#Bundestag

Mehr Demokratie-Debatte ins Parlament!

von and , 27.3.15

Im Umfeld der Bundestagswahl im September 2013 wurde mehrfach eine Demokratie-Enquete angeregt, die sich der Weiterentwicklung unseres demokratischen Gemeinwesens widmen sollte. Dieses leidet seit Längerem an sehr unterschiedlichen Entwicklungen, die sich negativ auf seinen Zusammenhalt auswirken. Die Wahlbeteiligung auf allen staatlichen Ebenen sinkt, die Mitgliederzahlen insbesondere der Volksparteien nehmen ab und das Vertrauen in die politischen Entscheidungsträger des Landes schwindet spürbar. Gerade dem Deutschen Bundestag, als einziges Verfassungsorgan auf Bundesebene direkt gewählt, wird besonders wenig Vertrauen und zugleich immer weniger Aufmerksamkeit zugesprochen.

Zudem sind es vor allem bildungsferne und einkommensschwache Gruppen in der Bevölkerung, die sich von der Politik abwenden und unser Gemeinwesen auf den Weg in die „Zwei-Drittel-Demokratie“ schicken. Ohne den Begriff der Krise überstrapazieren zu wollen, kann man an unserem politischen Gemeinwesen Tendenzen konstatieren, die Partizipation, Repräsentation und Inklusion als Kernfunktionen der Demokratie angreifen.

Dies darf jedoch nicht als pauschaler Rückzug ins Private missverstanden werden, denn Umfragen und praktische Erfahrung belegen, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung ein höheres Maß an politischer Beteiligungs- und Mitsprachemöglichkeit gerade auch außerhalb von Wahlen wünscht. Hierbei geht es um eine breit verstandene bürgerschaftliche Teilhabe, die sich in zahlreichen, höchst unterschiedlichen Partizipationsformen niederschlägt. Dazu gehören deliberative, dialogorientierte Verfahren, die den Menschen die Gelegenheit geben, Einfluss auf die politische Willensbildung und somit auch auf die Entscheidungsvorbereitung zu nehmen. Die Enquete-Kommission des rheinland-pfälzischen Landtags hat dazu eine Reihe von Vorschlägen unterbreitet und dabei auch die Rolle des Staates diksutiert. Dieser wird in Zukunft viel stärker in einer moderierenden Rolle neutrale Beratung zu rechtlichen Rahmenbedingungen und Spielräumen von direkten und konsultativen Beteiligungsverfahren anbieten müssen.

Zudem kommt direktdemokratischen Entscheidungsverfahren eine immer größere Rolle zu, entweder mit beratender oder mit unmittelbar bindender Wirkung. Mit der Ergänzung und Erweiterung der repräsentativen Entscheidungsmechanismen durch deliberative und direktdemokratische Elemente verändert sich auch die Rolle des Staates, der zunehmend eher moderierend wirkt und Beratungsangebote zu den rechtlichen Rahmenbedingungen sowie den Spielräumen direktdemokratischer wie deliberativer Entscheidungsverfahren offeriert.

Trotz Ausweitung der bürgerschaftlichen Einflussmöglichkeiten lässt sich insgesamt ein Vertrauensverlust der Menschen in unser politisches System, den demokratischen Entscheidungsprozess und dessen Allgemeinwohlorientierung attestieren. Auch wenn gerade auf Landesebene darüber diskutiert wird, Quoren für Bürgerbegehren abzusenken, auf kommunaler Ebene viele Beteiligungsformen, wie z.B. Bürgerhaushalte, ausprobiert werden, wird Politik von vielen als etwas empfunden, auf das sie keinen Einfluss haben. Viele Fragen werden von einer wachsenden Zahl von Bürgerinnen und Bürgern gar nicht mehr als politisch bzw. politisch beeinflussbar wahrgenommen. Das in der Vergangenheit immer wieder geäußerte Postulat, bestimmte Politiken seien „alternativlos“, hat dieses Gefühl mangelnder Einflussmöglichkeiten noch verstärkt.

Weiter untergraben wird das Vertrauen in die Ausgewogenheit unseres politischen Entscheidungssystems durch die Intransparenz, die die Einflussversuche vermeintlich wirkmächtiger Lobbygruppen auf Politik und Parlamente umgibt. Politik lebt jedoch vom Vertrauen der Menschen, dass die von ihnen gewählten Volksvertreter in politischen Entscheidungsprozessen sorgfältig zugunsten des Allgemeinwohls abwägen, und von der Qualität der politischen Ergebnisse, in die diese Entscheidungsprozesse münden. Der Vertrauensverlust trifft somit direkt die Legitimation von Politik.

