#Altersstruktur

Mehr als mal eben meßbar · Politische Kommunikation in Facebook

von , 13.10.12

Stephan Eisel attestiert bei der Konrad-Adenauer-Stiftung Facebook »vor allem im politischen Bereich nur eine relativ begrenzte Reichweite«. (Erstveröffentlichtung in seinem Blog.) Dazu nimmt er die Zahl der Facebook-Nutzenden auseinander und relativiert sie deutlich; die Zahl wird künstlich durch Nutzung auf mehreren Geräten und an mehreren Orten sowie durch Fake-Profile und tote Accounts hochgetrieben. Sein eigentliches Argument ist, daß die verbleibenden echten, aktiven Leute wenig über Politik reden.

An drei eindeutig bestimmbaren, nach Commitment und Aussagekraft aufsteigend sortierten Kennzahlen macht Eisel politisches Interesse fest: Verbindungen über »Gefällt mir«, Verbindungen über Freundschaften und die von Facebook berechnete Zahl der »Personen, die darüber sprechen«. Mit der Analyse dieser Zahlen sieht er seine These belegt, Facebook biete nicht genügend Reichweite für die Nutzung in der politischen Kommunikation, die Anwender seien in der Breite politisch desinteressiert:

In der Ansprache von Bürgern durch zentrale Angebote ist die Reichweite von Facebook also außerordentlich begrenzt. Innerhalb der dort überhaupt erreichbaren politisch interessierten Minderheit liegen die interessanteren Möglichkeiten im dezentralen Bereich. Hier kann es beispielsweise der einzelne Bundestagsabgeordnete auf durchaus beachtliche „Fan-Zahlen“ bringen.

Ich halte Eisels Schlußfolgerungen nicht für zutreffend – weil schon die Kriterien der Analyse nicht zutreffen, und zwar technisch wie inhaltlich. Das sagt viel über das zugrunde liegende Bild von Politik, politischer Kommunikation und Politik überhaupt aus.

Wirklich meßbar sind – das schreibt Eisel auch, hinterfragt es aber nicht – nur zentrale Angebote. (Und auch die offiziellen Accounts von Berufspolitiker_innen sind zentrale Angebote – bei Eisel wird streng zwischen sendendem und empfangendem Ende unterschieden, persönliche Accounts von Nichtpolitiker_innen werden nicht als Akteur_innen aufgefaßt.) Die Metrik »Personen, die darüber sprechen« kann nur messen, was explizit mit einem offiziellen Angebot verbunden wird: durch eine direkte Interaktion mit einer Fanseite (Like-Klick, Kommentar, Empfehlung) oder eine explizite Markierung. (Fanseiten werden im Status per @ verlinkt, eine recht hochschwellige und unintuitive Form der Interaktion – bei Personen wird nach Eingabe der ersten paar Buchstaben automatisch ein Eingabefeld angezeigt.)

Heraus fallen alle anderen Formen der politischen Kommunikation: Die Diskussion von Personen, Institutionen und Themen ohne einen expliziten Bezug zur zugehörigen Fanseite, das Weitergeben und Diskutieren von politischen Inhalten, die Koordination von politischem Handeln durch Gruppen, Chats, Nachrichten, Veranstaltungen, Status-Updates und Diskussionen. Das ist nicht quantitativ meßbar, selbst mit dem vollständigen Datenbestand Facebooks bräuchte es zur wirklich umfassenden Analyse und Bewertung eine qualitative Auswertung des gesamten Beziehungsgeflechts. Soziale Netze werden nicht primär als top-down organisierte zentrale Informationsverteiler genutzt – auch wenn sie dafür oft besser geeignet sind als die etwa Parteihomepage – stattdessen handeln Menschen politisch. Die Anti-ACTA-Proteste wurden (auch) in Facebook-Gruppen koordiniert; Infografiken und Meme mit politischen Inhalten werden verbreitet, von formalen Parteigliederungen unabhängige politische Fanseiten und -Gruppen werden von Leuten ohne jegliche formale Legitimation betrieben. Sogar recht einfach meßbar wäre das Teilen von journalistischen Inhalten zur Politik.

Wird all das ausgeblendet, ist es natürlich einfach, der Facebook-Klientel pauschal »begrenztes politisches Interesse« zu unterstellen. Eventuell stimmt das für die Klientel der Adenauer-Stiftung, die mutmaßlich qua Alter und Lebenswelt weniger in Facebook präsent ist, so daß eine konservative Facebook-Bubble weniger politisch interessiert wirkt, weil nichtpolitische Kontakte dominieren; aber selbst die Unionsklientel wurde spätestens mit der Guttenberg-Solidarisierungswelle, die eben doch kein Astroturfing war, auch in Facebook sichtbar politisch aktiv.

Wenn die offiziellen Angebote nicht die zentralen politische Informationsknotenpunkte sind – auch nicht für die eigenen Leute -, dann sagt das genau das: Sie sind es nicht. Nicht, daß es sie nicht gibt, nicht, daß das politische Interesse generell nicht da ist – und auch nicht, daß es so etwas überhaupt geben muß, um politische Kommunikation zu haben. (Als Teil eines Haushalts, in dem die zentrale, offiziöse Printkommunikation mehrerer Parteien, Verbände und einer Kirche aufschlägt, scheinen mir solche vermeintlich wichtigen Informationsknotenpunkte ohnehin nicht unwichtig genug einzuschätzen zu sein.)

Auch hier greift wieder die Diagnose, daß es nicht um »Politikverdrossenheit« geht, sondern um einen Bedeutungs- und Legitimitätsverlust hergebrachter politischer Form, Struktur und Kommunikation. Auch die politische Öffentlichkeit unterliegt einem strukturellen Wandel. Parteien und offiziöse Institutionen bündeln nicht mehr exklusiv die Willensbildung des Volkes; einfach die politische Gatekeeping-Funktion auch bei Facebook wahrnehmen zu wollen, einfach ein dezentrales, emergentes Beziehungsgeflecht mit Metriken einer Top-Down-Kommunikation zu beurteilen, muß scheitern. Eisel zeigt mit seiner Analyse im wesentlichen, wie überholt hergebrachte Modelle politischer Kommunikation und Willensbildung sind, und wie ihre Anwendung dazu führt, daß Wesentliches völlig übersehen wird.

Interessanter und relevanter für die Entwicklung einer politischen Kommunikationsstrategie wäre es, sich von diesen Modellen zu lösen und vor der Bewertung erst einmal eine Kartographie des neuen politischen Raums vorzunehmen. Hat das in der Post-Webring-Zeit schon einmal jemand für eine Partei oder eine andere Großorganisation gemacht?

(Vielen Dank an Anja, die mich auf den Artikel hingewiesen hat.)
 

  • Stephan Eisel antwortet in den Kommentaren bei Felix

 
Ergänzung, 13. Oktober 2012: Im Atlantic nennt Alexis Madrigal einen weiteren interessanten Aspekt, der die Problematik der Meßbarkeit berührt: Dark Social: We Have the Whole History of the Web Wrong. Darin weist er darauf hin, daß soziale Netze Vernetzung nicht erfunden haben, sondern ihr neuer Beitrag darin besteht, die Vernetzung auch sichtbar zu machen, die vorher über nicht-sichtbare Verbindungen transportiert wurde – E-Mail, Chats, Messenger:

[T]he social sites that arrived in the 2000s did not create the social web, but they did structure it. This is really, really significant. In large part, they made sharing on the Internet an act of publishing (!), with all the attendant changes that come with that switch. Publishing social interactions makes them more visible, searchable, and adds a lot of metadata to your simple link or photo post.

Diese nicht-sichtbaren Formen summieren sich beim Atlantic laut Madrigal auf 69 % des Traffics durch Social Media (wenn dieses dark social dazu gezählt wird) und hinsichtlich allen eingehenden Traffics auf den zweitgrößten Teil nach Suchmaschinen.

Crosspost von fxneumann

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