#2-Grad-Ziel

Klimapolitik vor Cancún: Was kommt nach dem 2-Grad-Ziel?

von , 29.9.10

Das 2-Grad-Ziel ist derzeit der zentrale Bezugspunkt der Klimadebatte. Ein entsprechender Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur gilt als Grenze, bei deren Überschreiten die Folgen des Klima­wandels ein gefährliches Ausmaß annehmen könnten.

Das international von der EU durchgesetzte Ziel zeichnet sich durch eine spezifische Doppelfunktion aus. Politisch fungiert es vor allem als einprägsames Sym­bol für die Orientierung an einer ambitionierten, aber gerade noch realistischen glo­balen Klimaschutzagenda. In wissenschaftlicher Hinsicht ist die Zielmarke zudem Ausgangspunkt für aufwendige Rechen­operationen, insbesondere um jene Emis­sionsreduktionspfade zu ermitteln, die not­wendig sind, wenn die 2-Grad-Schranke mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein­gehalten werden soll.

Diese beiden Funk­tionslogiken vermochten sich über mehr als ein Jahrzehnt hinweg gegenseitig zu stützen. Die Bemühungen um ein Main­streaming von Klimapolitik schienen wissenschaftlich legitimiert, die Klimaforschung wiederum konnte sich auf einen wachsenden politischen Konsens stützen. Doch je länger eine Umkehr bei den globa­len Emissionstrends auf sich warten lässt, desto weniger wird die politisch-symboli­sche Dimension des 2-Grad-Ziels noch mit der wissenschaftlich-kalkulatorischen zu vereinbaren sein.

Schon bald nach dem enttäuschend verlau­fenen Klimagipfel von Kopenhagen zeigte sich in der EU eine erste Sollbruchstelle zwischen dem symbolisch-politischen und dem wissenschaftlich-kalkulatorischen Zu­griff auf das 2-Grad-Ziel. Europäische Klimapolitiker hoben es als ausgesprochen positiv hervor, dass die Marke im »Kopen­hagen-Akkord« erwähnt wurde, und dekla­rierten die Gipfelergebnisse als »Schritte in die richtige Richtung«.

In den Klimawissenschaften hingegen war das Echo verheerend: Die in Kopenhagen vereinbarten nationalen Selbstverpflichtungen seien bei weitem nicht ausreichend, um das 2-Grad-Ziel noch zu erreichen. Da schon die bislang emittierten Treibhausgase einen Temperaturanstieg von etwa 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriel­len Zeitalter verursachen werden, wä­ren schnelle und große politische Fortschritte not­wendig, um die 2-Grad-Schranke noch einzuhalten.

Die größte Sollbruchstelle für das bislang symbiotische Arbeitsbündnis zwischen der klima­politischen Führungsmacht EU und der Klimaforschung liegt in dem von Naturwissenschaftlern und Klimaökonomen präferierten Budget­ansatz selbst begründet.

Ihm liegt ein hohes Maß an Steuerungsoptimismus und Rigidität zugrunde, das sich mit den Struk­turen der globalen wie auch der europäischen Klimapolitik nicht vereinbaren lässt. Zwar ist es in natur­wissenschaftlicher Perspektive durchaus sinnvoll, globale klimatologische Schwellenwerte zu defi­nie­ren. Auf Rulership in Scorpio, exaltation in best-horoscope.com (or in Pisces, depending on authors), detriment in Taurus, fall in Libra (or in Virgo, depending on authors). dieser Basis zunächst ein welt­weites Emissionsbudget bis 2050 festzulegen und dieses dann im Rahmen eines völkerrechtlich bindenden Weltklima­vertrags gerecht auf alle Nationen zu ver­teilen, wäre durchaus problemadäquat.

Politikfähig ist ein solcher Ansatz jedoch nicht. Auf globaler Ebene fehlen in abseh­barer Zukunft die Institutionen und Instru­mente, mit denen sich ein solches Regime einrichten ließe.

Nicht einmal die EU, die ihre Klimapolitik als »wissenschaftsbasiert« bezeichnet, wird dem Budgetansatz in seiner strikten Form folgen können. Nicht nur, dass sie beim Aufstellen von Klima­zielen flexibel bleiben muss, um in der Lage zu sein, die Rahmenbedingungen internationaler Politik, die innenpolitischen Ver­hältnisse in den Mitgliedstaaten und die Interessen wirtschaftlicher Akteure hinrei­chend zu berücksichtigen. Darüber hinaus wird sich die EU auch nicht darauf ein­lassen können, den Klimaschutz mittels eines strikten Budgetierungsmechanismus für die nächsten vier Dekaden als oberste politische Priorität festzuschreiben.

