#Demokratie

Kritik am Titanic-Titel: Wer besudelt hier wen?

von , 13.4.10

Zum aktuellen Titanic-Titel habe ich noch nichts geschrieben; ich halte ihn für einen extrem zuspitzenden, aber guten Kommentar.

Norbert Geis hat nun in der Tagespost einen Artikel veröffentlicht, den ich für den eigentlichen Skandal halte: »Unüberbietbare Besudelung«.

Theologisch verwischt er die Kernbotschaft des Christentums, und politisch dehnt er den § 166 StGB (den alten »Gotteslästerungsparagraphen«) so weit, daß der Staat nur noch vordergründig ein säkularer bleibt (da muß man sich dann über die Außenwirkung des Christentums nicht wundern).

Im Untertitel geht es schon los: »Die „Titanic“-Karikatur ist strafbar – Auf Meinungsfreiheit kann sich das Blatt nicht berufen« – bei Norbert Geis ist das Programm: Grundrechte absprechen gehört bei ihm zum üblichen politischen Geschäft. Der § 166 StGB liegt ihm daher besonders am Herzen, und in seinem Tagespost-Artikel ist es ihm darum zu tun, zu begründen, warum das Bild strafrechtlich relevant sein soll. Das ist nicht ganz einfach, muß die Darstellung doch dazu geeignet sein, »den öffentlichen Frieden zu stören«.

Zunächst leitet Geis die Beschimfpung des Bekenntnisses her, gipfelnd in diesem Satz:

Eine größere Missachtung des Kreuzes und der Würdenträger der katholischen Kirche und damit der Kirche selbst, ist kaum denkbar. Die Besudelung des Kreuzes ist nicht mehr zu überbieten.

Wird hier tatsächlich ein religiöses Bekenntnis »beschimpft? (Zur Frage der »Blasphemie« aus einer theologischen wie politischen Sicht habe ich schon einmal ausführlich geschrieben: »Idiosynkrasie, Blasphemie und Theodizee«) Meine religiösen Gefühle jedenfalls werden verletzt, wenn ich so etwas lese: Das Kreuz wird gerade nicht mißachtet, sondern radikal ernstgenommen. Hier wird ins Bild gesetzt, was es heißt, wenn Christus, der »Gott gleich ist«, sich »entäußert und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich« (Philipperhymnus), daß er sich mit den geringsten seiner Brüder identifiziert. Daß ein Bischof als der Vergewaltiger Christi dargestellt ist, ist natürlich eine polemische Zuspitzung – aber soll das unberechtigt sein, wenn selbst Bischof Ackermann feststellt, daß in der Kirche vertuscht wurde?

Nachgerade pervers in der Einschätzung ist der zweite zitierte Satz: Ein Bild soll die nichtüberbietbare Besudelung des Kreuzes sein. Ist das schon Idolatrie? Es treibt jedenfalls die fragwürdige theologische Figur der Blasphemie als Lästerung Gottes auf die Spitze: Was für ein Gott ist das, dessen Ehre und Würde man beschädigen kann? Und, schlimmer noch, eine zynische Dummheit ist es, die um die maximal hysterische Empörung zu erreichen in Kauf nimmt, daß das reale Leiden von echten Menschen (gar im Namen der Kirche!) bestenfalls einen zweiten Platz hinter dem bösen Bild einnehmen muß, wenn überhaupt.

(Eine theologische Spitzfindigkeit am Rande: »Das Gesicht des Gekreuzigten wird mit dem Ausdruck eines blöden Menschen dargestellt«, schreibt Geis. Weiß er, daß Jesus nicht immer der brünettgelockte Schönling im Stil der Nazarener war? In der Tradition von Jesajas viertem Gottesknechtslied argumentierten Theologen wie Justin, Tertullian und Clemens von Alexandrien, daß Jesus häßlich dargestellt werden müsse: Daß Christus wie ein »blöder Mensch« aussieht – das ist der Kern christlicher Theologie, die das Leid der Menschen nicht vergessen hat.)

