#ABDA

Kriminelle Politikberatung

von , 13.2.13

Vor rund zwei Monaten wurde der Berliner Politikbetrieb aufgeschreckt. Guido Bohsen berichtete auf Sueddeutsche Online, dass sich ein Lobbyist auf möglicherweise kriminelle Art und Weise Zugang zu vertraulichen Dokumenten im Gesundheitsministerium verschafft habe. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt weiterhin. Der Vorwurf der Politikspionage war in allen Medien (zu Recht) zu lesen und die Empörung war (zu Recht) groß.

Worum ging es genau? Ein IT-Mitarbeiter eines Dienstleisters des Gesundheitsministeriums soll sensible Daten gestohlen haben, unter anderem E-Mails zu Gesetzentwürfen. Er soll regelmäßig Inhalte kopiert und sie für einige hundert Euro weiterverkauft haben.

Seit Jahren war man darüber verwundert, dass der Branchendienst „apotheke adhoc“ oft sehr früh über neue Gesetzentwürfe berichtete. Am Aufbau der Website war Thomas B. beteiligt, Pressesprecher der Apothekerlobby ABDA (Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände) in den Jahren 2007 bis 2011 und seitdem freier Lobbyist.

Sollte sich eine Verknüpfung des Ausspionierens des Gesundheitsministeriums und der anschließenden Nutzung in der Politikberatung herausstellen, wäre dies mindestens seit der Wiedervereinigung der erste Fall einer Verknüpfung von Kriminalität und Politikberatung. Sicher, gerade erst wurde in Wien ein Schuldspruch gegen den Waffenlobbyisten Alfons Mensdorff-Pouilly gesprochen, doch man kann den Eindruck bekommen, dass der dem Verfahren zu Grunde liegende Sachverhalt eher mit Auftragsbeschaffung für BAE Systems als mit Politikberatung zu tun hatte.

Kaum Aufsehen erregte vor zwei Wochen der Artikel „Die Komplizen des Maulwurfs“ in der taz. Darin macht Heike Haarhoff erstmals deutlich, dass es ernsthafte Anhaltspunkte gibt, dass der ABDA ausspionierte Dokumente selbst nutzte. Der ABDA hatte sich am 12.12.2012 von einer auf solchen Weise erfolgen Informationsbeschaffung distanziert und ging davon aus, dass sich der bestehende Verdacht nur gegen Einzelne richten kann. Sechs Tage später vermeldeten die Apothekerlobbyisten die Gründung einer Arbeitsgruppe. Diese soll interne Prozesse und Richtlinien überprüfen, Umgang mit Behörden bewerten, internen Schulungsbedarf evaluieren, und es soll ein Compliance-Beauftragter ernannt werden. Obwohl sie bereits bis Januar dem Geschäftsführenden ABDA-Vorstand Empfehlungen aussprechen soll, hat man seitdem nichts mehr von der ABDA gehört. Statt dessen erfuhr man, dass ABDA-Sprecher Florian Martius Ende März aus persönlichen Gründen ABDA verlässt. Martius war einer der sechs Mitglieder der Arbeitsgruppe „Verbands-Compliance“.

Nach den ersten Berichten zum Skandal hatten sich viele Beobachter gefragt, wieso sich  möglicherweise ausspionierte Dokumente auf einer Website wiederfanden. Denn die Kenntnis dieser Dokumente würde einen Wettbewerbsvorteil in der Politikberatung darstellen. Aber durch die Veröffentlichung wurde eine Nutzung der Dokumente in Gesprächen erst ohne Risiken möglich. Lobbyisten und Politikberater konnten sich darauf berufen, dass sie die Dokumente ja aus dem Internet hätten, wo sie jeder einsehen könne. Bei einer versteckten Nutzung wäre eine Berufung auf mögliche Gesetzespläne unmöglich geworden, weil sofort die Nachfrage erfolgt wäre, woher man denn diese Informationen habe. Die Wahrheit werden wir vielleicht erfahren, falls es zum Gerichtsverfahren kommt oder die ABDA endlich ihre Karten auf den Tisch legt.

Zwei vom Fall losgelöste Fragen bleiben zu beantworten: Ist die vorzeitige Veröffentlichung von Gesetzentwürfen nicht im Sinne von Transparenz und Rechenschaftspflicht zu begrüßen? Ich meine, nein. Ich halte regelmäßige Veröffentlichung von Gesetzentwürfen im gesamten Politikentwicklungsprozess für geboten, aber ich halte es auch für legitim, dass ein Ministerium zunächst im eigenen Haus einen Entwurf vertraulich abstimmen kann. Es ist aber durchaus vorstellbar, dass im Rahmen der Einführung eines legislativen Fußabdrucks dieser Entwicklungsprozess nach Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens veröffentlicht werden sollte.

Weiterhin kann man fragen, ob das beschriebene Treiben überhaupt als Politikberatung bezeichnet werden kann. Ich meine, ja. Politikberatung bezeichnet die Beratung zu politischen Fragen (und nicht ausschließlich die Beratung von Politikern), unabhängig davon, ob diese Beratung wissenschaftlich, interessengetrieben oder sogar kriminell erfolgt. Zum Vergleich: Anlageberatung, welche die Beratung zu Anlageprodukten bezeichnet, kann ebenso provisionsunabhängig, provisionsabhängig oder sogar kriminell erfolgen. Genug Gerichtsverfahren beweisen dies.

Bei der Beschaffung öffentlicher Aufträge hat es immer wieder kriminelle Machenschaften gegeben. Manchmal kam es auch zu Verurteilungen. Das Kontrollparadox ist ein kriminologisches Phänomen. Je höher der Kontrollaufwand und die Präventionsbemühungen, desto eher steigt die Anzahl entdeckter und bekannt gewordener Fälle. Warten wir ab, ob dies auch im Bereich der kriminellen Politikberatung gilt.

 

Politikberatung hat Konjunktur. Die Diskussion über Beratung auch. Das hat auch etwas mit der Konturlosigkeit des Begriffs zu tun. So steht das Schlagwort „Beraterrepublik“ für den Einfluss von Lobbygruppen, Kommunikations-Agenturen und Unternehmensberatungen. Gleichzeitig hat nicht zuletzt die Finanzkrise Zweifel an der Qualität wirtschaftswissenschaftlicher Experten ausgelöst.
In einer kleinen Serie veröffentlicht Carta in den nächsten Wochen Positionen von Gastautoren, die Politikberatung als Auftraggeber, Berater oder Beobachter kennengelernt haben – zwischen Mythos, Macht und Machbarkeitsglaube. Zum Abschluss der Serie widmet die Reihe Carta Diskurs dem Thema am 7. März eine Veranstaltung.

 

 

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