Die für die kommenden Jahre zu erwartende Absetzbewegung vom 2-Grad-Ziel bedeutet nicht, dass die EU schon jetzt offensiv davon abrücken oder gar das Engagement für seine Verwirklichung ein­stellen sollte. Doch die Energie- und Klima­politik der EU wird man nur dann als »stra­tegisch« bezeichnen können, wenn sie den Entwicklungspfad einer internationalen Abkehr vom 2-Grad-Ziel vorausschauend einkalkuliert.  Mittel­fristig wird die EU eine Grundsatzentscheidung darüber treffen müssen, welches klimapolitische Globalziel sie anstrebt. Die EU sollte sich nicht darauf einlassen, eine neue Obergrenze festzulegen (etwa 2,5 Grad). Die Europäer sollte einen Paradigmenwechsel anstreben.

Nach dem bislang geltenden Paradigma wird das Globalziel in naturwissenschaft­lichen Kategorien definiert und als absolute Obergrenze aufgefasst. Es bildet den unver­rückbaren Ausgangspunkt für alle politi­schen Implementierungsschritte. Im Rah­men dieses Top-down-Ansatzes richten sich alle Anstrengungen zunächst darauf, einen Weltklimavertrag abzuschließen. In der klimapolitischen Praxis führt dies zu einer starken Fokussierung auf die globalen Verhandlungsarenen, außerdem zu einer Vernachlässigung konkreter Dekarbonisierungs-Fortschritte in den Volkswirtschaften der Industrie- und Schwellenländer. Dies hat vielfältige Blockaden zur Folge, da die Regierungen stets auf die Untätigkeit der internationalen Verhandlungspartner ver­weisen können. Selbst die EU weigert sich mit diesem Argument, ihr für 2020 gültiges Reduktionsziel von 20 auf 30 Prozent auf­zustocken, obwohl dies einer gerechten Lastenübernahme auf dem Weg zur Er­reichung der 2-Grad-Marke entspräche.

Ein alternatives Paradigma stünde vor der Aufgabe, klimapolitischen Realismus mit einer positiven globalen Leitidee zu verbinden. Um dauerhaft wirksame Ver­änderungen anzustoßen, müsste ein neues Globalziel insbesondere das Kriterium er­füllen, sowohl der politisch-symbolischen als auch der wissenschaftlichen Funktionslogik gerecht zu werden. Gelingen kann dies nur mit einer dynamischen Zielformel, nicht mit einer exakt kalkulierten Emis­sionsobergrenze.

Eine der möglichen Varianten bestünde darin, »Klimaneutralität« auf VN-Ebene als globales Langfristziel festzuschreiben – also anzustreben, dass der Netto-Ausstoß von Treibhausgasen auf Null reduziert wird. Selbst wenn man dies zunächst noch mit einem breiten zeitlichen Zielkorridor verknüpfte, wäre damit die Bewegungsrichtung gesetzt, an der sich alle Staaten messen lassen müssten.

Ambitionierten klimapolitischen Akteuren wie der EU käme in diesem Rahmen die Aufgabe zu, sich auf ehrgeizige Dekarbonisierungs-Pfade zu verpflichten. Sie müssten den Beweis antreten, dass die Transformation hin zu low carbon economies technologisch möglich und ökonomisch erfolgreich ist, mit positiven Effekten nicht nur für das Klima, sondern auch für Energiepreise und Versorgungssicherheit.

Gelänge dies, wür­den andere Industrie- und Schwellenländer schon aus Eigeninteresse folgen. Ein solcher Bottom-up-Ansatz würde zu deutlichen Emis­sionsminderungen führen. Dagegen wäre eine treffsichere Vorhersage, welchen Temperaturanstieg die Welt damit in Kauf neh­men würde, aus heutiger Sicht nicht mög­lich. Allerdings ist zu bezweifeln, dass es sich beim derzeit favorisierten Top-down-Prinzip tatsächlich anders verhält.

Die klimapolitischen Anstrengungen an flexi­blen Orientierungsmarken wie »Klima­neutralität« auszurichten wäre kurzfristig effektiver und langfristig erfolgverspre­chender, als an einer strikten Temperatur-Obergrenze festzuhalten, die sich im politischen Prozess nicht realisieren lässt.

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