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Mehr Werbung wagen: Paid Content wird Online-Medien nicht helfen

von , 17.3.10

Die digitale Medienwelt im Internet hatte man sich eigentlich anders vorgestellt. Eine blühende Landschaft voller Blogs, Online-Magazine und digitaler Zeitungen, die großartigen Content produzieren und diesen kostenlos anbieten können, weil sich das alles mit Werbung finanzieren lässt.

Die Realität im Jahr 2010 sieht anders aus. Neue Medien und Zeitungsverlage hadern gleichermaßen mit den (Un-)Möglichkeiten einer auskömmlichen Werbefinanzierung im Internet. Der gordische Knoten ist noch nicht durchschlagen. Im Gegenteil, er nimmt immer absurdere Formen an.

Nervös werdende Blogger kürzen ihre RSS-Feeds, während Medienhäuser über Paid Content nachdenken und die Idee eines Leistungsschutzrechts verfolgen. Leistungsschutz klingt dabei stark nach “Denkmalschutz” im Sinne der Wahrung alter Geschäftsmodelle und der Meinungsmacht oligopolistischer Strukturen, die neue und innovative Stimmen und Formate möglichst klein halten wollen.

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"It's not the lousy pennies on the web but your lousy creativity. Try harder!"

Erstaunlich daran ist, dass in dieser ja nicht völlig neuen Situation, so wenig über die Rolle der Werbung und innovative Werbeformate nachgedacht wird. Stattdessen wird bis zum Überdruss über Qualitätsjournalismus, Kulturflatrates, Paid Content oder das ominöse Leistungsschutzrecht diskutiert. In diesem Kontext erscheint die Werbung wie eine lästige Begleiterscheinung oder das ungeliebte Kind, über das man nicht gern spricht und womit auch keine Meriten zu verdienen sind.

In den Medien geht es immer um das Große, Ganze: Den Content und nicht zuletzt die Demokratie. Für den Anzeigenverkauf, Media-Agenturen oder Affiliate-Netzwerke bleibt da kein Platz in der Diskussion, obwohl mit ihnen fast die ganze Branche steht oder fällt.

Merkwürdig still ist es übrigens auch an der Front der Blogs in Deutschland. Hat man dort nicht eine eigene Agentur bzw. ein Joint Venture zur (besseren) Vermarktung gegründet? Von Adnation hört man nicht mehr viel, außer vielleicht dass dessen Kopf, Sascha Lobo, gerade wenig Zeit hat, weil er ein neues Buch fertig schreiben, für die Wirtschaftswoche die Weisheit der vielen bündeln und zuletzt auf der CeBIT und bald schon auf der re:publica Hof halten muss. Da bleibt offenbar wenig bis keine Zeit mehr für die Vermarktung von Blogs – und die Blogger, ein sonst durchaus streitbares Volk, nehmen es (resigniert?) hin.

You get lousy pennies on the web

Das Thema scheint abgehandelt, große und kleine Adressen wirken seltsam einig. Der Verleger Hubert Burda hat mit einem denkwürdigen Satz im Januar 2009 die Lage gut beschrieben und damit die Behauptung aufgestellt, dass das Anzeigengeschäft im Internet nicht funktioniere. Damit hat er natürlich irgendwie recht. Denn die Verlage haben bislang kaum viel mehr versucht, als ihr altes Modell der (plakativen) Werbeanzeige auch in die neuen, digitalen Formate zu übernehmen.

Die kleinen Flächen, die sie in irgendwelchen Randspalten ihrer Medien der Werbeindustrie anbieten, sollten es richten und können es nicht. Warum auch soll ein Werbekunde für eine wenige Quadratzentimeter große Fläche ähnlich viel bezahlen wie für eine ganz- oder doppelseitige Anzeige in einer Zeitung bzw. Zeitschrift?

Dazu kommt speziell bei den Zeitungen der Verlust der (in der Summe sehr lukrativen) Kleinanzeigen, die im Internet auf eigenen Plattformen wesentlich effizienter funktionieren. Große Medienhäuser haben sich zwar längst wieder in dieses Geschäft eingekauft. Nun stehen sie aber vor der Frage, ob sie über den Weg der Quersubventionierung ihre Nachrichtenmedien stützen sollen, oder ob jede Unternehmenseinheit strikt für sich als Profitcenter zu arbeiten hat.

