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Letzter Aufruf für Social News? Der Digg-Relaunch

von , 2.6.10

Social News waren einmal eine große Sache und Digg ein bedeutender Dienst zu der Zeit, als der Begriff “Web 2.0” gerade aufkam. Damals, also vor gerade einmal 5 Jahren, war Kevin Rose, der Gründer von Digg, in den USA schon mal auf den Titelseiten der Nachrichtenmagazine abgebildet und man traute ihm eine große Zukunft zu.

Die Realität heute sieht anders aus. Das Konzept der Social News, bei der die User Nachrichten bzw. Artikel vorschlagen und bewerten können, so dass diese dann in einem Popularitätsranking aufgelistet werden, hat sich nicht wirklich durchgesetzt. Für Dienste wie Digg und dessen Nachahmer fanden sich nie genug aktiv mitwirkende Leser, so dass diese Portalseiten praktisch nicht über einen boulevard-ähnlichen Inhaltemix hinaus kamen.

Zudem setzte ihnen das Aufkommen von Twitter zu, wo Nachrichten deutlich schneller verbreitet werden können und Netzwerkeffekte darüber entscheiden, wie weit eine Meldung im Gesamtsystem getragen wird. Zwar benötigte das 2006 gestartete Twitter etwas Anlaufzeit, doch für die Early Adopters im Netz stellte es sich als perfekte Spielwiese heraus, während es in gleichem Maß stiller um Digg wurde.

Den Markt in seiner ganzen Breite schöpfte schließlich Facebook ab, das als geschlossenes Freundes-Netzwerk gestartet war (im gleichen Jahr wie Digg) und nach mehreren Häutungen heute eine mehr oder weniger offene Plattform darstellt, auf der vermutlich schon mehr Nachrichten-Meldungen kursieren als rein private Mitteilungen.

Warum aber geht die Rechnung bei Facebook und Twitter auf, während dem Digg-Button nur eine kurze Blütezeit in der Anfangsphase des Social Web beschieden war?

Die Antwort liegt im Netzwerkcharakter: Während bei Digg (oder auch dem deutschen Yigg) die User ihre Empfehlungen bzw. ihr Voting in ein praktisch anonymes Netzwerk hinein geben müssen, kommuniziert man auf Facebook mit seinen Freunden oder auf Twitter mit den Followern, also mit mehr oder weniger “guten Bekannten”. Zudem gibt es in den letztgenannten Netzwerken die Möglichkeit, Feedback zu bekommen und so kurze Konversationen über ein Thema bzw. einen Artikel zu führen.

Facebook und Twitter sind damit deutlich persönlicher und dialogorientierter konzipiert als Social-News-Dienste nach dem Muster von Digg. Da ist es dann auch kein Wunder, dass der aktuell von Kevin Rose vorgestellte Umbau und Relaunch von Digg (siehe Video unten) in eben diese Richtung zielt. Künftig soll Digg anders funktionieren und im Kern das Empfehlen auf die Ebene von Freundesnetzwerken heben. Damit würde das Problem der Anonymität aufgehoben. Es bleibt aber abzuwarten, ob das schon ausreicht, um den Dienst wieder nachhaltig zu beleben, denn das Empfehlen interessanter Informationsquellen ist inzwischen ein entscheidender und natürlicher Bestandteil von Facebook und Twitter geworden.

Darüber hinaus bietet erst die Aggregation über größere Gesamtheiten hinweg wieder einen echten Mehrwert. Diese Funktion bleibt in Digg zwar erhalten, wird aber ebenso von Diensten wie Techmeme (bzw. Rivva in Deutschland) ohne direkte Mitwirkung der User geboten.

Keine wirklich gute Perspektive also für Digg, wo zuletzt sogar Personal entlassen werden musste, nachdem zuvor schon der CEO sowie eine Reihe von Mitarbeitern von sich aus gegangen waren. Nun versucht Kevin Rose, der die Führung von Digg wieder selbst übernommen hat, die letzte sich bietende Chance auf ein Revival zu nutzen.

In einer immer komplexer und vielschichtiger werdenden Medienlandschaft aber dürften Social News ohnehin nicht das letzte Wort sein, sondern werden nur einen Zwischenschritt zu personalisierten Nachrichten(diensten) darstellen. Die Zukunft gehört vermutlich Clients, die wissen, wo ihre Besitzer gerade sind und was diese tun, so dass sie ihnen in Abhängigkeit von solchen Rahmendaten Nachrichten teils direkt aus bestimmten Medien zuführen können, teils gefiltert aus den Empfehlungen in Social Networks.

Solche Dienste setzen aber nicht nur die Verbindung zu Social Networks und einem breiten Set an Inhalteanbietern (Content) voraus, sondern auch das Wissen um sehr persönliche Daten (Aufenthaltsort, Terminkalender, Aufgabenstellungen, Vorlieben…), so dass darauf bezogen dann auch wirklich relevante Nachrichten bzw. Medieninhalte empfohlen werden können.

Dazu kommt der Trend zum Internet of Things, der den Raum an Möglichkeiten, was Nachrichten und Statusmeldungen betrifft, nochmals erheblich erweitern wird. Das “Social Sharing” mit Freunden im Netz wird dann nicht mehr so neu und aufregend sein, wie es das in den letzten Jahren war, weil es Konkurrenz von technischen Geräten bekommen wird, die ebenfalls mit Statusmeldungen über ihren Betriebszustand informieren oder auf Handlungsoptionen aufmerksam machen werden.

Es ist stark anzunehmen, dass bei Google in diese Richtung gedacht und gearbeitet wird. Auch bei Facebook könnte es Ambitionen dazu geben. Klassischen Medienanbietern wie Zeitungen oder Rundfunkanstalten dagegen scheint noch nicht zu dämmern, was da auf sie zurollt. Dabei könnte ihnen gerade das Beispiel von Digg eine Lehre sein: Der gut gemeinte Ansatz von Social News war nicht deswegen ein Misserfolg, weil die Leser lieber beim klassischen Modell der Mediennutzung einzelner Leitmedien geblieben wären. Ganz im Gegenteil: Social News kam über seine Anfänge nicht hinaus, weil die User dynamischeren und besser vernetzenden Medien wie Twitter und Facebook den Vorzug gaben und damit das News-Sharing auf eine höhere Ebene brachten, als dies Digg bieten konnte.

Der aktuelle Relaunch von Digg stellt somit keinen wirklichen Schritt nach vorne dar, sondern bietet nur eine Art Update auf den derzeitigen Stand der Networking-Technik. Damit dürfte zugleich auch die Grenze dessen erreicht sein, was im Bereich von Social Sharing inhaltlich sinnvoll zu leisten ist.

Das Social Web steht entwicklungstechnisch derzeit am Übergang von der Innovations- in die Reifephase und dürfte in den nächsten Jahren vom Internet of Things überformt werden. So gesehen möchte man Kevin Rose raten, er möge sich mit Digg nicht zu viel Mühe geben, sondern lieber noch einmal in die Rolle des Pioniers schlüpfen und etwas ganz Neues schaffen.

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