von Jörn Kruse, 20.3.13
Nicht selten werden Politikberater und Lobbyisten in einen Topf geworfen oder dies sogar für unvermeidbar gehalten (vgl. Otto Fricke, Entspannt Euch!, Carta vom 27.02.2013). Dass gegenwärtig ein intransparentes Interessenknäuel zwischen Politikern, Beratern und Lobbyisten besteht, kann man wohl kaum bestreiten. Das heißt aber weder, dass das unproblematisch für die demokratischen Prozesse ist, noch dass es unvermeidbar ist.
Es ist eine fromme Illusion, zu glauben, dass die verschiedenen Interessen sich gegenseitig kompensieren, deren Argumente diskursiv gleichberechtigt zur Geltung kommen, und am Ende eine gute, am Gemeinwohl orientierte politische Entscheidung resultiert. In aller Regel sind die gut organisierten und ressourcenstarken Interessen quantitativ und qualitativ deutlich überlegen, während die Interessen insbesondere von Konsumenten und Steuerzahlern (also der Allgemeinheit) meistens nur wenig Ressourcen, Lobbyisten, Berater und Einfluss haben.
Der Hauptgrund für den sehr großen Einfluss von Beratern und Lobbyisten auf die politischen Entscheidungen liegt in der geringen eigenen Fachkompetenz der Allround-Politiker begründet. Dies ist in der hochkomplexen modernen Welt praktisch unvermeidlich. Es erklärt sich schon aus der großen Zahl heterogener Fachgebiete, die für Politiker-Entscheidungen in einem durchschnittlichen Jahr relevant sind, aus der geringen Zeit, die einem Abgeordneten neben Wahlkreis- und Parteiarbeit, diversen Networking-Aufgaben etc. für inhaltliche Entscheidungsvorbereitung bleibt, und der Tatsache, dass Politiker nicht nach Fachkunde-Kriterien selektiert werden.
Die entscheidende Frage ist eher, welche Berater Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern bekommen, und welche wie viel Einfluss ausüben können. Die Politiker selbst wählen in der Regel Berater, von denen sie vorher wissen oder annehmen können, dass sie Positionen vertreten, die ihnen, ihrer Partei oder den nahestehenden Interessengruppen gut ins Konzept passen. Gute Berater sind teuer. Solche, die sich im Auftrag von Interessengruppen den Politikern anbieten, sind in der Regel gratis (weil die Lobby bezahlt) und häufig fachlich hervorragend. Sie abzulehnen, würde schwerfallen, wenn man schnell eine passende, gut konsumierbare Beratung braucht.
Kann man das ändern? Ja, man kann, wenn man – z.B. die Mehrheit des Parlaments – das wirklich will. Betrachten wir dazu eine gemeinwohlorientierte (z.B. staatliche) Organisation, die mit hinreichenden Finanzmitteln ausgestattet wird. Wie diese gebildet und anreizkompatibel strukturiert werden kann, wird anschließend erläutert.
Wenn ein Problemfeld politische Entscheidungsrelevanz bekommt, beauftragt die Organisation mehrere einschlägige unabhängige Experten, Expertengruppen oder ganze Institute (aus dem In- und Ausland) mit der Erstellung von Studien, die die jeweiligen Probleme analysieren, dabei ihre Prämissen und Methoden offenlegen, die Zusammenhänge in möglichst allgemeinverständlicher Weise darstellen und entweder zu nachvollziehbaren Entscheidungsempfehlungen kommen, oder Szenarien formulieren, die den Politikern ihre tatsächlichen Optionen aufzeigen.
Je nach Komplexität und Bedeutung des Problems können das ca. vier bis acht voneinander unabhängige Experten oder Teams sein, vor allem, wenn verschiedene Fachgebiete involviert sind. Die jeweiligen Experten werden beratungsgestützt ausgewählt, das heißt, andere Experten der betreffenden Fächer aus dem In- und Ausland werden bei der Auswahl herangezogen. Alternativ oder ergänzend können auch offene Ausschreibungsverfahren in Betracht gezogen werden, bei denen sich einschlägige Experten um entsprechende Aufträge bewerben können.
