#Dritter Korb

Leistungsschutzrecht: Nicht nur das Wie, sondern auch das Ob diskutieren.

von , 9.6.10

Carta-Spezial zu den kommenden Anhörungen im Bundesjustizministerium zum “Dritten Korb” des Urheberrechts, bei denen es am 28.6. auch um ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger geht. Siehe auch Oliver Castendyk: “Die Verleger fordern eher zu wenig – Das Leistungsschutzrecht und der Versuch, mit Informationen Geld zu verdienen.

von Hannah Seiffert und Maritta Strasser

Aufgrund der Koalitionsvereinbarung arbeitet derzeit das Bundesministerium der Justiz an einem neuen Leistungsschutzrecht für Presseverleger. Am 28. Juni findet im Bundesministerium der Justiz eine Anhörung über das geplante Vorhaben statt. Schon sehr bald wird möglicherweise ein Entwurf vorgelegt für ein Gesetz, für das erstens ein Bedarf und ein Nutzen nicht nachgewiesen wurde, und das zweitens gravierende Nachteile für alle Bürgerinnen und Bürger mit sich bringt.

Als Argument für die Einführung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger wird regelmäßig die Vergleichbarkeit der Arbeit von Presseverlegern mit anderen Werkmittlern herangezogen. Diese verkürzte Sichtweise lässt jedoch außer Acht, dass alle Internetnutzer in Deutschland direkt oder indirekt von einem Leistungsschutzrecht der Presseverleger negativ betroffen sein werden. Nicht wenige Experten äußern gut begründete Zweifel, ob und wie ein solches Leistungsschutzrecht überhaupt funktionieren kann. Sie weisen seit langem auf mögliche negative Folgen gerade auch für die Meinungs- und Kommunikationsfreiheit und für qualitativ hochwertigen Journalismus im Internet hin.

Darf die Sinnfrage nicht mehr gestellt werden?

Ein Entwurf, den die Verbände BDZV und VDZ unter Mitwirkung der Gewerkschaften anscheinend eine zeitlang ernsthaft diskutiert haben, ist kürzlich auf iRights.info unautorisiert veröffentlicht worden (PDF). Dieser Entwurf übertrifft die Befürchtungen der meisten Kritiker des Gesetzes.

Höchstwahrscheinlich entspricht der Entwurf zwar nicht dem Diskussionsstand im Bundesministerium der Justiz, aber es bleibt angesichts der zahlreichen grundsätzlichen Probleme des Vorhabens unverständlich, warum es überhaupt ein solches neues Leistungsschutzrecht für Presseverleger geben soll. Es ist höchste Zeit, daran zu erinnern, dass nicht nur das Wie, sondern auch das Ob für ein neues Monopolrecht, wie es Dr. Dieter Frey genannt hat, der Rechtfertigung bedarf. Und wenn es nicht genug gute Gründe dafür gibt, dann ist das das Vernünftigste, das Vorhaben abzubrechen – was auch immer der Koalitionsvertrag dazu sagt.

Marktversagen?

Die Presseverleger fordern zum Erhalt der bestehenden Presselandschaft ein eigenes Leistungsschutzrecht und rechtfertigen dies mit ihrer Funktion für die öffentliche Meinungsbildung.

Den Presseverlegern geht es allerdings – nach einer vorübergehenden Krise des Werbemarktes – wieder wirtschaftlich gut. Der Hauptgeschäftsführer Dietmar Wolff des Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) hat in einer Pressekonferenz am 10. Mai betont: „Im Unterschied zu den USA sind die deutschen Zeitungen in sehr guter Verfassung“. Insofern drängt sich die Frage nach der Erforderlichkeit eines neuen Monopolrechts für Presseverleger auf. Vor allem, da offenbar die Bereitschaft von Internetnutzern wächst, für Online-Inhalte zu bezahlen. Neue Tools für Micropayments wie z.B. Flattr werden entwickelt und erprobt, und es gibt gute Gründe für die Hoffnung, dass diese die Erlösmöglichkeiten weiter verbessern.

Christoph Keese, hat das Leistungsschutzrecht deshalb auf dem Podium der Veranstaltung “Gottes Werk und Googles Beitrag” als eine Erlösquelle von mehreren eingeordnet. Hinzu kommen müssten Modelle für Paid Content, wieder wachsende Marktanteile im Anzeigengeschäft und neue Geschäftsmodelle. Aber das Leistungsschutzrecht sei notwendig, um künftig Online-Journalismus zu finanzieren. Freilich haben die Verleger den Nachweis für das behauptete Marktversagen damit noch nicht erbracht.

Gleichstellung mit anderen Werkmittlern?

