#"Unsere Mütter unsere Väter"

Krieg im TV: Unsere Mütter, unsere Väter

von , 20.3.13

Die Kurzfassung für Wenigleser: Anschauen. Teil 1 und Teil 2 in der Mediathek des ZDF, Teil 3 heute um 20:15 Uhr im ZDF.

Etwas weiter unten erzähle ich, was mich stört, was es sonst so gibt, und was meine Großeltern damit zu tun haben.

Deutsches Fernsehen kommt bei mir nur noch am Rande vor; zu selten sind die wirklich guten Momente geworden. Die Unterhaltung orientiert sich am kleinsten gemeinsamen Nenner, mutige Experimente finden sich auf Sendeplätzen, die nur Schlafwandler ansprechen. Aber ein- bis zweimal im Jahr strahlen die öffentlich-rechtlichen Hauptsender doch mal aus, was vielversprechend produziert wurde.

Am 17. März war es dann soweit, der erste Teil eines ambitionierten Dreiteilers über den Zweiten Weltkrieg aus deutscher Perspektive lief. Im Hauptabendprogramm des ZDF, um kurz nach 20 Uhr, auf einem Sendeplatz, der sonst für schleimige Heftchenromanzen reserviert ist.

Der einschlägig bekannte Produzent für herzzerreißende Liebesgeschichten vor historischem Hintergrund, Nico Hofmann, hat eine Geschichte um fünf Freunde in der zweiten Hälfte des WK2 geschaffen. Seine bisherigen großen Epen überzeugten zwar das breite Publikum von SAT1, ARD und ZDF, mich nicht. Simpel gestrickte Charaktere, die angeblich “große” Gefühle versuchten zu leben, während um sie herum Phosphorbomben fielen, Versorgungsflüge nach Berlin gingen, Luftschiffe abhoben und niedergingen …

Mir war das immer zu sehr Michael Bay, zu provinzieller Versuch, Hollywood zu imitieren. Zu flach, zu uninteressant. Viel Geld für eine deutsche TV-Produktion ist immer noch weniger Geld, als ein typischer Independent-Film in den USA zur Verfügung hat. Das sollte durch eine eigene Bildsprache, durch Konzentration und vor allem durch ein scharf geschriebenes Drehbuch ausgegeben werden. Nicht für die Imitation von Blockbustern.

 

In den Krieg

Seit der Jahrtausendwende hat die Schlagzahl fiktionaler und dokumentarischer Aufarbeitung des Zweiten Weltkriegs in den USA zugenommen. Nicht zuletzt die Erkenntnis, dass jene, die damals gekämpft haben, die in der Heimat auf Nachricht warteten, in Fabriken Waffen herstellten oder in Lagern aller Art eingesperrt waren, am Ende ihres Lebens stehen, spornte Historiker und Filmemacher an.

Einen weiteren Anstoß gab Steven Spielberg, dessen Schindler’s List (1993) und stärker noch Saving Private Ryan (1998) zeigten, dass auch 60 Jahre nach Kriegsende noch großes Interesse besteht. Spielberg ist als Produzent auch verantwortlich für die exzellente Dokumentation Shooting War (2000) über die Fotografen der amerikanischen Truppen, sowie Clint Eastwoods brillantes Double Feature Flags of Our Fathers und Letters from Iwo Jima von 2006.

2007 schuf Ken Burns mit The War eine 14 Stunden lange Dokumentation über den Zweiten Weltkrieg, wie ihn amerikanische Bürger weltweit erlebten. Einige der befragten Veteranen tauchen 2010 wieder in der Docufiction The Pacific, dem Nachfolger von Band of Brothers auf.

Mich hat immer gewundert, weshalb US-Amerikaner und Briten [mit The Great War von 1964 über den Ersten Weltkrieg und The World at War, 1973] den Deutschen so weit voraus sind, wenn es darum geht, den großen, weltumspannenden Krieg von 1914 bis 1945 in Dokumentationen oder fiktionalen Stoffen aufzuarbeiten. Wie einige Historiker sehe ich die Zeit zwischen 1914 und 1945 zunehmend als einen großen Krieg mit einer kurzen Periode, in der die größeren Teilnehmer sich nicht aktiv beschossen haben.

Ein Grund ist sicherlich, dass es sehr schwierig ist, aus Tätersicht einen packenden Film zu machen, vor allem, wenn man selbst Täter ist. In den ersten 15 Jahren nach dem Krieg gab es einige gute deutsche Filme, die vor allem den Umgang der BRD mit den ehemaligen Nazis thematisierten. Rosen für den Staatsanwalt sei hier genannt, aber auch Die Mörder sind unter uns, der bereits in der Besatzungszeit entstand. Beide übrigens von Wolfgang Staudte. Andere, vielversprechende Stoffe wurden auf der Leinwand eher zur Landserromantik, z.B. die drei 08/15-Filme, die ein wenig klamaukig daherkommen.

