von Tobias Schwarz, 23.3.13
Die Nachrichtenagentur Reuters meldete am Freitagnachmittag, dass ″Rot-Grün … erneut seine Muskeln im Bundesrat spielen lassen und dem Bundestag zwei in der schwarz-gelben Koalition umstrittene Themen aufgezwungen″ hat. Gemeint waren das Betreuungsgeld und der Gesetzentwurf zur Gleichstellung der Homo-Ehe, denn bei einem anderen Thema verpassten SPD und Bündnis 90/Die Grünen, ein schwarz-gelbes Gesetz zu stoppen.
Das umstrittene Leistungsschutzrecht für Presseverlage, gegen das die Bundestagsfraktionen der SPD und Grünen geschlossen gekämpft haben, wurde jetzt von den rot-grünen Ländern im Bundesrat durchgewunken. Gegen die eigenen Parteikollegen im Bundestag und die netzpolitischen Arbeitsgruppen in ihren Parteien beschlossen die Landespolitiker_innen, zu dem Gesetz nur eine Stellungnahme abzugeben, so dass es nach der amtlichen Veröffentlichung in Kraft tritt.
(Tina Schober/NDR ZAPP vom 28.11.2012, CC BY-NC 3.0 DE)
12 Monate Springer-getriebener Stumpfsinn
Das war so lange nicht abzusehen. Als im März 2012 der Koalitionsausschuss von CDU, CSU und FDP das Leistungsschutzrecht für Presseverlage aus dem Koalitionsvertrag heraus in den Bundestag holten, war schnell klar, dass, auch wenn die Regierungsfraktionen trotz Kritiker_innen in den eigenen Reihen das Gesetz durch eine ausreichende eigene Mehrheit beschließen werden, es im Bundesrat gestoppt werden könnte. Es folgten 12 Monate, in denen drei Gesetzesentwürfe des Bundesjustizministeriums, von dem einer schlechter war als der andere, genau aufzeigten, wer Interesse an einem solchen Gesetz hat: Die Presseverlagslobby.
Das für die freie Kommunikation im Internet gefährliche Gesetz nahm Stück für Stück die parlamentarischen Hürden. Einzelne Hinterbänkler_innen der Unionsparteien und der FDP schlossen sich zwar der Kritik an, allerdings vor dem Hintergrund, dass ihr Abweichen von der Fraktionshaltung niemals die Regierungsmehrheit im Bundestag gefährdete. Die Oppositionsparteien im Bundestag waren geschlossen gegen das Gesetz, aber eben in der Minderheit. Die verschiedenen Anhörungen im Plenum und den Ausschüssen des Bundestags wraen nur weitere Belege für die Sinnlosigkeit des Gesetzesentwurfs. (Carta berichtete hier, hier und hier.) Die meisten Abgeordneten ließen sich davon nicht beeinflussen, die Menschen auf der Straße nicht dafür bzw. dagegen interessieren.
Wer hat uns verraten?
Am 1. März 2013 wurde das Leistungsschutzrecht für Presseverlage mit den Stimmen der CDU, CSU und FDP im Bundestag beschlossen und ging dann in den Bundesrat. Dort hätte es formal nicht abgelehnt, aber an den Vermittlungsausschuss verwiesen werden können, wo es SPD und die Grünen mit Hilfe der Linken bis zur Bundestagswahl hätten festhalten können. Manche Sozialdemokrat_innen versuchen zwar, die Bedeutung des Vermittlungsausschusses zu relativieren, aber auch ein Einspruchsgesetz wie das Leistungsschutzrecht für Presseverlage kann nicht im Bundestag befasst werden – solange der Vermittlungsausschuss kein Ergebnis, einen Kompromiss oder eine Position des Bundesrates erzielt oder drei ergebnislose Verhandlungen in der Sache stattgefunden haben. Da der Vermittlungsausschuss nur ungefähr fünf Mal im Jahr tagt, wären schon drei Verhandlungstermine bis zum 22. September 2013 kaum möglich gewesen.
Wären, wenn es denn der Wille der SPD gewesen wäre. Erst am Dienstag hatten namhafte Aktivist_innen, Jurist_innen und Journalist_innen in einem offenen Brief an die Ministerpräsident_innen der SPD gefordert, das Gesetz im Vermittlungsausschuss aufzuhalten. Unter den Unterzeichner_innen waren auch viele Netzpolitiker_innen der SPD.
