#Kulturflatrate

Die Vogel-Strauß-Debatte um die Kulturflatrate

von , 28.3.10

An der Debatte um das Phantom “Kulturflatrate” ist vor allem bemerkenswert, wie wenig sie sich von der Stelle zu bewegen scheint. Die Sache bleibt “diffus” – aber die Positionen dafür umso unnachgiebiger. Nun haben grüne Netzpolitiker erneut eine Stellungnahme zum Urheberrechts-Smashhit Kulturflatrate veröffentlicht, in der sie der Musikindustrie ein “diffuses Gefühl des ‘Dagegen'” attestieren. Zugleich gibt es – daran lässt das Papier keinen Zweifel – bei den Grünen ein diffuses Gefühl des “Dafür” bei der Flatrate.

Als eine “konsequente Weiterführung” der heutigen urheberrechtlichen Praxis, sei die Flatrate, wie unter anderem Malte Spitz und Konstantin von Notz ihrer Stellungnahme schreiben: “lediglich ein Mittel der regulativen Anpassung an die technischen Gegebenheiten des 21. Jahrhunderts”. Es gäbe zwar “noch kein fertiges Modell”, aber das neue Pauschalvergütungssystem sei ganz sicher “angemessen”. Die Einlassungen der Musikindustrieverbandes seien hingegen “recht unausgegoren”, “unsachlich und haltlos”.

Die Stellungnahme ist eine Frontal-Zurückweisung der Einwände der Musikindustrie. Zehn Thesen hatte die Musikindustrie. Zehn Erwiderungen haben die Autoren – in keinem Punkt teilen sie die Gegenargumente auch nur teilweise. Hier wiederholt sich das Spiel, das bereits bei den 16 Fragen der Buchbranche zu beobachten war – 100 Prozent Zurückweisung: Es steht jetzt 10:0 – nach zuvor 16:0.

Bemerkenswert ist dabei nicht so sehr, dass die grüne Entgegnung auf die Einzelargumente nicht in jedem Detail überzeugt. Bemerkenswert ist vor allem das Gesamtphänomen eines Kulturflatrate-Fundamentalismus, das sich hier abzeichnet. Eine politische Idee soll augenscheinlich rein gehalten werden von allen Zweifeln an den Details. Die Kulturflatrate erscheint wie ein mythisches Fernziel, wie ein entrücktes Paradies immer sprudelnder Musikquellen. Der Götze Kulturflatrate soll gar nicht beschmutzt werden. Er soll als Phantom möglichst lange weiterexistieren.

Warum ist das so? Meine Theorie: Die Kulturflatrate ist gar keine realpolitische Maßnahme, sondern eine politische Waffe.

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Die Kulturflatrate erscheint wie ein mythisches Fernziel, wie ein entrücktes Paradies immer sprudelnder Musikquellen.

Die Kulturflatrate wurde demnach gar nicht erfunden, um jemals Realität zu werden. Sie wurde erfunden, um möglichst lange an dem nutzerfreundlichen Mythos festzuhalten, dass sich eine Kulturindustrie auf Basis von Tauschbörsen organisieren ließe. Die Nutzung von Tauschbörsen erscheint vor diesem Hintergrund als soziale Praxis, die gerade noch nicht legalisiert wurde, weil sich die Industrie noch sperrt. Mit der Kulturflatrate lässt sich ein Schwarzweiß-Schema inszenieren, bei dem die Nutzer zukunftsgewandt und technologiefreundlich erscheinen, die Kulturindustrie hingegen unflexibel und kundenfeindlich. Der Ansatz stellt nichts weniger dar, als ein politisch flankiertes Rent-seeking von Filesharing-Freunden.

Die Kulturflatrate ist so gesehen ein Stück Klientelpolitik für Tauschbörsennutzer, ein Stück netzpolitischer Populismus.

Genau hierin liegt die Inflexibilität der Diskurses um die Kulturflatrate begründet. Eine differenzierte Debatte würde der Kulturflatrate ihren populistischen Glanz nehmen. Es würde sich zeigen: Das Ziel einer Legalisierung der Tauschbörsennutzung wäre zwar zu erreichen – aber nur mit dem Kollateralschaden eines Vergütungssytems von zweifelhafter Qualität.

Doch die Befürworter wollen sich ihre radikal filesharerfreundliche Vision nicht kaputtmachen lassen – und betreiben eine Vogel-Strauß-Debatte, die die Kollateralschäden kurzerhand negiert.

Der Hauptunterschied zwischen Flatrate-Fürsprechern und -Skeptikern liegt höchwahrscheinlich in der Gewichtung der Pole Legalisierung der Tauschbörsen auf der einen und Schaffung eines glaubhaft zielführenden Vergütungssystems auf der anderen Seite.

