#Die ZEIT

Klassische Intellektuelle und voll digitalisierte Pudelmützenträger, vereinigt Euch!

von , 14.12.13

Das Feuilleton der Zeit ist begeistert. Endlich wieder ein gerechter Papier-Krieg gegen das digitale Böse! Iris Radisch nennt den Protest der 560 Schriftsteller einen „Angriff auf das digitale Imperium“. Und Kollege Biermann ergänzt: „Nur Untertanen schweigen zur digitalen Überwachung“.

In den Ohren anderer klingt der Autorenprotest unerträglich naiv. Der Journalist und Netzpolitiker Lorenz Matzat polemisierte deshalb auf der Digital-Plattform netzpolitik.org gegen die zahme Unterschriftstellerei. Das Protestschreiben sei so vage formuliert, dass kein echter Widerstand daraus hervorgehen werde. Vor allem das Interview der Initiatoren Juli Zeh und Ilja Trojanow mit der FAZ verdarb ihm die Laune:
 

„Gut, ich könnte mich jetzt noch ellenlang weiter über dieses Interview lustig machen, in dem treuherzig darüber geredet wird, dass man ja “überhaupt keinen Schuldigen” nennen will. Aber man irgendwie doch radikal sein will, aber dennoch den Aufruf möglichst allgemein halten will, um niemanden vor den Kopf zu stoßen.“

 
Matzat und netzpolitik.org flogen daraufhin die Kommentare nur so um die Ohren. Typisch deutsche Kleinkariertheit, hieß es; sofort wird ein ideologischer Keil in den noch zarten Widerstand gegen die Überwachung getrieben. Anstatt herumzumäkeln solle man lieber dankbar sein, dass sich die Schriftsteller wieder zu Wort melden. Jahrelang hätten sie privatisiert und den von Böll, Grass & Co. geerbten Titel des „Gewissens der Nation“ ängstlich ausgeschlagen. Nun engagieren sie sich wieder, und kriegen sofort eins auf die Mütze.

 

Wie zahm ist der klassische Intellektuelle?

Tags darauf ruderte Matzat zurück. Er lobte den Schriftsteller-Protest und präzisierte, was an seiner Polemik vom Vortag total missverstanden worden sei. Der Kern seiner Kritik lautet:
 

„Erklärungen, Aufrufe und Petitionen sind genug ergangen und alleine werden sie nichts bringen…

Schaut man sich beispielsweise die Geschichte des Widerstands gegen die Atomenergie an, zeichnete die Anti-AKW-Bewegung folgendes aus: Klares Ziel: Keine Atomenergie/-müll; Ausdauer (seit Wyhl 1973), etablierte Strukturen wie Kongresse, Ratschläge und Medien; heterogene Zusammensetzung (Bauern & Autonome); einen parlamentarischen Arm (Grüne). Und eine von weiten Teilen der Bewegung getragene Einigkeit darüber, dass zum Kanon der Protestmethoden ziviler Ungehorsam und Gewalt gegen Sachen gehört. Dass sich der Widerstand rund um die AKWs und im Wendland an diesen Fragen nie hat spalten lassen, dürfte Teil seines Erfolgs gewesen sein.

Nun mangelt es einem möglichen Widerstand gegen die Überwachungsprogramme bislang an einem Kristallisationspunkt wie Gorleben und die Castortransporte. Ob es “Galionsfiguren” bedarf, wäre zu diskutieren. Wichtiger ist aber derzeit die Frage, wie kann so eine Protestbewegung überhaupt zusammenfinden, sich verständigen, koordinieren und organisieren?

Es gäbe hierzulande mögliche Autoritäten, die so etwas anschieben könnten – wie weit deren Anerkennung reicht, steht auf einem anderen Blatt. Zu nennen wären CCC, Digitale Gesellschaft, Digitalcourage, Piraten, Campact, Attac, Gewerkschaften, Kirchen, Die Linke, Grüne, einige Medien sowie weitere ungenannte Gruppen und Verbände. Doch wer versucht es, ruft außerhalb des Netzes zu einem Kongress, einem Ratschlag auf?“

 
Bei Matzat wird also der breite Widerstand gegen die Notstandsgesetze (1968), die atomare Bewaffnung (Mutlangen 1983) und die Atomkraftwerke (Wyhl 1973) beschworen. Er ruft dazu auf, nicht länger Papierresolutionen zu verfassen, sondern zu handeln.

