##btw13

Merkel und Steinbrück

von , 22.4.13

Samstag beim taz.lab, moderiert von Ulrich Schulte. Angekündigt war zum Stichwort politische Rhetorik die Frage, warum die Bürger in den politischen Reden nicht mehr vorkommen: Das verweigerte Gespräch. Ich verzichtete auf einen einleitenden kurzen Vortrag und Ulrich Schulte provozierte mich gekonnt. Das Publikum fühlte sich gut unterhalten. Ich trage hier nach, was ich an Notizen vorbereitet hatte.

Frau Merkel ist wie ein Kind, das die Lieblingsspielzeuge der andern Kinder auseinandernimmt und neu zusammensetzt. Reden sind für die Bundeskanzlerin ein langer breiter Fluss. Wo er entspringt und wo er mündet, lässt sie kalt. Ihre Ziele hält die Bundeskanzlerin aus Überzeugung gerne offen. Im Falle der Bundeskanzlerin gilt für das Protokoll des Bundestags auch das ungesprochene Wort. Die Leere von Merkels Sprache ist ein mimetischer Trick. Undurchdringlich, indifferent die Sprechmaschine fast wie im Leerlauf abspulen lassen, das ist ihre Devise, um die tiefe Politik abzuschirmen. Ihre Sprache ist aus Vorsatz und mit Bedacht ungenau. Ausnahme: Ihre Rede anlässlich der Verleihung der Freiheitsmedaille durch Barack Obama.

In Merkels Reden finden Absicht, Anlass, Worte und Vortrag nur widerwillig zusammen. Ihre Reden erlauben keine Beobachtungen, die Einfluss auf ihre Realität nehmen könnten. Wenn Frau Merkel über die Zukunft redet, gestaltet sie ihre Vergangenheit. Frau Merkels Credo? “Ich bin, die ich sein werde.” (Exodus 3,14) Säkularisiert: Ich bin die Zukunft unseres Landes, ganz gleich, in welche Richtung das führt. Das Rennen zwischen Igel und Hase spielt sie gegen oder mit sich selbst: Ick bün all dor.

Angela Merkels Misstrauen gegenüber dem politischen Reden hat eine eigene Geschichte. Sie setzt auf Indifferenzprosa. In einer Zeit, in der nichts mehr sicher ist, will sie beim Reden auf Nummer sicher gehen, alle Freiheiten offen halten.

Die Analyse von Merkels Reden erfordert ein reverse engineering, um den Aufwand zu rekonstruieren, der tatsächlich in den Reden steckt. Merkel ist eine genuin postheroische Politikerin. Sie verweigert pathetisches Reden. Ziele und Überzeugungen gefährden den Machterhalt. Ihr politisches Management hält Möglichkeitsräume offen, so klein sie sein mögen. Die nüchterne politische Rhetorik der Bundeskanzlerin dehnt auch kleinste Möglichkeitsräume aus.

Das Axiom der Bundeskanzlerin “Scheitert der Euro, scheitert Europa” erweckte anfangs den Eindruck eines Versprechens: Dazu darf es nicht kommen. Heute klingt er wie eine nüchterne wenn-dann-Feststellung.

Der Staatsrechtler Carl Schmitt hat einmal geschrieben: “Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand gebietet.” Auf Merkel bezogen muss es heißen: “Souverän ist, wer den Ausnahmezustand als Normalität maskiert.” So etwas birgt das Risiko einer Enttäuschungsimplosion.

Jürgen Trittin über Angela Merkel: “Selbst da, wo Sie mal etwas Richtiges machen, machen Sie es verkehrt. Damit ist Ihre Haltung eigentlich noch freundlich beschrieben.”

Peer Steinbrück dagegen: Ein Mann der Exekutive. Ein Spieler. Ein Krimileser. Ein Pointenliebhaber. A loose cannon on board. Einer, der in spieltheoretischen Konstruktionen intuitiv operieren kann. Ein Politiker, den die Idee des Kontrollverlustes herausfordert. Ihn zieht es in die Gefahr, wie die Kreissäge den Holzarbeiter auf die Probe stellt. Kürzlich erst hat er eine gute Gelegenheit für ein tiefes Schweigen genutzt.

Wenn Peer Steinbrück das nächste Mal nach Washington fährt, sollte er einen Termin mit David Axelrod in einer kleinen Bar am Dupont Circle ausmachen und mit ihm über Padillo und McCorkle reden, oder über eine kleine schmutzige Wahl in Westafrika. Axelrod könnte Ross Thomas, Steinbrücks Lieblingskrimiautor, persönlich gekannt haben.

Steinbrück in einer Bundestagsdebatte zu Frau Merkel:
 

Frau Bundeskanzlerin, Sie müssen nicht ganz so angefressen reagieren, wenn es zu einem gewissen Rumoren – und nicht nur zu einem Stillhalten – auf einigen Oppositionsbänken kommt, wenn Sie Einlassungen wie “Jahr des Vertrauens“ von sich geben. Ein Teil dieses Parlaments empfindet das als eine Wortblase und darf dies auch zum Ausdruck bringen. (…) Das betrifft auch die Begrifflichkeit “Herbst der Entscheidungen“. Nicht alle Parlamentarier müssen stillhalten, wenn Sie solche Begriffe in Ihre Rede einspannen.

 

Der Gegensatz könnte kaum größer sein.

Was dabei außer Acht bleibt: Beide sind sich ähnlich. Nur versteckt die Kanzerlin mit Bedacht, was Steinbrück zum Leidwesen der Genossen zu viel zeigt.

Umgekehrt ist es genauso.

 
Crosspost vom Rhetorikblog

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.