Hauptkriterien bei der Auswahl sind Fachkompetenz, Unabhängigkeit von einschlägigen Interessen und die frühere Performance als Berater oder in anderen Kontexten. Es wird auf Pluralität bezüglich eventuell verschiedener Ansätze, Denkschulen und Sichtweisen geachtet. Die Experten sollen nicht nur von den einschlägigen Interessen unabhängig sein, sondern während des Auftrags auch voneinander, damit dann eigenständige Analysen und Empfehlungen vorliegen. Diese werden zum gleichen Zeitpunkt fertiggestellt und veröffentlicht.
Die Studien werden so gut honoriert, dass man die besten Experten gewinnen kann. Da die Studien sofort publiziert werden, wird erstens ein hohes Maß an Transparenz für die Öffentlichkeit hergestellt. Zweitens werden die Studien sofort nach Erscheinen durch Fachkollegen kritisch begutachet und gegebenenfalls öffentlich diskutiert, so dass eventuelle fachliche Schwächen oder tendenziöse Schlussfolgerungen aufgedeckt werden. Somit bestehen starke Anreize für exzellente Studien und abgewogene Empfehlungen. Auf diese Weise ist ein hohes Maß an unabhängiger, ergebnisoffener Expertise im öffentlichen „Meinungsmarkt“ (und damit auch für die Medien) verfügbar, gegen die die interessengeleiteten Lobbyargumente einen schweren Stand haben werden.
Wie kann man sich die Organisation vorstellen, die die Studien beauftragt und bezahlt?
Eine Möglichkeit ist, dass es sich um ein staatliches Gremium handelt, das von den Bürgern gewählt wird. Dabei sollten Politiker und Lobbyisten vom passiven Wahlrecht ausgeschlossen werden, wie das beim Bürgersenat der Fall ist. Die Mittel kommen aus dem staatlichen Budget.
Eine zweite Möglichkeit, die nicht die Zustimmung der Politiker und keine Steuermittel erfordert, könnte darin bestehen, dass z.B. eine gemeinnützige Stiftung die Aufgabe übernimmt, die Wahl eines solchen Gremiums durch die Bürger zu organisieren und für die Finanzierung zu sorgen. Ob eine solche „private Lösung“ ein geeignetes Substitut für den Bürgersenat als offizielle Institution des Staates darstellt, hängt im Wesentlichen davon ab, ob diese in verlässlicher, nicht-diskriminierender Weise gemeinwohlorientiert agiert. Sie hätte es vermutlich auch schwerer, in prioritärer Weise das Ohr der Abgeordneten zu bekommen.
Politikberatung hat Konjunktur. Die Diskussion über Beratung auch. Das hat auch etwas mit der Konturlosigkeit des Begriffs zu tun. So steht das Schlagwort „Beraterrepublik“ für den Einfluss von Lobbygruppen, Kommunikations-Agenturen und Unternehmensberatungen. Gleichzeitig hat nicht zuletzt die Finanzkrise Zweifel an der Qualität wirtschaftswissenschaftlicher Experten ausgelöst.
In einer kleinen Serie veröffentlicht Carta Positionen von Gastautoren, die Politikberatung als Auftraggeber, Berater oder Beobachter kennengelernt haben – zwischen Mythos, Macht und Machbarkeitsglaube. Zum Thema gab es am 7. März auch einen Carta Diskurs.
- Klaus Schubert: Ein Blick aus der (Politik-)Wissenschaft (13.03.2013)
- Peter Ruhenstroth-Bauer: Zauberhafte Transparenz (06.03.2013)
- Otto Fricke: Entspannt Euch! (27.02.2013)
- Birgit Wentzien: Leben im Transit · Dürfen Journalisten Politiker beraten? (20.02.2013)
- Christian Humborg: Kriminelle Politikberatung (13.02.2013)
- Volker Riegger: Suggestion der Alternativlosigkeit: Politikberatung und Euro-Krise (06.02.2013)