Der Koalitionsvertrag verweist auf andere Werkmittler, denen ein solches Recht bereits zustehe. Dabei fallen dem Leser natürlich sofort die Sendeunternehmen ein, die mit den Presseverlagen um die Aufmerksamkeit derselben Mediennutzer konkurrieren. Das Leistungsschutzrecht ist somit auch ein Instrument im Wettbewerb der Medien. Es wirkt sich auf eine Vielzahl weiterer Betroffener aus, deren Interessen in den Abwägungsprozess bei der Frage, ob es eines Leistungsschutzrechts für Presseverleger bedarf, stärker berücksichtigt werden sollten.

Auch Suchmaschinenbetreiber haben eine Funktion als Werkmittler. Sie haben bis jetzt kein Leistungsschutzrecht. Nach der Logik der Gleichstellung aller Werkmittler müssten sie für ihre finanzielle und organisatorische Leistung – von der nicht nur die Internet-Nutzer, sondern auch die gefundenen Anbieter profitieren – eigentlich auch ein Leistungsschutzrecht geltend machen dürfen.

Probleme mit dem Schutzgegenstand

Leistungsschutzrechte schützen die wirtschaftliche Tätigkeit von Werkmittlern. Sie sind keine Urheberrechte im engeren Sinne. Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger ist ein Monopolrecht, das der rechtlichen Absicherung der wirtschaftlichen Basis dienen soll. Es geht um Investitions- und Wettbewerbsschutz.

Dabei ergeben sich eine ganze Reihe von praktischen Problemen, die in einem Aufsatz von Georg Nolte detailliert aufgeschlüsselt werden. Insbesondere ist das Verhältnis des neuen Rechts zum Urheberrecht ungeklärt, mit weitreichenden Folgen nicht nur für die Inhaber von Urheberrechten sondern auch für die Nutzer urheberrechtlich geschützter Werke. Unklar ist zudem, ob die BGH-Rechtsprechung ausgehebelt würde, da ein Leistungsschutzrecht alles verbiete, was nach dessen Rechtsprechung erlaubt sei.

Was wäre zu bezahlen?

Großbritannien wird als Beispiel für einen Staat herangezogen, der ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage kennt. Der Schutz macht sich dort am Layout fest, womit zwar eine klar abgrenzbare Leistung definiert, aber in der Praxis wenig gewonnen ist. Denn wenn Dritte Verlagsinhalte nutzen, übernehmen sie in der Regel gerade nicht das Layout, sondern den reinen Text.

Deshalb geht die hiesige Diskussion weit über einen reinen Layout-Schutz hinaus. So wird erörtert, ob Rip-Offs (die unbearbeitete Übernahme von Textteilen ohne Quellenangaben), Hyperlinks (Verweise, die zu einem Text führen) und Snippets (kurze, automatisiert erstellte Textauszüge als Ergebnisliste bspw. einer Suchmaschine) und möglicherweise auch Überschriften vergütungspflichtig zu machen.

Wie Nolte ausführlich nachweist, hat die Definition des Schutzgegenstandes Folgen für zentrale Ressourcen der Informationsgesellschaft. Je nachdem, wie er konkret ausgestaltet wird, ließe sich damit das Zitatrecht aushebeln, könnte die Verwendung von Begriffen monopolisiert oder die Verwendung von Hyperlinks eingeschränkt werden. Dies würde tief in den Wettbewerb der Medien eingreifen. Darin liegt sowohl für die Medienvielfalt als auch für die Meinungsbildung eine erhebliche Gefahr.

Wie Dr. Dieter Frey in seiner Analyse des Vorschlags klar macht, würden sich in jedem Fall durch den Akt des Gesetzgebers bisher erlaubte Handlungen zu Urheberrechtsverletzungen verwandeln.

Wer soll bezahlen?

Nach bisherigen Vorschlägen sollen die Erlöse bei Suchmaschinen, News-Aggregatoren, gewerblichen Nutzern und Internetzugangsanbietern abgeschöpft werden. Während große Suchmaschinenanbieter eine solche Abgabe leisten könnten, wären kleine Aggregatoren wie zum Beispiel der „Perlentaucher“ möglicherweise in ihrer Existenz bedroht.

Nach dem von iRights veröffentlichten Entwurf würden gewerbliche Nutzer wohl mit einer Geräteabgabe dafür zur Kasse gebeten werden, dass man davon ausgeht, sie würden Presseartikel abspeichern und ausdrucken. Freie Berufe, Gewerbetreibende, sämtliche Beschäftigte mit internetfähigen Arbeitsplatzrechnern eingeschlossen, reden wir hier über einen Personenkreis von vielen Millionen.

