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Linke Illiberalität

Die antiimperialistische Traditionslinke hält mit ihrem seit Jahrzehnten eingeübten Antiamerikanismus und ihren antiliberalen und antimodernen Reflexen keine zukunftstauglichen Rezepte bereit. In ihrem antiwestlichen Furor verrutschen ihr vielmehr sämtliche Maßstäbe. Zeitgenössische gesellschaftliche Debatten um Rassismus und Geschlechterordnungen gelten als gezielte Ablenkung vom Klassenkampf, die Verteidigung von Menschenrechten wird zu westlichem Universalismus umgedeutet.

von , 31.1.22

Um ihr traditionelles Bild vom kriegslüsternen amerikanischen Imperium zu pflegen, ist Teilen der deutschen Linken kein Argument und keine Allianz zu einfach.

Seit vielen Wochen steigt die Besorgnis, es könne an der ukrainisch-russischen Grenze zu einer Eskalation militärischer Gewalt kommen. Russland hat über 100.000 Soldaten aufmarschieren lassen, angeblich, weil es sich von einem möglichen, derzeit aber nicht zur Debatte stehenden NATO-Beitritt der Ukraine bedroht fühlt. Die Krim ist von den Russen besetzt, in Belarus sind russische Soldaten stationiert, von der russischen Enklave Kalinigrad aus können Raketen in wenigen Minuten Westeuropa erreichen, während der jüngsten Demonstrationen in Kasachstan waren überdies russische Spezialeinheiten binnen Stunden vor Ort, um Proteste gegen die autokratische Willkürherrschaft mit Gewalt klein zu halten. Seit Jahren werden in Russland unabhängige Medien und Nichtregierungsorganisationen unterdrückt oder verboten, Journalisten leben gefährlich und westliche Künstler erhalten Einreiseverbot. Seit Jahren mehren sich Hinweise, dass Moskau versucht, Öffentlichkeit und Politik westlicher Staaten zu beeinflussen, etwa durch mutmaßliche Trollfarmen und eigene Auslandssender wie RT DE und Sputnik (deren Programme kaum journalistischen Standards genügen) oder durch Kontaktpflege zu rechtsradikalen Parteien wie AfD und FPÖ. So zumindest das Bild, das mutmaßlich gut informierte Medien von »Tagessschau« bis »Zeit« zeichnen und das von Journalistenvereinigungen wie »Reporter ohne Grenzen« immer wieder untermauert wird

Völlig anders ist die Lage indes, wenn man den Protagonist:innen der Linkspartei und ihr nahestehender Medien Glauben schenkt. Da stellt die gegenwärtige Politik Russlands nicht etwa eine Aggression dar, sondern wird zur legitimen Vertretung von Großmachtinteressen mit ebenso legitimen Mitteln. So verkündet die Fraktion der Linken im Bundestag via offizieller Pressemeldung, nicht etwa die russischen Militärmanöver seien Anlass zu Besorgnis, vielmehr torpediere das »Säbelrasseln« der NATO eine Deeskalation des Konflikts. Fraktionschefin Dağdelen treibt das Spiel noch weiter und bezichtigt die Bundesregierung auf Twitter indirekt und im Einklang mit einem zwischenzeitlich gefeuerten Vizeadmiral der Bundeswehr gar, einen Krieg gegen China im Schilde zu führen. Den Vogel schießt dann die »Junge Welt« ab, die deutsche Medien pauschal als »Kriegspresse« bezeichnet und den sinistren Akteur hinter all dem Theater frei Haus mitliefert: Es sind – mal wieder – die USA. Die würden sich mit ihrem globalen Abstieg nicht abfinden wollen und ihr Heil darum in einem Angriff auf Russland suchen. Dahinter steht die gleiche, alte Ideologie, die auf der von eben jener Zeitung jährlich organisierten »Rosa-Luxemburg-Konferenz« auch in diesem Jahr in Endlosschleife zu vernehmen war und unter dem gleichermaßen widerwärtigen wie programmatischen Slogan »Krieg und Leichen – die letzte Hoffnung der Reichen: Hände weg von Russland und China« stand. Kurz zusammengefasst kennt dieses simplifizierte Weltbild eigentlich nur einen Finsterling, der für jegliche globale Unbill verantwortlich ist: Die Vereinigten Staaten von Amerika. Russland und China seien demgegenüber angesichts der angeblichen Aggressivität des »US-Imperiums« in einer Art Notwehr-Situation. Naiv, wer an historische Erfahrungen etwa der baltischen Länder in der früheren Sowjetunion und daraus resultierende heutige NATO-Beitrittswünsche denkt. Noch naiver, wer Proteste wie den »Euromaidan« 2013/2014 oder den jüngsten Aufstand in Kasachstan nicht sogleich als von der CIA gesteuerte »Farbenrevolution« erkennt. 