Bei dem erneuten Schlagabtausch wird deutlich, dass die Autoren der grünen Stellungnahme nicht nur eher auf der Seite des Nutzerpols sind – sondern sich vor allem auch bei den Auswirkungen und der Tragweite der Kulturflatrate ganz erheblich verschätzen:

1. Sie unterschätzen die Tragweite der Umstellung.

Sie verweisen darauf, dass es bei der Kulturflatrate lediglich um die “nicht-kommerzielle” Nutzung von Musik gehe. Daneben könnte es weiter eine kommerzielle Musikindustrie geben, die Mehrwertangebote mache. Doch wer will ernsthaft glauben, dass – wenn alle alles tauschen dürfen – daneben noch ein relevanter kommerzieller Online-Vertriebsmarkt bestehen wird? Die Kulturindustrie vertreibt ihre Inhalte nun einmal zum Großteil an Endkonsumenten. Der Verweis auf “nicht-kommerzielle Nutzung” wird der Tragweite nicht gerecht und verniedlicht die Angelegenheit. Höchstwahrscheinlich würde in Zukunft ein Löwenanteil der Vergütungen von Urhebern über die Flatrate-Verwertungsgesellschaft verteilt.

2. Sie unterschätzen die Schwierigkeit, die Koordinierungseffekte eines Kulturmarktes auch nur halbwegs in einer Verwertungsgesellschaft abzubilden.

Die bestehenden Kulturmärkte haben ihre Macken – aber sie organisieren ein bestimmtes Wissen: Mit welchen Preisen und welchen Produktausprägungen entsteht ein nutzeradäquates, effizientes und innovatives Angebot? Mit der Kulturflatrate würde diese Koordinierungsfunktion vornehmlich Verwertungsgesellschaften zufallen. Nach den bisherigen Erfahrungen, kann man skeptisch sein, ob ihnen dies annähernd befriedigend gelingt.

3. Sie überschätzen die Legalisierungseffekte einer Kulturflatrate.

Die Kulturflatrate verspricht lediglich, das Urheberrechtsproblem im Zusammenhang mit unkommerziellen Tauschbörsen zu lösen. Doch was ist mit kommerziell betriebenen Tauschbörsen? Was ist mit kommerziellen Filehostern? Was ist den kommerziellen Film-Streamingsites, die illegale Inhalte anbieten? Die Kulturflatrate würde nur Teile der bislang illegalen Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke im Internet legalisieren.

4. Sie unterschätzen, wie weitgehend in die Freiheitsrechte der Urheber eingegriffen würde.

Die Kulturflatrate sei keine “Verstaatlichung der Kreativwirtschaft”. Das ist nur teilweise richtig. Den Grünen schwebt bei der Kulturflatrate eine “gesetzliche Lizenz” vor. Den Urhebern würden zentrale Vergütungsansprüche im Online-Vertrieb ohne Widerspruchsrecht abgenommen werden – im Tausch gegen einen staatlich garantierten Vergütungsanspruch. Erhebliche Teile der Umsätze der Kulturindustrie würden so zwar nicht verstaatlicht, aber zentralisiert und zwangsvergesellschaftet – in Verwertungsgesellschaften. Dies stellt einen erheblichen Eingriff etwa in die Grundrechte nach Artikel 5 (Meinungs- und Kunstfreiheit) und Artikel 12 (Berufsfreiheit) des Grundgesetzes dar. Dies würde zu einer massiven Gegenwehr und zahlreichen Klagen führen.

5. Sie überschätzen, wie verbreitet die Tauschbörsennutzung eigentlich ist.

In der Stellungnahme wird fälschlicherweise zitiert, es gäbe laut Brenner-Studie mehr als 10 Millionen Nutzer. Tatsächlich sind es 3,8 Millionen und damit lediglich rund 10 Prozent der Internetnutzer. Die Annahme, fast alle Onliner würden Tauschbörsen nutzen, erweist sich möglicherweise als Fiktion. So wäre die Kulturflatrate auch eine Abgabe, die alle zahlen, obwohl nur ein kleiner Teil die Angebote auch tatsächlich nutzt.

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Die Debatte um eine Kulturflatrate fordert folglich mehr Realismus, mehr Ehrlichkeit und weniger Populismus. In ihrer jetzigen Form erstarrt sie in einer identitätsstiftenden Fiktion, die blind ist für die Kollateralschäden.

Im Zuge einer differenzierten Debatte könnte sich zeigen, dass branchenspezifische und freiwillige Flatrates ein sehr spannendes Modell darstellen. Denn Flatrate-Ansätze sind in der Tat sehr internetadäquat und setzen sehr gut auf die Informationsökonomie des Netzes auf. Die Online-Kulturindustrie bewegt sich bekanntermaßen viel zu langsam und viel zu protektionistisch in Richtung solcher Modelle, die eine echte Alternative zu illegalen Download-Angeboten wären.

Bevor man also den Urhebern weite Teile ihrer Online-Rechte mittels staatlich verordneter Pflichtlizenz abnimmt, sollte man vielleicht noch zwei, drei Versuche starten, die Kulturindustrie hierzulande davon zu überzeugen, dass sie selbst die Lösung finden muss und kann.

Carta-Texte in diesem Zusammenhang:

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