 

Das Schweigen der Alten

Die Interviews mit den Veteranen und ihren Familien in den US-Produktionen Band of Brothers, The Pacific und The War machen deutlich, dass nicht nur deutsche Kriegsteilnehmer teils über Jahrzehnte geschwiegen haben. Wir erkennen auch, wie wenig es mit der Frage der menschenverachtenden Täterschaft der Deutschen zu tun hat, und wie sehr es um Verdrängung grausamer Bilder und Erlebnisse im Allgemeinen geht.

Obwohl viele an Alpträumen litten und das Erlebte ihnen immer im Weg stand, waren es wenige, die darüber sprachen. Auch Robert Leckies Helmet for My Pillow und Eugene Sledges With the Old Breed – u.a. Vorlage für The Pacific – wurden erst lange nach Ende des Krieges geschrieben und veröffentlicht. Neben individuellen Gründen – man wollte nicht an Schreckliches denken –, war auch eine Gesellschaft schuld an der Verdrängung, die psychische Probleme nicht wahrhaben wollte; Männer, die an PTSD litten, schnell als Irre weg sperrte.

Die drei TV-Serien Band of Brothers, The War [mit viel Material, das vorher selten zu sehen war] und The Pacific zeigen uns, wie Schlachtfelder für diejenigen aussehen, die kämpfen. Beschönigt wird nichts.

 

Unsere Mütter, unsere Väter

Vergessen wir den unglücklichen Titel der aktuellen ZDF-Produktion. Meine Eltern wurden während des Krieges geboren, ihre ersten wirklichen Erinnerungen stammen aus den letzten Kriegsjahren. Heute wären sie über 70, wie wohl die meisten Väter und Mütter von über 40-jährigen. Wir sind selbst längst die Elterngenerationen, unsere Kinder sind vielleicht selbst bereits erwachsen. Die Hofmann’schen Väter und Mütter sind unsere Großeltern.

Auch, wenn meine Großväter eher nicht über den Krieg gesprochen haben; die Großmutter, die ich noch erlebte, ein deutlich idealisiertes Bild des Dritten Reichs mit sich trug, habe ich mir nie Illusionen darüber gemacht, was sie damals getan haben. Die Details ihrer persönlichen Geschichte mögen uns unbekannt sein – auch weil wir nicht rechtzeitig, nicht intensiv genug nachfragten, als es noch ging. Die groben Züge waren nie ein Geheimnis. Meine Großeltern waren keine Verfolgten, sie waren keine heimlichen Widerständler. Sie waren überzeugte Nazis.

Nico Hofmanns Unsere Mütter, unsere Väter zeigt den Zweiten Weltkrieg aus deutscher Sicht, wie US-Produktionen den Krieg auf amerikanischer Seite zeigen: realistisch, ungeschönt, ehrlich. In der Werbung für den Film wurde gesagt, er hätte sich von Band of Brothers inspirieren lassen. Das ist zumindest in den bisher ausgestrahlten beiden Teilen hion und wieder zu sehen; einige derselben Schnitttechniken wurden angewandt, Kampfszenen wurden durch Entfernen einzelner Bilder gerafft, Zeitlupe wird zwischengeschaltet.

Anders als in den US-Serien haben wir es nicht mit nur leicht dramaturgisch überarbeiteter echter Geschichte zu tun, sondern sehen komplett fiktive Menschen. Und genau da zeigen sich Schwächen. Die Gruppe, deren Mitgliedern wir folgen, ist ein wenig zu didaktisch gewählt – der Karriereoffizier mit Gewissen, der pazifistische Bruder, der gezwungenermaßen in den Krieg zieht (ausgerechnet in der Kompanie seines Bruders), die angehende Schauspielerin, die ihre sexuelle Ausstrahlung nutzt, um den jüdischen Freund zu retten, sowie das naive Mädchen, das jeden Propagandamist glaubt, bis es an der Front die Folgen des Krieges sieht.

Kein überzeugter Nazi, alles Mitläufer unterster Kategorie mit vagen widerständlerischen Ideen. Man hört Jazz, obwohl Goebbels und ‘der Führer’ diese Musik als ‘entartete Negermusik’ verurteilen. Immerhin ergibt sich da einer der raren humoristisch gelungenen Aspekte: die gehörte Platte ist von Teddy Stauffer. Man hat seinen Juden im Keller – gut, er ist (bisher) nicht im Keller versteckt, aber man verschafft ihm einen gefälschten Pass. Die junge Naive unterstützt eine Zeitlang eine jüdische Russin im Frontlazarett. Der Pazifist macht russische Flieger auf den Kompaniestandort aufmerksam. Der Offizier legt sich mit dem SS-Sicherheitsdienst an, um jüdische Kinder zu retten.

