#Bundesverfassungsgericht

Kommentar-Presseschau zur Vorratsdatenspeicherung

von , 2.3.10

Netzpolitik.org bedauert, dass sich das Bundesverfassungsgericht nicht getraut hat, die EU-Richtlinie gleich mit zu kippen.

Der Kampf gegen die Vorratsdatenspeicherung geht also weiter in die Verlängerung. Wir müssen Druck auf die Bundesregierung und vor allem auf die FDP aufbauen, dass diese unsere digitalen Bürgerrechte Ernst nehmen.


Heribert Prantl sieht einen Kurswechsel in der Entscheidung, da nun erstmals eine anlasslose Datenspeicherung auf Vorrat als nicht schlechthin mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärt wurde.

Seit dem Urteil zur Volkszählung im Jahr 1983 hatte das Gericht immer wieder betont, dass das Grundgesetz den Bürger “gegen die unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner Daten” schütze. Das ist nun nicht mehr der Fall. Das höchste deutsche Gericht weicht von seinem bisherigen Credo ab.

Angesichts der abweichenden Meinungen der Richter Schluckebier und Eichberger, die den Grundrechtseingriff durch die Vorratsdatenspeicherung für weniger schwerwiegend halten, könne man “nur hoffen, dass dies nicht die Vorboten eines allmählichen Schwenks der Rechtsprechung des Ersten Senats sind, der bisher den Rechtsstaat hochgehalten hat.”

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In diese Richtung geht auch der Kommentar von Julia Seeliger in der taz. Große Hoffnung in die FDP setzt sie bei der Neufassung des Umsetzung nicht. Vielmehr stellt sie fest, dass die heutige Entscheidung helfen wird, “ein Speicher-Gesetz zu machen, das genau in die äußersten Ränder des Grundgesetzes eingepasst ist.” Die Konsequenz ist daher:

Wer keine Daten auf Vorrat gespeichert sehen will, muss nun mit einem größeren Gegner kämpfen: Mit der EU-Richtlinie, auf der das deutsche Speicher-Gesetz fußt. Seit heute morgen wird der europäische Kampf für die Privatheit auch von Deutschland aus gefochten. Sofort nach der Entscheidung haben Bürgerrechtler angekündigt: Kurs auf Straßburg, zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof. Wenn der die Vorratsdatenspeicherung für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklärt, wird sich keine Bundesregierung mehr trauen, ein neues Speichergesetz zu machen.

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Spiegelfechter bezeichnet das Urteil in “Die Vorratsdatenspeicherung ist tot, es lebe die Vorratsdatenspeicherung” als Pyrrhussieg, denn die Unschuldsvermutung wird weiter ausgehöhlt.

Der Bürger ist seit heute nicht mehr zunächst unschuldig – er gilt als potentieller Straftäter. Seine Daten sind damit auch nicht mehr die Daten eines Unschuldigen, sondern potentielle Beweise, die bei der Verfolgung von Straftaten oder der Abwehr von Gefahren eingesetzt werden können, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch nicht einmal absehbar sind. Die Daten dürfen erst einmal auf Vorrat gespeichert werden. Dieser Paradigmenwechsel wurde heute durch Karlsruhe mit dem höchstrichterlichen Stempel versehen – fürwahr kein Ruhmesblatt für die deutsche Justiz.

Es gibt jedoch bei aller Kritik auch etwas Lob von Jens Berger:

Löblich ist auch der technische Sachverstand, mit dem die Richter Gefahren der illegalen Datenverwendung durch private Stellen unterbinden wollen. Ein so mächtiger Datenpool weckt Begehrlichkeiten und wo eine Nachfrage für solche Daten besteht, ist die Gefahr eines Missbrauchs stets gegeben. Um diese Gefahr zu minimieren, nennt das Bundesverfassungsgericht eine Reihe von Datenschutzmaßnahmen – eine getrennte Speicherung, eine asymmetrische Verschlüsselung, das Vier-Augen-Prinzip, verbunden mit fortschrittlichen Verfahren zur Authentifizierung für den Zugang zu den Schlüsseln, und eine revisionssichere Protokollierung von Zugriff und Löschung. Diese Vorgaben sind wichtig und richtig – allzulange konzentrierte sich die Kritik der Speicherungsgegner auf den Staat als Datenkrake, die Gefahr eines Datenmissbrauchs an der Stelle der Datenspeicherung, also bei den Providern selbst, ist jedoch ungleich größer.

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Kai Biermann zieht auf Zeit Online eine positive Bilanz.

Theoretisch hätten diese Forderungen auch durch eine Änderung des bestehenden Gesetzes umgesetzt werden können. Jedoch scheint es, als wollten die Richter den üblichen Reflex der Politik verhindern, ein solches Urteil sofort als Bestätigung des eigenen Handelns zu verkaufen und nur ein wenig Kosmetik vorzunehmen. […] Es ging, so scheint es, um eine Erziehungsmaßnahme: Denkt bitte noch einmal grundsätzlich darüber nach, was Ihr da tut!

Mehr kann das Bundesverfassungsgericht nicht leisten, ein neues Gesetz kann und darf es nicht schreiben. Das müssen die Bürger tun, in Person ihrer dafür von ihnen gewählten Vertreter, dem Parlament.

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Es finden sich mittlerweile 110 Pressemitteilungen zur Vorratsdatenspeicherung bei Presseportal.de.

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