#Kulturflatrate

Kultur-Flatrate: Die (übertriebenen) Sorgen des Marcel Weiss

von , 12.2.09


Marcel Weiss ist – wie er selbst schreibt – „RSS-Junkie“ und „Vollblut-Netize“. Er studiert BWL und betreut als verantwortlicher Redakteur die verdienstvolle Website netzwertig.com. Vor einigen Tagen hat er mich aufgefordert, seine Argumentation zur Kulturflatrate endlich einmal vorurteilslos zur Kenntnis zu nehmen. Das will ich versuchen (auch wenn er meine Position mit ein bisschen Schaum vor dem Mund für einen „irrwitzigen Vorschlag“* hält).

Was sind Marcel Weiss’ Argumente gegen eine Kultur- oder Journalismus-Flatrate?

Ihn stört vor allem, dass sie ein „bürokratisches Monster“ gebären muss – und zwar allein zu dem Zweck, die sinkenden Gewinne einer inkompetenten Industrie (er meint die derzeitige Musikindustrie) wieder aufzupäppeln. Mit einer von der Industrie gelenkten „zentralen Instanz“ („eine verwaltungstechnische Mammutaufgabe“) würden die gesunden Marktmechanismen umgangen werden, was dazu führe, dass ein zu Recht sterbendes Geschäftsmodell künstlich am Leben erhalten werde.
So weit die Hauptargumentation. Darüber hinaus warnt Weiss vor den praktischen Problemen der Umsetzung. Eine Flatrate, sagt er, nütze nur den durchsetzungsstarken Großen und schade den kreativen Kleinen. Das könne anhand der GEMA studiert werden. Auch wisse niemand, auf welcher Mess-Grundlage der Verteilerschlüssel für das Geld eigentlich festgelegt werden soll (statistische Stichproben? Einschaltquoten? Downloads? Page Impressions?). Und schließlich erfordere eine gerechte Verteilung der Gebühren einen gigantischen Überwachungsaufwand – gar nicht zu reden von den vielfältigen Betrugsmöglichkeiten, beginnend beim organisierten Fanclub-Download bis zu allerhand technischen Manipulationen an den Messgeräten.

Was ist von solchen Einwänden (die auch in anderen Blogs seit Jahren zirkulieren) zu halten?

Man sollte sie ernst nehmen. Denn sie enthalten ein paar ausgewachsene Denkfehler und eine ganze Menge Ressentiment. Und sie zeugen von einer gewissen Mutlosigkeit, das Neue politisch zu gestalten. Denn die gefürchtete „zentrale Instanz“ – sagen wir: eine zu gründende öffentlich-rechtliche Internet-Anstalt – würde zwar (wie eine Rundfunkanstalt) die Netz-Produktionen (Blogs, Web-Magazine, Podcasts, Web-TV etc.) ermöglichen, aber nicht – wie von Weiss befürchtet – die „Einschaltquoten“ (= die Nutzung) messen. Das müssten unabhängige Institute (siehe GfK) und/oder Verwertungsgesellschaften (VG Wort) besorgen. Der Aufwand wäre beileibe nicht so groß wie von Weiss befürchtet (viel “irrsinniger” ist doch der Aufwand, alle illegal ins Netz gestellten Inhalte durch individuelle Abmahnverfahren zu beseitigen oder Illegales seitens der Einsteller – durch Entpacken jeder einzelnen Datei – herauszufiltern und zu entfernen).

Kommen wir zur Frage der technischen Messbarkeit: Es ist in der digitalen Welt ohne weiteres möglich, jede einzelne Nutzung von einem Zähler abzulesen. Niemand ist auf Schätzungen oder Hochrechnungen angewiesen. Wer das „Wahnsinn“ oder „Überwachungsstaat“ nennt, verdrängt, dass der Wahnsinn – mit unserer tätigen Mithilfe – längst praktiziert wird (Google: Der Spion, den wir lieben). Auch die Werbung im Netz nutzt solche „Überwachungs“-Daten. Das Problem der Speicherung (das man datenschutzrechtlich lösen muss) wird also nicht erst durch eine Kulturflatrate aufgeworfen, es ist existent.

Auch dass es – wie überall auf der Welt – Betrugsmöglichkeiten gibt, ist unbestreitbar. Aber wird die Autoversicherung abgeschafft, weil es Versicherungsbetrug gibt? Nein. Man trifft Vorkehrungen (Technik, Strafrecht etc.), um den Betrug klein zu halten. Das ist der übliche Weg. Denn es gibt weder ein Flatrate-Paradies noch ein betrugsfreies Leben.
All das sollte uns freilich nicht daran hindern, die Elle demokratischer Prinzipien an künftige Internetanstalten öffentlichen Rechts und an entsprechende Verwertungsgesellschaften anzulegen: Rechtsstaatlichkeit, Transparenz, Partizipation. Alle beteiligten Gruppen (auch die künftige IG Blog) müssen in den Aufsichtsgremien vertreten sein.

Dass die Grünen (die ja nicht für staats-sozialistische Experimente bekannt sind) auf ihrem Europa-Parteitag den Flatrate-Gedanken erstmals unterstützten, ist ein hoffnungsvolles Zeichen, dass die Politik das Problem erkannt hat.

*P.S. Oliver Moldenhauer von Attac schrieb bereits 2004 (!): „Die eigentlichen ‚Nachteile’, die eine Einführung der Flatrate behindern, liegen woanders: Verlieren würden nämlich die Plattenfirmen, die bisher wesentlich mehr Kontrolle über den Markt haben. Ebenfalls verlieren würden die Hersteller von DRM-Technologie und Online-Shops. Diese mächtige Lobby blockiert mit ihrer beispiellosen Verleumdungs- und Angstkampagne bisher den innovativen Vorschlag der Flatrate.“

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