Anfang der Woche war noch nicht abzusehen, wie sich die einzelnen Länder verhalten werden. In Rheinland-Pfalz und Niedersachsen wurde im Vorfeld keine gemeinsame Haltung der rot-grünen Regierungsparteien vereinbart, in Nordrhein-Westfalen (NRW) waren die Grünen strikt gegen das Vorhaben der SPD, dem Gesetz zuzustimmen. Lediglich in den Medienstandorten Hamburg und NRW war die SPD ausnahmslos gegen den Versuch, das Leistungsschutzrecht im Vermittlungsausschuss zu begraben. Die rot-grüne Regierung in Schleswig-Holstein hatte dieses Vorhaben beantragt.
Hannelore Kraft und Olaf Scholz setzten sich gegen die anderen SPD-Länder und die grünen Koalitionspartner durch. Kraft hat dabei eine Nichteinigung mit dem grünen Koalitionspartner gereicht, da sich NRW so einfach hätte enthalten können.
Zu stark war offensichtlich der Druck der Presseverlage, besonders im Wahlkampf. Selbst der Kanzlerkandidat der SPD, Peer Steinbrück, war wohl über diese Pläne nicht informiert. Vor wenigen Wochen noch war er gegen ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage, nach der Ankündigung aus Düsseldorf änderte er seine Meinung und kündigte in einer holprigen Pressemitteilung sogar ein rot-grünes Leistungsschutzrecht an, falls er gewählt würde. Was Steinbrück dabei ignoriert: Niemand will ein anderes Leistungsschutzrecht für Presseverlage, besonders nicht die Grünen.
Das Versagen der (Netz)Politik
Keine Oppositionspartei, auch nicht die stets das Leistungsschutzrecht kritisierende LINKE, hat es geschafft, das Thema auf die politische Agenda zu setzen. Es blieb ein Thema von Expert_innen, und auf die wurde am Ende, vor allem in der SPD, nicht gehört. Die SPD schien, lautstark durch die eigenen Netzpolitiker_innen vertreten, ein beständiger Gegner des Gesetzes zu sein. Der spontane Kurswechsel in NRW kam überraschend.
Manche Aussagen von Olaf Scholz ließen Sympathien für die Interessen der heimischen Verlage erkennen. Dass aber am Anfang eines Bundestagswahlkampfs der eigene Kanzlerkandidat, der sich erst vor zwei Wochen gegen das Leistungsschutzrecht ausgesprochen hat, und die eigenen Abgeordneten und Fachpolitiker_innen so beschädigt wurden, ist überraschend. Scholz stellte seine Interessen und die der Hamburger Medienmacher_innen über die der Partei. Genau wie Stephan Weil, neuer Ministerpräsident in Niedersachsen, der erst vor rund fünf Wochen im rot-grünen Koalitionsvertrag vereinbarte, dass die neue Landesregierung das Leistungsschutzrecht für Presseverlage ablehnt.
Auch die Netzpolitiker_innen haben versagt, was ihnen viele Kritiker_innen jetzt vorwerfen – vor allem diejenigen, die politisch nicht selbst in Parteien aktiv sind. Die Netzpolitik ist eines der wichtigsten Themen der Zukunft: Die Digitalisierung lässt sich nicht ignorieren, und die Politik hat die Aufgabe, diesen Prozess gestalterisch zu begleiten.
Politik wird aber immer noch von alten Männern und wenigen alten Frauen gemacht, die meist schon über 30 Jahre alt waren, als Microsoft 1981 das Betriebssystem MS-DOS vorstellte. Neue Politiker_innen mit modernen Ansichten und dem digitalen Wandel gegenüber aufgeschlossen bestimmen eben immer noch nicht die Politik, die hierarchisch strukturiert ist und diejenigen bevorzugt, die am längsten dabei und am erfolgreichsten sind. Und das sind selten die mit den Themen und Prinzipien.
Den Netzpolitiker_innen kann das nicht zum Vorwurf gemacht werden, auch nicht denen von der SPD. Es werden noch ein paar Jahre ins Land ziehen und so manches peinliche Gesetz wird noch geschrieben werden, bevor sich gewisse Erkenntnisse durchgesetzt haben. Für zeitgemäße Entscheidungen braucht es – leider – noch Zeit.
Tobias Schwarz bloggt im Logbuch des Isarmatrosen. Er ist Sprecher der Landesarbeitsgemeinschaft Netzpolitik von Bündnis 90/Die Grünen Berlin. Dieser Text wird veröffentlicht unter einer CC BY-SA-Lizenz.