Warum soll die Lizenzpflicht nur „gewerbliche“ Nutzer treffen? Wenn die einzige Begründung dafür eine Opportunitätserwägung in dem Sinne ist, dass das neue Recht mit dieser Einschränkung politisch leichter durchsetzbar ist, dann wäre das wenig sachgerecht. Denn man handelt sich mit dieser Sonderregelung ein Abgrenzungsproblem ein: Wie wird ermöglicht, dass die private Nutzung von Arbeitsplatzrechnern gebührenfrei bleibt? Welcher Blog ist gewerblich, welcher nicht?

Der Vorschlag für einen § 87g Abs. 3 für ein Leistungsschutzrecht für Presseverleger wäre obendrein aber auch eine Blaupause dafür, die komplette Infrastruktur des Internets mit Abgaben zu belasten. Werden diese Kosten an die Kunden weitergegeben, dann zahlen sie doppelt.

Internetzugangsanbieter sind weder Nutzer noch Verbreiter von Online-Journalismus, sondern sie ermöglichen lediglich den Zugang zum Internet. Die Presseverleger selbst bieten dort ihre Inhalte aktiv an. Mit welchem Recht will man Zugangsanbieter für die Durchleitung von Online-Journalismus bezahlen lassen?

Wer ist überhaupt Presseverleger?

In Zeiten der Medienkonvergenz und immer differenzierterer Angebote mit zum Teil journalistischen Inhalten ist bei der Frage, wer profitieren darf, Potential für erbitterte Auseinandersetzungen. Nehmen wir als Beispiel eine Karriere-Plattform mit dem Kerngeschäft Stellenanzeigen wie z.B. stepstone.de, die auch redaktionelle Beiträge anbietet. Zeichnet nicht diese Kombination aus Anzeigengeschäft und redaktionellem Inhalt auch Presseverlage aus? Was ist mit den Webseiten der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, werden Sender mit ihnen zu Presseverlegern? Ist ein Blogbetreiber ein Presseverleger? Immerhin erbringt dieser ja eine organisatorische und finanzielle Leistung, damit unterschiedliche Beiträge von verschiedenen Autoren erscheinen können. Was ist mit Social Communities, die Online-Journalismus mit anbieten? Zählt nur als „Online-Journalismus“ was dem Autor vom Presseverleger vergütet werden musste, und wenn ja, was ist dann mit klassischen Leserbriefen?

Zu dieser Frage ist in den letzten Monaten Widersprüchliches zu hören gewesen. Während sich Christoph Keese als Gast beim eco polITalk im Februar diesen Jahres großzügig zeigte, stellte Frau Dr. Ingrid Pakuscher, Leiterin des Urheberrechtsreferats im BMJ auf dem eco MMR Kongress einen Monat später klar, dass eine enge Abgrenzung vorgesehen sei.

Ergebnis

Die Rolle der klassischen Medien Fernsehen und Presse hat sich geändert. Sie sind nicht mehr alleinige „Gatekeeper“ der Zugänglichmachung von Meinungen und verlieren damit auch ihre exklusive Funktion bei der Herstellung einer kritischen Öffentlichkeit. Nur wenn diese in Gefahr ist, wäre ein Eingriff des Staates zum Schutz des für die Demokratie Lebensnotwendigen gerechtfertigt.

Geht es aber allein um den Wettbewerb verschiedener Medien untereinander, braucht ein solch problematisches Instrument wie das Leistungsschutzrecht für Presseverleger stärkere Argumente auf seiner Seite. Mehr noch: Weil das neue Monopolrecht eine Grundlage für Eingriffe in den Wettbewerb mit anderen Plattformen der Meinungsbildung im Internet bietet, ist genau zu prüfen, ob es nicht auch missbraucht werden und so zum Hindernis für Medienvielfalt und Meinungsbildung werden kann.

Klar ist jedenfalls, dass es erhebliche Kosten und Nachteile mit sich bringt, von denen einige direkt seinem erklärten Ziel, nämlich die Meinungs- und Informationsvielfalt im Internet zu stärken, zuwiderlaufen. Die administrativen Kosten drohen die Erlöse zu fressen.
Je höher die Abgaben, desto größer der negative Effekt auf die Informationsfreiheit und die Chance auf Teilhabe an den digitalen Ressourcen. Vor dem Hintergrund, dass ohnehin nur ein Teilbeitrag zur Lösung des Problems der Presseverlage erhofft wird, stellt sich deshalb grundsätzlich die Sinnfrage.

Gastbeitrag von Hannah Seiffert (Rechtsanwältin und Leiterin Politik beim Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) e.V. Seit 2001 begleitet sie die Internetpolitik auf EU-, Bundes-, und Landesebene) und Maritta Strasser (Kommunikationsberaterin mit Spezialisierung auf die Themen Internet und Politik. Langjährige Tätigkeit unter anderem für die Bundesregierung, den Deutschen Bundestag und den Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) e.V.).

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