von Karsten Wenzlaff, 13.5.14
Wenn am 13. Juni 2014 15.000 Abonnenten ihre 60 Euro zu www.krautreporter.de beigetragen haben und die Redaktion beginnt, die gesammelten 900.000 Euro in unabhängigen Journalismus zu überführen, wird damit auch ein neues Kapitel in der Mediengeschichte der Bundesrepublik aufgemacht: Es wäre der Beginn der Finanzierung von Online-Medienhäusern durch die Crowd – ohne Haushaltsabgabe, Werbeeinblendungen oder Querfinanzierungen.
28 Journalisten und Journalistinnen versuchen, sauber recherchierten, spannenden und werbefreien Journalismus durch ihre Abonnenten finanzieren zu lassen.
Revolutionär – fast.
Denn Subskriptionsmodelle gab es im Journalismus eigentlich immer schon. Vermutlich war die Druckerpresse gerade erst erfunden, als sich die ersten Verleger auf den Weg machten, um Leser zu finden, die ihre Druckerzeugnisse vorfinanzierten. Nichts Neues also?
Die Begriffe Crowdfunding und Schwarmfinanzierung sind den Deutschen mittlerweile gut bekannt. Viele kleine Geldbeträge finanzieren ein Projekt – so würde ich meinen Großeltern Crowdfunding erklären, nachdem ich klar gemacht hätte, dass es nichts mit Kraut- und Kochbüchern zu tun hat.
Das Banale und zugleich Spannende am Journalismus-Crowdfunding ist, dass die Leser so Inhalte finanzieren, die sie selbst konsumieren möchten. Kein Verlegergremium, keine Chefredaktion, kein Anzeigenkunde, kein Programmbeirat und kein Intendant stehen zwischen Konsument und Journalist. Das Neue ist also, dass die alte Form der Subskriptionsfinanzierung wiederentdeckt wird.
Ausgehend vom amerikanischen Vorbild spot.us hat die Plattform Krautreporter von Sebastian Esser gemeinsam mit der Crowd in den letzten zwei Jahren viele innovative Projekte ermöglicht: Reisereportagen wie über Taiwan, Youtube-Kanäle wie Jung & Naiv oder Recherchewikis wie Lobbyplag.
Crowdfunding? Ich hab ein Medienunternehmen und will davon nichts wissen
Aus Sicht von Medienhäusern hatten diese Projekte überhaupt keine Relevanz für ihr eigenes Geschäftsmodell – zu projektfokussiert, zu klein die Summen. Nicht zuletzt bei der re:publica 2014 wurde bei der Diskussion zwischen Richard Gutjahr, Sascha Pallenberg, Philip Banse und Claudia Heydolph behauptet, dass die tägliche Arbeit von Medienhäusern nicht über Crowdfunding finanziert werden könnte.
Auf den Plattformen gab es allerdings eine ganze Reihe von Projekten, die schon aufzeigten, dass dies keineswegs unmöglich ist.
Auf Visionbakery finanzierte sich schon vor drei Jahren das Magazin Päng und wiederholte die erfolgreiche Finanzierung auf startnext. Auf derselben Plattform finanzierten sich neue Zeitschriften für Frauenfußball oder neue Medienapps für Wissenschaftsjournalismus.
Diese Projekte versuchten alle, ein neues Format zu finanzieren, als Zeitung eine neue Zielgruppe zu finden, eine neue Herangehensweise an die Artikel, eine neue Form der Radioshow zu finden. Crowdfunding brachte den Projekten vor allem die Gewissheit, dass es einen Markt für ihre neue Form des Journalismus gibt.
Crowdfunding nur für Rampensäue?
Ein anderes Phänomen versperrte den Blick auf die Möglichkeiten des Crowdfundings: das Buchprojekt von Dirk von Gehlen oder der noch von Dieter Hildebrandt initiierte Störsender suggerierten, Crowdfunding müsse immer an erfolgreiche Namen gekoppelt sein, und die Redaktionsarbeit könne sich ohne die Rampensäue des Journalismus eben nur auf klassischem Weg finanzieren.
In Deutschland hatten die Journalistinnen Lisa Altmeier und Steffi Fetz mit Crowdspondent gezeigt, dass es manchmal weniger auf den Bekanntheitsgrad als auf die Idee ankommt. Die beiden fuhren mehrere Wochen nach Brasilien und übernahmen Rechercheaufträge aus der Crowd. Ihre Leser waren nicht nur Geld-, sondern auch Ideengeber, Ermutiger, Wegbereiter.
