von Wolfgang Michal, 7.11.12
Alles begann mit einem furchtbar harmlosen Anruf. Ob man nicht wieder einmal zusammen Tee trinken könne, Teetrinken und Ratschen.
Johannes Ponader hatte eigentlich keine Lust dazu. Er saß gerade an einem längeren Essay über „Polyamorisches Feedback“ für das Feuilleton der FAZ, und das Damoklesschwert des Medienverbots hing weiter über ihm. Doch der nette junge Redakteur des Postboten drängte und drängte.
Solchem Drängen war der zerbrechliche Johannes Ponader nicht gewachsen. Es wäre für ihn „extrem kompliziert“ und sehr “unhöflich” gewesen, einfach Nein zu sagen. Also willigte er ein. Vielleicht würde ja eine Geschichte über sein mögliches Comeback dabei herausspringen.
Am späten Nachmittag traf man sich in der Wohnung des Redakteurs. Auf dem Tisch lag eine große Tüte sortenreiner glutenfreier Gummibärchen in Ponaders Lieblingsgeschmacksrichtung Orange. Daneben stand eine weiße Jugendstil-Kanne mit wohlriechendem Tee: Anis gestoßen, gut gegen Blähungen.
Der freundliche Redakteur hatte Bleistift und Block neben das Stövchen platziert, und als er zu seiner ersten Frage anhub, unterbrach ihn Ponader mit leicht koketter Stimme. „Du willst doch nicht wieder Sachen über mich schreiben!?“
„Ich weiß es noch nicht“, antwortete der Redakteur mit glaubhaft gerunzelter Stirn, während er sich mit einem Fächer Luft zufächelte, „das kommt ganz darauf an. