von Frank Lübberding, 13.11.13
Wie es im Himmel zugeht, erfahren wir gerade an dieser Idee der Telekom. Als Konsequenz aus dem NSA-Skandal soll der innerdeutsche Internetverkehr in Zukunft innerhalb Deutschlands abgewickelt werden. Es ist auch nicht plausibel, eine Mail von Hamburg nach München über den Umweg USA zuzustellen. Nun gibt es darüber auf Twitter unter dem hashtag #schlandnet eine Mischung aus Hohn und Empörung. Es ist jener deutschtümelnde Kosmopolitismus, der schon immer die Pose des kritischen Kritikers mit Politik verwechselte. Besonders prinzipienfest ist dabei die Internet Society (ISOC.DE e.V.). Sie fürchtet die “Balkanisierung” des Internets.
Der Begriff ist interessant. Unter “Balkanisierung” verstand man vor dem 1. Weltkrieg jenen Prozeß der Auflösung des Vielvölkerreichs der Habsburger Monarchie. Den Nationalisten galt Österreich-Ungarn als Völkerkerker.
Erst mit den späteren Erfahrungen nationalistisch motivierter Kriege sollte der Begriff negativ besetzt werden. Er steht heute für Krieg, Kleinstaaterei und politisches Chaos. Das Image der Habsburger änderte sich entsprechend im Laufe der vergangenen Jahrzehnte. Aus dem Völkerkerker wurde das beschauliche Leben in der alten Monarchie. Das hat nicht nur etwas mit Sisi und ihrem Kaiser Franz zu tun, sondern hat sich in der ernsthaften Geschichtsschreibung ihren Platz erobert. In Christopher Clarks Studie zum Ausbruch des 1. Weltkrieges ist diese Neubewertung zu spüren.
Das damalige Österreich-Ungarn wirkt heute auf die Nachgeborenen angesichts der späteren Erfahrungen wie eine Idylle. Von dieser Großzügigkeit ist allerdings für einen der k. u. k.-Nachfolgestaaten wie Jugoslawien noch nichts zu spüren. Wahrscheinlich wird das auch erst den Historikern des Jahres 2091 auffallen.
In der Stellungnahme der Internet Society ist diese Idylle ebenfalls zu spüren. Die guten alten Zeiten des Internets werden beschworen. Nur fehlt halt noch die Liebesgeschichte mit Romy Schneider und Karl-Heinz Böhm in den Hauptrollen.
“Denn die Prinzipien der Offenheit, Transparenz und Neutralität sind es, wegen denen das Internet in seiner 45-jährigen Geschichte seine einzigartige gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung erlangen konnte. Vorschläge, die eine Re-Territorialisierung der Strukturen des Netzes und damit seine „Balkanisierung“ erzwingen wollen, würden dagegen das Ende eines freien Internets einleiten und so zugleich auch die gesellschaftliche Fortentwicklung einer offenen, freien und demokratischen Gesellschaft behindern.”
In Wien gäbe es heute immer noch einen Kaiser, wenn es in der Doppelmonarchie nicht den ungarischen, serbischen, polnischen und tschechischen Nationalismus gegeben hätte. Nur war der Nationalismus nicht die alleinige Ursache des späteren Dramas, sondern vor allem die Folge der Reformunfähigkeit des Habsburger Herrschaftssystems. Man wollte sich in Prag oder Zagreb nicht mehr von Wien und Budapest aus regieren lassen. So könnte auch das Internet ohne den digital-ökonomischen Komplex frei sein. Die Frage ist jetzt nur:
Will man sich vom Silicon Valley aus regieren lassen?
Darauf gibt die Internet Society keine Antwort. Sie kann nur die Idylle beschwören. Der Kampf gegen die Vermachtung des Netzes erschöpft sich in der Deklamation hehrer Grundsätze. Die Fortentwicklung einer offenen, freien und demokratischen Gesellschaft ist angesichts der Wirklichkeit ein schlechter Witz: Unter den heutigen Bedingungen droht eher deren Abschaffung.
Die Gefahr der Balkanisierung ist ein polemisches Argument, das allerdings vor allem die historische Blindheit solcher Netzdebatten zeigt: Die Autoren haben nämlich keine Ahnung, was unter Balkanisierung zu verstehen ist. In Wirklichkeit ist der Schutz der Grundrechte bis heute an den Nationalstaat gebunden. Nur dort gibt es die politischen Instrumente, um die Konsequenzen der Digitalisierung im Sinne demokratischer Verfassungsstaaten zu regulieren. Die Souveränität über die eigenen Netze ist deren technologische Voraussetzung.
In Europa hat man es allerdings vermocht, dem Nationalstaat durch Übertragung von Kompetenzen an die Europäische Union Grenzen zu setzen. Das war die Antwort auf die beiden Katastrophen in der ersten Häfte des 20. Jahrhunderts. Diese Antwort ist auch viel älter (und erfolgreicher) als das Internet. Dort formuliert man aber lieber solche Antworten politischer Irrelevanz:
“Es geht um die Zivilgesellschaft gegen die Institutionen. Geheimdienste müssen weg. Der Nationalstaat muss überwunden werden. Grenzen müssen fallen.”
Man will seinen Kaiser Franz wiederhaben, so das dort artikulierte Narrativ. Dabei wäre nichts wichtiger, als die Wiedergewinnung der Souveränität über die Netze kritisch zu begleiten. Etwa, ob die Ausgestaltung jenen Grundrechtsschutz gewährleistet, dessen Fehlen bekanntlich der Anlaß für diese Debatte gewesen ist. Aber wahrscheinlich überlässt man das dann doch besser der FDP.
Crosspost von Wiesaussieht
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