Die Crowd will mehr als nur Kunde sein, sondern einbezogen werden, mitmachen.
Natürlich haben es Journalisten mit großen Namen einfacher – sie haben schon eine Crowd. Man weiß, wie sie schreiben, liest ihre Tweets, kennt ihren Stil. Das kann manchmal auch unfair sein, wenn ein Journalismus-Promi nämlich in wenigen Tagen einen fünfstelligen Betrag erreicht, ein neues Journalismusprojekt hingegen ordentlich für das Geld arbeiten muss – aber Medienkonsumenten sind Gewohnheitstiere. Warum sonst schauen so viele Menschen die Tagesschau?
Crowdfunding als Langzeitfinanzierungsstrategie und als Qualitätsversprechen
Gerade aber, weil die Medienkonsumenten ihre Gewohnheiten lieben und deswegen Marken so schätzen, könnte Crowdfunding als Finanzierungsstrategie für große Medienhäuser sehr wohl funktionieren. Die Leser von spiegel.de, tagesschau.de, zeit.de oder faz.net nutzen diese Online-Medien, weil sie die Marken aus dem Print oder dem Fernsehen kennen. Sie wissen, dass dort Journalisten mit eigenen Namen und eigenen Meinungen arbeiten. Auch die Journalisten auf Krautreporter werben in ihren Profilen mit den Namen dieser etablierten Medienmarken, für die sie arbeiten.
Das Vorbild von Krautreporter ist der niederländische De Correspondent. Im September 2013 wurden innerhalb von acht Tagen 15.000 Abonnenten gefunden – sechs Monate später sind es 30.000 Menschen, die das Portal mit 60 Euro im Jahr finanzieren. Wenn man das Finanzierungsexperiment von Krautreporter in diesem Sinn weiterdenkt, ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch hier in einem Jahr die Summe bei 2 oder 3 Millionen Euro liegt.
Wie viel Geld braucht ein Medium pro Jahr, um sich zu finanzieren? Es gibt viele Verlagshäuser, denen das Budget vollkommen ausreichen würde, um ein hochwertiges Magazin zu veröffentlichen. Aber könnte man auch einen Fernsehsender, die komplette Staffel einer Sendung, eine mehrjährige Redaktionsarbeit finanzieren? Vermutlich wird man es erst herausfinden, wenn man es ausprobiert.
Vielleicht muss man auch das Crowdfunding komplett andersherum denken. Jens Best hat einmal vorgeschlagen, dass beispielsweise ein bekannter Journalist wie Hans Leyendecker Crowdfunding ausprobiert – nicht für sich selbst, sondern für von ihm ausgewählte Projekte. Leyendecker kuratierte dann und sorgte durch seine Bekanntheit, seine Marke, für die Reichweite von unbekannteren Journalisten. Warum nicht?
Solange die Crowd nur als Klickvieh, als Quotenbringer oder Abonnenten gesehen wird, wird sie genau so reagieren: passiv. Solange man der Crowd nicht offen die Finanzierungsalternativen aufzeigt, die es gibt (oder auch nicht), wird sie keinen Sinn in einer Finanzierung sehen. Solange die Crowd darauf reduziert wird, bei kleinen Projekten als Lückenbüßer zu wirken, solange Crowdfunding im Netz noch als Bettelbrief verstanden wird, werden es alle etablierten Medienhäuser leicht haben, sich mit dem Thema nicht weiter auseinanderzusetzen.
Insofern ist die Unterstützung für das neue Krautreporter-Projekt viel mehr, als nur die Unterstützung der 28 Blogger: Sie ist ein Schub für das Umdenken in den Medienhäusern und letztlich für gesellschaftlichen Wandel. Wer den will, muss Abonnent werden.
Karsten Wenzlaff bloggt u.a. auf ikosom.de
- Krautreporter: Das große Experiment
- Lorenz Matzat: 900.000 Euro per Crowdfunding: Warum das Vorhaben von Krautreporter gelingen oder scheitern kann
- Jens Rehländer: Wie Krautreporter dem “Correspondent” nacheifern
- kress, Sebastian Esser über das Magazin “Krautreporter: “Der Dialog mit dem Leser soll uns auszeichnen“
- Das Digitale Quartett #63: Medien im Wandel – Krautreporter & “La Libération”
- Noch mal Lorenz Matzat, mit einer ersten Bewertung: Fünf Gründe, warum ich von dem Krautreporter-Konzept enttäuscht bin