Damit es zu keinen Missverständnissen kommt: Weder soll hier amerikanische oder europäische Außenpolitik pauschal verteidigt noch soll der relative Bedeutungsverlust des Westens in den vergangenen Dekaden bestritten werden. Aber die Herausbildung einer multipolaren globalen Ordnung sollte nicht dazu führen, dass Großmachtambitionen testosterongesteuerter Autokratenregime in Moskau, Ankara oder andernorts auf der Welt schleichend legitimiert werden. Sie sollte vielmehr als Chance betrachtet werden, den kolonial-eurozentrischen Blick mit seinen Großmachtspielen durch eine Weltinnenpolitik zu ersetzen, die das dramatische Gefälle zwischen der Nord- und der Südhalbkugel verringert. 

Die antiimperialistische Traditionslinke hält dafür mit ihrem seit Jahrzehnten eingeübten Antiamerikanismus und ihren antiliberalen und antimodernen Reflexen kaum geeignete Rezepte bereit. In ihrem antiwestlichen Furor verrutschen ihr vielmehr sämtliche Maßstäbe. Zeitgenössische gesellschaftliche Debatten etwa um Rassismus und Geschlechterordnungen gelten nur als gezielte Ablenkung vom Klassenkampf, die Verteidigung von Menschenrechten wird zu westlichem Universalismus umgedeutet. Lieblingsziele sind neben der offiziellen Politik Medien, Nichtregierungsorganisationen oder Stiftungen (Soros! Schwab! Gates!), die stets »Meinungsmache« und »Manipulation« im Auftrag der »US-Oligarchie« betreiben und irgendwie zentral gesteuert sind. 

Dass sie damit ins gleiche Horn blasen wie der russische Präsident, damit können die meisten Vertreter:innen der »Anti-Imps« vermutlich ganz gut leben. Der kann mit Widerspruch und demokratischer Debatte wenig anfangen und hält EU-Europa darum für weichlich und unzuverlässig. Ihm eifert der ungarische Möchtegern-Diktator Orban nach, dessen Leitbild eine »illiberale Demokratie« ist, in der freie Medien so wenig zu suchen haben wie George Soros und dessen »Open Society Foundations«, Homosexuelle oder Menschen anderer Hautfarbe – und der sich im aktuellen Konflikt unverzüglich mit seinem russischen Vorbild solidarisiert. Tatsächlich reichen die Argumente der vermeintlich linken Anti-Amerikaner bis in Gefilde, in denen man kein Problem mehr hat, offen auch zu seinem Judenhass zu stehen. Der Autor des in der Szene beliebten Blogs »The Saker« (Motto: »Stop the empire‘s war against russia«) führt in personam den Beweis, dass Antiamerikanismus und Antisemitismus zwei Seiten einer Medaille sind, wenn er schreibt, das »US-Imperium« werde regiert von »Angloamerikanern und Juden«, deren verbindende Eigenschaften unter anderem ihre »Versessenheit auf Geld und Macht und ihre grundsätzliche Korruptheit« seien. Dem ist dann nichts mehr hinzuzufügen.

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