von Laurent Joachim, 10.10.16
In kaum einer anderen Branche sind die Stundenlöhne so schlecht wie in den Medien . Und kaum irgendwo sonst wehren sich die Betroffenen so selten dagegen.
Zwar sind die Zeiten, in denen öffentliche Kritik eines Verlages Gefahr für Leib und Seele bedeuten, vorbei. Doch man erinnere sich, mit welch harten Bandagen Günther Wallraff für seine kritischen Recherchen zur BILD (Der Aufmacher, Zeugen der Anklage) vom Springer-Verlag bekämpft wurde. Und auch heute ist die selbsternannte Traumwelt der Medien kein Ponyhof, insbesondere nicht, wenn es um Honorare außerhalb des “Star-Systems” geht.
Mehr denn je gilt heute der Grundsatz: “Ruhm für die wenigen Journalistensterne, Geldsorgen und Existenznöte für die Journalistenmassen”, weil journalistische Arbeit, besonders die von Freiberuflern, mit besorgniserregender Regelmäßigkeit von den Verlagen unterhalb der gesetzlichen Minima entlohnt wird. Dabei sprechen wir wahrscheinlich über Milliarden, die den Betroffenen, dem Fußvolk der Medienproduktion, über die Jahre hinweg vorenthalten wurden und werden. Statistiken über die Honorarprellerei in den Medien werden zwar nicht erhoben, doch Fakt ist, dass Lohndumping in den Medien flächendeckend stattfindet und kaum öffentlich thematisiert wird.
Andererseits nicht unlogisch, dass so selten darüber berichtet wird, wenn man bedenkt, dass die Verlage kein Interesse daran haben dürften. Subtiler – und dennoch knallharter – Druck auf die Betroffenen, fragwürdige bis rechtswidrige Auslegung der gesetzlich verbrieften Vertragsfreiheit zu Lasten der Freiberufler sowie eine weitgehende Untätigkeit der Behörden sorgen dafür, dass die Verleger seit Jahrzehnten massenhaft Arbeitsleistungen zu gesetz- oder sittenwidrig niedrigen Preisen von ihren freien Mitarbeitern einkaufen. Der Vorteil ist eindeutig, dass die Verlage nicht nur – wie jeder andere Arbeitgeber auch – Druck auf die eigenen Beschäftigten ausüben können, sondern in einer Position sind, einen äußerst effektiven Druck auf die Politik – und somit auf die Gesetzgebung – auszuüben.
Ein Beispiel: Der Bundestagsabgeordnete Klaus Barthel (SPD) sagt in der Sendung Report Mainz (vom 22. Juli 2014) zur Mindestlohn-Debatte:
Die Verleger nutzen natürlich die Tatsache, dass Politikerinnen und Politiker besonders darauf angewiesen sind, in der Presse positiv behandelt zu werden. Man kann in diesem Fall sehen, wie die publizistische Macht benutzt worden ist, um politische Entscheidungen zu beeinflussen.
Diese Schilderung wurde, in der gleichen Sendung, mit dem anonymisierten Beitrag eines weiteren Bundestagsabgeordneten ergänzt, dem eine Regionalzeitung mit “Liebesentzug“ gedroht haben soll, falls er im Bundestag einer Mindestlohn-Ausnahme für Zeitungszusteller zugunsten der Verlage nicht zustimmen würde:
Da kam der Chef-Redakteur des Wochenblattes in meinem Wahlkreis auf mich zu und sagte ganz offen, der Mindestlohn rechne sich nicht für seine Zeitung, deswegen sollte ich mich dagegen positionieren (…) und wenn ich mich nicht gegen den Mindestlohn ausspräche, dann werde ich bis zur Wahl im Blatt eben nicht mehr stattfinden, nur noch mein Kontrahent von der CDU.
Lobby-Arbeit am Rande der Erpressung. Lobby-Arbeit, die aber wunderbar funktioniert. Am Ende gewährte der Bundestag entgegen jeder früheren Stellungnahmen eben doch eine Ausnahmeregelung vom Mindestlohn zugunsten der Verleger.
Dass die Verlage die Gesetze, abgesehen davon, tatsächlich recht oft nach Gutsherrenart deuten, wird anhand der neuesten Rechtsprechung deutlich. So gab es in den vergangenen drei Jahren eine Reihe von Gerichtsentscheidungen zugunsten schlechtbezahlter Journalisten, die es gewagt hatten (oft – aber nicht immer – dank der Unterstützung einer Gewerkschaft), gegen die Verlage anzukämpfen. Im Prinzip hat der Gesetzgeber recht effektive Schranken gegen die Ausbeutung der Arbeitnehmer entwickelt. Und so kam es, dass – als Justitia einige Honorarverträge verschiedener Verlage unter die Lupe nahm – die Kläger in mehreren Fällen hohe Honorarnachzahlungen zugesprochen bekamen.
Zum Beispiel 2013: Mit einem richtungsweisenden Urteil gewannen zwei freie Journalisten gegen den Bonner General-Anzeiger (GA). Das Landgericht Köln sprach ihnen deutlich mehr Honorar zu als der Verlag 2008 bis 2011 gezahlt hatte, statt 21 bis 25 Cents pro Zeile 56. Mehr als das Doppelte! Auch die Honorarvorstellungen des Verlages für Bildmaterial bestand nicht vor den Richtern. Sie befanden, dass statt den 20,45 Euro pro Bild ein Honorar von 48 Euro angemessen sei, so dass der Verlag auch in diesem Fall zur Nachzahlung der Differenz verpflichtet wurde. Insgesamt kamen jeweils fünfstellige Nachzahlungsforderungen zusammen.
Ebenfalls 2013 verurteilte das Landgericht Mannheim die Pforzheimer Zeitung dazu, einem freien Journalisten 47.000 Euro Honorar zuzüglich Zinsen nachzuzahlen, weil dieser lediglich 33 Cents pro Zeile anstatt der ihm zustehenden 62 bis 84 Cents bekommen hatte. Ein Urteil, dass 2015 vom Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigt wurde.
Im Februar 2016 verdonnerte das Oberlandesgericht Hamm die Funke Gruppe, einem freiberuflichen Fotografen die Rekordsumme von 80.000 Euro nachzuzahlen. Nicht eben Peanuts. Nicht gerade ein Grund zum Jubeln, nachweislich um diese Summe geprellt worden zu sein, noch weniger aber, da es bei Freiberuflern keinen Kündigungsschutz gibt und der Rechtsstreit auch den unvermeidlichen Verlust des Broterwerbs bedeutet.
Die arbeitsrechtlich prekäre Situation der Freiberufler wurde anhand des bundesweiten Skandals um die rechtswidrige Beschäftigung von sogenannten “Pauschalisten” oder “Festen Freien” im letzten Jahr anschaulich. So berichtete die taz im Juli 2015 über die “Leiharbeiter des Journalismus” und das “Problem der Scheinselbständigkeit. In dem Artikel wurden die Gründe für die Zurückhaltung der Ausgebeuteten deutlich:
‘Von Verlagsseite wird einem suggeriert, man würde die Zeitung kaputt machen, wenn man das System kritisiert’, sagt eine ehemalige SZ-Mitarbeiterin. Und eine ehemalige Pauschalistin von SpiegelOnline erzählt, dass selbst dann niemand gewagt hatte, zu klagen, als der Verlag vor anderthalb Jahren alle rauswarf, die länger als zwei Jahre beschäftigt waren. ‘Keiner legt sich mit dem Spiegel-Verlag an. Das spricht sich rum in Hamburg. Da kannst du gleich einpacken’ .
Die Urangst der Menschen vor einem so krassen sozialen Abstieg (Ersparnisse, Eigentum, Wohnung und gar Liebesbeziehung, kurzum ein ganzes Leben kann sich innerhalb von wenigen Monaten auflösen) macht die Ausgebeuteten gefügig. Geleitet von den Zwängen und Verpflichtungen des Alltags müssen die meisten mit dem Spatz in der Hand statt der Taube auf dem Dach vorlieb nehmen – wenngleich ihnen die Taube zustünde. Es gilt das Recht des Stärkeren, und die Stärkeren, das sind bisher die Verlage.
Und so wird derjenige, der rechtswidrige Geschäftsabschlüsse öffentlich macht, als Nestbeschmutzer gebrandmarkt. In einer Branche, in der Referenzen eine überaus hohe Bedeutung haben, bewirkt ein Rechtsstreit eine zeitlich unbegrenzte “Rote Karte”. Dann droht in der Regel Hartz-IV (ALG-II) – ein Abschreckungsszenario. Und auch die Zeit spielt bei der Abwägung eines Rechtstreites eine Rolle, denn nach nur drei Jahren verjähren laut Gesetz alle Ansprüche eines Geschädigten im Honorarstreit. Das heißt, nach nur drei Jahren kann der rechtswidrige Lohnbetrug ganz legal auf der Gewinnseite des Unternehmens verbucht werden.
Dass diese systembedingte Verwundbarkeit eine reale Bedrohung ist, wurde Ende 2015 deutlich, als der Berliner Tagesspiegel unerwartet alle seine freien Mitarbeiter auf einmal einsparte – aus wirtschaftlichen Gründen.
Im Rahmen der Recherchen für diesen Artikel ließen übrigens mehrere voneinander unabhängige Quellen erkennen, warum sich weder investigative Sendungen des öffentlichen Rundfunks noch die renommierten Federn des Landes dieses äußerst skandalösen Themas annehmen: Inzwischen ist Lohndumping überall so verbreitet, dass keine Krähe einer anderen ein Auge aushacken kann, ohne sich selbst in Verlegenheit zu bringen. Eigentlich ein perfektes Machtsystem samt Schweigekartell.
Der Text erscheint im Rahmen des Dossiers „Journalismus – Aufklärung oder Animationsarbeit?“, das in Zusammenarbeit mit der Otto Brenner Stiftung entsteht. Ausgangspunkt ist das dort publizierte Arbeitspapier „Journalist oder Animateur – ein Beruf im Umbruch. Thesen, Analysen und Materialien zur Journalismusdebatte“ von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz. Wir setzen die Debatte in den nächsten Wochen fort.
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