 

Wie weltverloren ist der voll digitalisierte Pudelmützenträger?

Ganz anders der rhetorische „Angriff auf das digitale Imperium“ im Zeit-Feuilleton. Von einem „Epochenwechsel“ ist da die Rede. Und davon, dass „der klassische Intellektuelle“, diese „beinahe vergessene Figur der Literaturgeschichte“, nun „mit Wucht“ auf die öffentliche Bühne zurückkehre. Im Gestus eines Émile Zola fordere der klassische (!) Intellektuelle „die westliche Staatengemeinschaft und die digitalen Großkonzerne in ihre Schranken“. Wie aufregend!

Und wie erleichternd! Endlich wird der prekäre, „voll digitalisierte Pudelmützenträger“, der nichts von der Welt kennt als seinen „aufgeklappten Rechner“, wieder durch die „echte“ bildungsbürgerliche Gegenmacht der analogen Schreiber mit ihren Tintenfässern und Federkielen ersetzt:
 

„Was gerade noch Vorbild und Hoffnung war, ist es plötzlich nicht mehr: die kalifornische Kindergeburtstagsstimmung unter den gläsernen Büroangestellten, der Jugendkult um den sympathischen voll digitalisierten Pudelmützenträger, die Bewunderung für die heldenhaft weltverlorenen Online-Intellektuellen, die Arbeit und Struktur nur im aufgeklappten Rechner fanden. Ihnen begegnet eine intellektuelle Gegenmacht, die zu Aufruhr und digitaler Askese entschlossen ist, ohne aus dem digitalen Zeitalter aussteigen zu wollen.“

 
Die voll digitalisierten Pudelmützenträger können aus solchen Zeilen durchaus ein wenig Schadenfreude über die Vertreibung aus ihrem digitalen Paradies (= “kalifornischer Kindergeburtstag”) herauslesen. Sie nehmen vielleicht auch wahr, dass es dem „klassischen“ Feuilleton der Zeit und seinen „digitalen Asketen“ mehr um die Verteidigung des Papiers als um die Verteidigung der Bürgerrechte geht.

Als „weltverlorene Online-Intellektuelle“ werden die voll digitalisierten Pudelmützenträger überdies die Parallelen zur Auseinandersetzung um das „geistige Eigentum“ erkennen – dort, wo im Aufruf der Schriftsteller zu lesen ist: „Überwachung ist Diebstahl“ und: “Meine Daten gehören mir”. Aus solchen Sätzen lugt nicht nur die Sorge der Demokraten um ihre bedrohte Demokratie hervor, sondern auch die Sorge des Bürgertums um sein bedrohtes Privat-Eigentum und seine intellektuellen „Besitzstände“.

 

Journalist oder Netzpolitiker?

Aber selbst, wenn dem so wäre – who cares? Sollte nicht zuallererst eine Solidarisierung stattfinden – über alle Unterschiede und Vorbehalte hinweg? Muss man nicht auch mal den Mund halten können und fünfe gerade sein lassen? Wer heute, wo es vordringlich darum geht, eine breite Protestbewegung überhaupt erst mal zustande zu bringen, schon wieder über Unverträglichkeiten und ideologische Bedenken streiten möchte, ist ein grottenschlechter Organisator. Wer aber die vorhandenen Differenzen mutwillig ausblendet und zugunsten von „Friede, Freude, Eierkuchen“ beiseite schiebt, ist ein grottenschlechter Journalist. In dieser Zwickmühle befand sich der Journalist und Netzpolitiker Lorenz Matzat.

Als Journalist war seine Kritik unbedingt notwendig, als Netzpolitiker war sie unentschuldbar deplatziert.

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