Mittlerweile gibt es eine Reihe höchst unterschiedlicher Vorschläge, wie die demokratische Qualität unseres Gemeinwesens wieder gestärkt werden kann. So kann der Ausbau von deliberativen Partizipationsmöglichkeiten unterhalb von Volksentscheiden dazu führen, das zweifellos vorhandene Engagement der Bevölkerung für Information, Meinungsbildung und Beteiligung zu nutzen und Projekte dadurch gemeinsam voranzubringen oder auch anzustoßen. Und auch wenn man bei Volksentscheiden und Volksbefragungen deren soziale Selektivität mitzudenken hat, schlummert hinter diesen Entscheidungsmechanismen ein noch zu wenig genutztes Potenzial. Dies kann man beispielsweise an den eindeutig entschiedenen Volksentscheiden zum Nichtraucherschutz in Bayern, zum Bau von Stuttgart 21 in Baden-Württemberg oder zur Nichtbebauung des Tempelhofer Felds in Berlin erkennen, von denen trotz unterschiedlicher Ergebnisse eine jeweils sehr befriedende Wirkung ausgegangen ist (beispielhaft sei hier auf den Aufsatz von Blumenberg und Faas zu Stuttgart 21 verwiesen).

Zur Frage, wie man das Zusammenwirken von Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Zivilgesellschaft in der Formulierung und Umsetzung politischer Entscheidungen in transparentere Strukturen als bislang einbetten kann, existieren ganz unterschiedliche Ideen, die einer intensiveren Betrachtung wert wären, darunter etwa verpflichtende Offenlegungspflichten in Verbindung mit anreizgestützten und sanktionierbaren Verhaltensrichtlinien. Gleiches gilt für Maßnahmen zur Stärkung der Wahlbeteiligung sowie zur Frage, wie Volksparteien auf ihre zurückgehende Bindekraft reagieren sollen. Insbesondere diese suchen mittlerweile wieder verstärkt den direkten Dialog mit den Menschen vor Ort in ihrer Nachbarschaft. Dort laden sie zum Mitmachen ein, bieten vermehrt Hilfe zur Selbsthilfe anstatt standardisierter Problemlösungen an und reagieren damit unmittelbar auf die geänderten Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger an demokratische Mitbestimmung und die Aufgabenwahrnehmung von Parteien.

Darüber hinaus wäre zu hinterfragen, ob Legitimität und Repräsentativität des demokratischen Prozesses nicht auch dadurch gesteigert werden könnten, dass man dauerhaft bei uns lebenden Menschen, die nicht oder noch nicht über die deutsche Staatsangehörigkeit verfügen, das vollständige, aktive wie passive Wahlrecht auf Landes- wie auf Gemeindeebene einräumt, zumal dies ihre Integration in unser Gemeinwesen beflügeln dürfte.

Vertrauen, Teilhabe und Transparenz sind die Schlüsselwörter einer Debatte um die Weiterentwicklung und Stärkung unseres demokratischen Gemeinwesens, die zu einer besseren Legitimation von Politik beiträgt. Bislang ist diese Debatte aber noch nicht wirklich im Deutschen Bundestag angekommen, dem Herzen unserer Demokratie und unseres repräsentativen Regierungssystems. Im Umfeld der zurückliegenden Bundestagswahl stand der Vorschlag einer Enquete-Kommission zur Weiterentwicklung unserer Demokratie im Raum, den sich das Parlament jedoch bisher nicht zu eigen gemacht hat. Dies sollte überdacht werden, ist doch eine solche Kommission die zentrale Chance, sich den vorhandenen Entwicklungen zu stellen. Deutschland braucht in seinem Parlament endlich eine breite Debatte über die Ursachen für die abnehmende Partizipation, die sinkende Repräsentation und die steigende Exklusion unserer Institutionen. Ziel muss es sein, im breiten parlamentarischen Konsens Vorschläge für die Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems zu entwickeln. Noch ist die Legislaturperiode jung genug dafür, diese Debatte zu starten.

Der Text gibt ausschließlich die persönliche Meinung der beiden Autoren wieder und greift Gedanken auf, die auch dem jüngst erschienenen Beitrag „Vertrauen, Teilhabe und Transparenz. Werte und Legitimation von Politik“ beider Autoren in dem von Christian Krell und Tobias Mörschel herausgegebenen Sammelband „Werte und Politik“ (2015, Wiesbaden: Springer VS: 169-191) zugrunde liegen.

 


Dieser Beitrag ist der sechste Teil der Reihe „Agenda 2030 – Parteien auf der Suche nach Zukunft“, die Carta in Kooperation mit dem Progressiven Zentrum durchführt. Autoren des Berliner Think Tanks diskutieren regelmäßig Thesen und Ideen zur Veränderung der politischen Parteien in Deutschland.

Alle bisherigen Beiträge der Reihe befinden sich im dazugehörigen Dossier, das Sie hier finden.

Ausgangspunkt ist das Projekt „Legitimation und Selbstwirksamkeit: Zukunftsimpulse für die Parteiendemokratie“, ein Gemeinschaftsprojekt der Heinrich-Böll-Stiftung, der Konrad-Adenauer-Stiftung und des Progressiven Zentrums. Das Projekt sucht interdisziplinär und ideengeleitet nach Ansätzen, wie Parteien auch in Zukunft ein relevantes Organ der politischen Meinungs- und Willensbildung sein können. Die gemeinsamen Diskussionen im Rahmen des Projekts, insbesondere innerhalb der Projektgruppe von acht Visiting Fellows, ist eine wichtige Grundlage des hier veröffentlichten Textes.


 

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