rhetorik und Personalentscheidungen der Republikaner prägt, vollzog sich ihr Aufstieg leise. Dabei prägen die Heiligen der Letzten Tage seit Jahrzehnten an verantwortlichen Positionen in Kongress, Militär oder auch FBI die Geschicke des Landes mit. Und nun der „Mormonen-Moment“ (Newsweek)? Der Aufstieg zur ganz normalen protestantischen Glaubensgemeinschaft?

Unwidersprochen bleibt das Diktum des Mormonen-Apostel Orson Pratt, demzufolge die Verfassung der Vereinigten Staaten, die Regierung und alle Gesetze letztlich „vom Allmächtigen ausgehen und durch Inspiration von ihm zum Menschen gekommen“ sind. Schon fragen Kritiker wie der Yale-Professor Harold Bloom, inwieweit solche Auffassungen Romneys Denken und Handeln als gewählter Präsident beeinflussen würden und wie er die 98 Prozent Nicht-Mormonen in den USA repräsentieren könne. Kein Wunder, dass Romney versucht, seinen Glauben aus dem Wahlkampf rauszuhalten. Doch ohne Bekenntnis zum Glauben, ohne religiöse Symbole und Metaphorik wird es nicht gehen in einem Wahlkampf, in dem auch Barack Obama immer wieder seinen christlichen Glauben betonen muss. Viel wird davon abhängen, ob es Romney gelingt, eine eigene Sprache zu finden, die die religiös-theologischen Differenzen transzendiert.

Eine Offensivverteidigung wie die Obamas, der sich 2008 mitten im Wahlkampf durch skandalträchtige Äußerungen seines ehemaligen Pastors, des Reverend Jeremiah Wright Jr., in die Enge gedrängt sah und die Situation für eine Grundsatzrede über Religion und Rasse nutzte, ist von Romney nicht zu erwarten. Wie ihm überhaupt eine stimmige, konsistente Botschaft zu fehlen scheint. An den Managementkompetenzen des zweifachen Harvard-Absolventen gibt es kaum Zweifel. Darüber, wofür er sie einsetzen würde, indes schon.

Zu oft hat Romney, der seine politische Karriere als Kandidat der Mitte startete, zu Themen wie Abtreibung, Stammzellenforschung oder der staatlichen Krankenversicherung, die er einst selbst für Massachusetts einführte, seine Meinung geändert. Aus wahltaktischen Gründen schloss er sich schließlich dem sozialkonservativen Flügel der Republikaner an. Romneys Glaube, der kaum weiter vom Christentum abweicht als viele protestantische Strömungen, mag in einem ethnisch und religiös diversifizierten Land kein Ausschlusskriterium mehr sein. Opportunismus als Programm schon eher.  Schließlich müsste Romney noch eine zweite Hürde überwinden: seinen liberalen Heimatstaat. Noch nie hat Massachusetts einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten produziert. Allerdings hält die Geschichte noch eine andere Lektion bereit: denn der letzte Präsident aus Massachusetts war John Kennedy – der erste Katholik im Weißen Haus.

Dieser Text basiert auf einem am 3. März erschienenen Meinungsbeitrag in der österreichischen Tageszeitung Der STANDARD.

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