Das ist der eine Grund, warum ich Geis’ Artikel für eine unterirdische Entgleisung halte. Nicht nur theologisch ist der Einwurf ein Totalausfall, auch politisch. Geis fährt fort, um den zweiten Teil der Strafbarkeitsvoraussetzung zu prüfen: Die Möglichkeit der Störung des öffentlichen Friedens. Geis konstruiert ein Bild einer Kirche in Not, die unter der »Hetze« der »Schreiberlinge« (»wie losgelassene Kettenhunde«) und ihren »lächerlichen und kleinkarierten Angriffen« Freiwild geworden ist. Die Staatsanwaltschaft müsse einschreiten, denn:

Es darf […] nicht der Eindruck entstehen, gegenüber den katholischen Gläubigen dürfte jeder sich alles erlauben.

Wieder ein infames Bild: Eine wütende Öffentlichkeit fordert ja gerade ein, daß man sich gegenüber Menschen nicht alles erlauben kann und hinterfragt daher aufs peinlichste eine Institution, die so staatstragend ist, daß sie selbstverständlich und verfassungsrechtlich geschützt Privilegien genießt und nutzt.

Die Argumentation wird aber weitergedreht:

Allerdings geht es nicht nur um den Schutz der Gläubigen und der Kirche vor Beschimpfung, es geht letztlich auch um die Grundlagen unserer Demokratie. Das Christentum ist für die moderne Welt unverzichtbar.

Das ist, gelinde gesagt, originell. Geis distanziert sich dann im folgenden zwar von der offensichtlichen Deutung dieses Satzes, nämlich daß das Reich Gottes etwas politisch zu erreichendes sein soll. Er dehnt damit aber den Paragraphen 166 so weit, daß er eine ganze verfassungsmäßige Ordnung tragen soll: § 166 als gesetzgewordenes Böckenförde-Diktum; Geis liest aber nur den Anfang – »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.« –, ohne weiterzulesen und das originelle, das freiheitliche Element Böckenfördes zur Kenntnis zu nehmen:

Anderseits kann [der freiheitliche Rechtsstaat] diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt, mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren versuchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.

Böckenförde ist religionsneutral; die moralische Substanz muß nicht religiös begründet sein. Für Geis ist aber nur eine religiöse Begründung moralischer Substanz möglich. Mit Dostojewski scheint für Geis alles erlaubt, wenn es Gott nicht gibt, und damit wäre das Christentum staatstragend als notwendiges Fundament – durch die Hintertür wird doch das erreicht, wovon Geis sich expressis verbis distanzieren will: eine Form von Staats-Kirche – oder Kirchen-Staat. (Warum ich auch aus christlicher Perspektive die These ablehne, daß ohne Glauben an Gott keine Moral möglich sei, habe ich vor einiger Zeit unter dem Titel Moral ohne Gott. Anmerkungen zu Kolakowski geschrieben.)

Böckenförde geht es auch nicht um eine wie auch immer verfaßte Organisation; ihm geht es um eine moralische Substanz. Christlicher Glaube, der die Würde jedes einzelnen Menschen ins Zentrum stellt, kann eine solche Substanz sein. Reduziert man diese Substanz aber auf das Christentum, dann schließt man alle anderen aus; auch die Titanic ist ein Teil jenes vorpolitischen, vor-staatlichen Raumes, das moralische Substanz bildet: Teil einer kritischen Öffentlichkeit, die (und sei es blödelnd oder polemisch) den Finger in die Wunden legt. Soziales Kapital (darum geht es Böckenförde) ist immer zwiespältig: Die, die drinnen sind, profitieren davon, die draußen haben durch ihren Mangel daran Nachteile. Nur auf das Christentum kann daher ein freiheitlicher Staat nicht bauen.

Wendet man den § 166 so weit an, wie Geis das fordert, macht man mithin etwas nebulöses und hochgradig Subjektives wie »religiöse Gefühle« zu einem absoluten Wert (baut also nicht zu hinterfragende Autoritäten auf). Das endet gerade in einem Totalitätsanspruch des Staates. Ein vorpolitischer Raum muß daher ein pluraler sein, auch, damit sich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Subsysteme gegenseitig kontrollieren können: Die Titanic hat nicht den geringsten Respekt vor irgendeiner tatsächlichen oder vorgeblichen Autorität; komplementär dazu fordert die Kirche Respekt vor absoluten Werten ein. Auf beides kann eine freiheitliche Gesellschaft nicht verzichten. Wenn man anfängt, solche Institutionen strafrechtlich zu verhindern, kommt es zu Schieflagen.

Crosspost von fxneumann.de.

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