Das ist alles zu sehr Entnazifizierungsentschuldigung, wie sie die Alliierten nach dem Krieg jeden Tag hundertfach hörten. Unsere Mütter, unsere Väter waren gar nicht wirklich üble Kandidaten, sie waren – mindestens klammheimlich – Widerständler. Leider wirkt sich das auch auf die Dialoge aus, die ohnehin an der deutschen Unsitte leiden, alles zu erklären, statt den Film zeigen zu lassen. Der Zuschauer wird da für erheblich dümmer gehalten, als er ist.

Am deutlichsten wird dies im Feuergefecht zwischen Winters Kompanie und russischen Scharfschützen. Die Offiziere, Unteroffiziere und Schützen schreien lauthals ihre Aufgaben und Taktik heraus, mit der sie die Russen ausschalten wollen. Im ästhetischen Vorbild Band of Brothers wird dem Zuschauer überlassen, was genau die Soldaten vorhaben. Diese unterhalten sich per taktischer Zeichensprache, um weder ihre Position noch ihr geplantes Vorgehen zu verraten.

Auch sonst wird viel geredet, wo Bilder sprechen könnten. Viel geredet, wo man voraussetzen könnte. Viel erläutert, wo Schauspiel gefragt ist. Die schablonenhaften Kameraden der Winter-Brüder – hier finden wir endlich einen überzeugten Nazi, blond, blauäugig, hochgewachsen, arrogant, gewalttätig – sind Lautsprecher für Pseudo-Propaganda-Sätze, die sie sich an den Kopf werfen. Das wirkt teilweise albern, und immer unecht.

Das ist besonders bedauerlich, da es durchaus Szenen und Dialogfetzen gibt, die zeigen, dass die Macher es besser können. Zum Beispiel als die verängstigte Schauspielerin zu einem SS-Sturmbannführer einbestellt wird. Auch im Lazarett und an der Front sind es vor allem die stummen Momente, die überzeugen – der Versuch, einem steifgefrorenen Soldaten Woll-Stiefelüberzieher und Tarnponcho wegzunehmen. Das Fällen einer Fichte, um die Spitze als Tannenbaum zu nutzen. Oder, als Winter sieht, wie einer Ziege (war doch eine?) das Fell abgezogen wird; Metapher statt platte Berichterstattung. Die langsam wachsende Erkenntnis der naiven Krankenschwester, dass die akquirierte Russin Ärztin ist. Und womöglich Morphium stiehlt. Und entgegen ihrer Aussage eine Jüdin ist.

Die typischen Schwächen der Event-Programme Nico Hofmanns tauchen auch in diesem Film auf und schaden seinem Anliegen erheblich. Ist die Liebesgeschichte zwischen junger Naiver und dem älteren Winter-Bruder wirklich nötig, damit der Zuschauer sich emotional involviert fühlt? Mussten die Figuren solche Schablonen sein? Konnten Autoren, Produzenten, Regisseur und Schauspieler nicht aus papiernen Expositionsdialogen glaubwürdige Gespräche formen?

Eberhardt Fechner hat mit seinen Filmen nach Vorlagen Walter Kempowskis in den 1970ern meisterhaft gezeigt, wie es geht. Edgar Reitz’ Heimat von 1984 hat gezeigt, wie man ehrlich und unterhaltsam mit schwierigen Themen umgehen kann. Nicht nur die Kritiker fanden es gut, Fechner und Reitz erreichten das große Publikum im Hauptabendprogramm.

Bei allen Mängeln bleibt Unsere Mütter, unsere Väter eine sehenswerte Produktion, die ich jedem ans Herz lege.

 

Und noch was

Wir müssen uns endlich eingestehen, dass das 3. Reich in all seinen Schrecklichkeiten nicht das Werk weniger Krimineller oder des personifizierten Bösen war. Bevor wir es nicht schaffen, anzuerkennen, dass es unsere lieben Großeltern waren, die damals Geschichte machten, die auf Wachtürmen im KZ standen, die Massaker wie Babi Yar anrichteten, die fast ganz Europa mit Panzern überfielen, werden wir nicht anfangen können, zu verstehen, wie es dazu kommen konnte.
 

Crosspost von es bleibt schwierig
 

  • Update
    Der Branchendienst kress berichtet von einem Zuschauerrekord (siehe auch Quotenmeter):

    7,63 Mio Zuschauer verfolgten den Abschluss der Trilogie, darunter 2,08 Mio unter 50. Im Vergleich zum bislang stärksten ersten Teil vom Sonntag wuchs die Gesamtzuschauerzahl um 410.000, gegenüber Montag um 1,06 Mio. Bei den Jüngeren verzeichnete das ZDF 17,5% Marktanteil (nach 14,5% und 13,7%), insgesamt 24,3% (nach 20,1% und 19,5%)

  •  

  • Wolfgang Michal in der FAZ: „Unsere Mütter, unsere Väter“ · Wunschtraumata der Kinder

 

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.