Innovationen finden woanders statt

Das entscheidende Problem ist, dass in Sachen Werbung zu wenig Neues probiert wurde und bis heute kaum ein Verlag hier innovativ zu denken bereit ist. Das erstaunt, wo es doch um sehr viel Geld geht. Inzwischen machen andere vor, wohin die Entwicklung gehen könnte.

Facebook beispielsweise dachte sich das Konzept der Fanseite aus. Technisch betrachtet ist das nicht viel mehr als eine Profilseite, nur eben nicht für eine Person, sondern eine Marke bzw. Institution. Ohne das Konzept hier ausführlich diskutieren zu wollen, muss doch die Frage gestellt werden, warum etwas Vergleichbares nicht auch bei den Verlagsangeboten gemacht wird.

Warum muss eine Zeitung im Netz unbedingt wie eine gedruckte Zeitung funktionieren? Warum kann sie sich nicht eher am Konzept der Social Networks orientieren? Dann würde jeder (registrierte) Leser – ähnlich wie bei Facebook – eine Art News Feed sehen, in den primär die Artikel der Zeitung, aber natürlich auch Meldungen seiner Fanseiten eingingen. Der Leser hätte damit ein personalisiertes Nachrichtenmedium und die Zeitung selbst neben der Bannerwerbung ein zweite Einnahmequelle aus den Fanseiten. Denn anders als bei Facebook müssten diese Seiten nicht kostenlos angeboten werden.

An anderer Stelle zeigt Google, was man in Zukunft noch unter Werbung verstehen kann: In den USA wird dazu im Rahmen der Product Search ein Dienst eingeführt, der anzeigen kann, in welchem Geschäft ein vom Kunden gerade gesuchtes Produkt tatsächlich vorrätig ist. Google schaut damit buchstäblich “hinter” die klassische Werbeanzeige und sieht die vollständige Wertschöpfungskette vom Hersteller bis zur Verfügbarkeit eines Produktes im Handel.

Wenn aber Google so tief blicken kann, warum nicht auch deutsche Verlage? Für sie müsste es doch sehr lukrativ sein, für das mobile Web spezielle Content-Bundles zu entwickeln, die Nachrichten mit Werbung ortsspezifisch verknüpfen. Gerade für Regionalzeitungen dürften sich solche Location Based Services lohnen. Schaut man aber, wie diese Medien sich bislang im Internet präsentieren, sieht man, dass der Weg dorthin noch weit ist.

Doch hängen nicht alle süßen Früchte so hoch, dass man sie nur mit Bataillonen an Informatikern erreichen könnte, wie sie bei Facebook oder Google verfügbar sind. Auch die konzertierte Blogvermarktung in Deutschland könnte längst weiter sein, als das viele wahrhaben wollen.

Denn das weite Feld der Online-Werbung ist noch längst nicht so gut erschlossen, wie die ständigen Meldungen über die hohen Wachstumsraten des Anzeigenvolumens glauben lassen, weil dieser Markt bislang überwiegend von großen Adressen genutzt wird, während viele kleine bzw. mittelständische Unternehmen noch nie online für sich geworben haben. Weite Teile dieses Marktes sind also noch wenig erschlossen. Die Frage lautet hier: Wer führt die vielen kleineren Unternehmen ins Online-Werbezeitalter?

Weitgehend brach liegt daneben auch der Bereich der Werbung in Echtzeit, weil das digitale Anzeigengeschäft bislang stark in Analogie zum Printbereich entwickelt wurde und deshalb mit zum Teil umständlich langen Vorlaufzeiten arbeitet.

Im schnelllebigen Internet sollte es eigentlich möglich sein, dass ein Anzeigenkunde seine Anzeige bei Bedarf täglich auswechselt. Darauf aber ist noch kaum jemand in der Branche eingestellt und der Werbetreibende, der rasch eine neue Botschaft verbreiten möchte, tut sich damit auf Social Networks wie Facebook oder Twitter viel leichter, als mit seinen traditionellen Werbepartnern. Deren Trägheit treibt die Werbung geradezu in die Arme neuer Anbieter und lässt die alten Kanäle langweilig erscheinen.

Das aber kann nicht im Interesse von Verlagen bzw. Blogs sein. Sie müssen künftig deutlich aktiver und kreativer werden. Das Warten auf Impulse aus dem Dickicht an Agenturen und Dienstleistern auf dem Feld der Werbung ist der falsche Weg. Die Medien der Zukunft müssen sich hier selbst Kompetenzen aufbauen und auf Augenhöhe mit Google oder auch Apple agieren können.

Applikationen

Paid Content, speziell in Form von Applikation auf dem iPad, das scheint derzeit wohl der große Hoffnungstraum in vielen Medienhäusern zu sein. Selbst Rupert Murdoch äußerst sich fast schon euphorisch und könnte sich doch noch wundern. Denn rund um die kleinen Programme sind noch viele Fragen offen.

Bislang sind sie fest an einen bestimmten Plattformträger gebunden. Wer also auf einem iPhone eine App kauft, kann diese ausschließlich dort nutzen. Für den Content von Verlagen ist das aber unpraktisch, da die Leser bestimmte Inhalte sicher nicht nur auf einem ganz bestimmten Gerät werden lesen wollen. Dazu kommt, dass man die Hardware öfter gegen etwas Neues ersetzt und dabei vielleicht auch mal die Plattform wechseln will: Heute Apple, morgen Google und übermorgen Microsoft.

Dass die damit verbundenen Fragen nicht ganz trivial sind, zeigen die Erfahrungen der Musikindustrie (etwa mit dem Digital Rights Management) oder das noch immer in den Kinderschuhen steckende Geschäft mit E-Books. Zu viel Geschlossenheit auf der Ebene der Plattformen bremst das Geschäft und fördert bestenfalls das Filesharing.

So interessant und nützlich Applikationen grundsätzlich sind, so sehr sind sie der falsche Weg in Bezug auf mediale Inhalte. “Seit es das Netz gibt, ist für die Medien alles Netz“, schreibt Thierry Chervel (Perlentaucher) und macht damit deutlich, dass im Internet früher oder später alles – also Bücher, Zeitschriften, Zeitungen und Blogs – “synaptisch” wird, weil Links, Tags und Kommentare alles mit allem (organisch) verbinden. Eine Medien-App wirkt dagegen wie eine mittelalterliche Ritterburg, die sich nach allen Seiten abschottet.

Denkt jemand an die Leser?

Die Leser wollen im Internet ganz überwiegend keinen Paid Content. Wenig überraschend belegt dies aktuell eine Studie des Pew Research Center für die USA. Wie die Menschen stattdessen denken, belegt sehr schön ein Zitat von Marco Ament, dem Entwickler von Tumblr und Instapaper:

“Publishers can do whatever they want. If you don’t like it, don’t send them nasty emails or browse their sites with adblockers: just don’t support them. Don’t read their content, don’t link to them, and don’t talk about them. Since money’s usually not involved, vote with your attention and read elsewhere.”

Der Trend ist klar: Leser im Netz folgen immer weniger einzelnen Leitmedien, sondern mäandern durch die Fülle des Angebots und lassen sich dabei von Empfehlungen aus dem Freundeskreis sowie von Meinungsführern auf Social Networks leiten. Nicht mehr der passive und stumme Konsument bestimmt das Bild, sondern zunehmend partizipativ und vernetzt denkende Akteure, die eben noch in der Rolle des Lesers, schon im nächsten Augenblick selber Medium sein können, weil sie Impulse weitertragen und durch eigene Ideen anreichern.

Not lousy pennies but lousy creativity

Dem Votum der Leser sollten sich die Medien stellen. Weder Bezahlschranken noch ein Leistungschutzrecht können den Zug der Zeit aufhalten. Die Werbung muss und kann es richten. Die scheinbare Unmöglichkeit, Medien im Internet mittels Werbung zu finanzieren, ist ein Fehlurteil. Die bisher gesehene Online-Werbung kratzt nur an der Oberfläche dessen, was eigentlich möglich wäre und Herrn Burda möchte man zurufen: It’s not the lousy pennies on the web but your lousy creativity. Try harder!

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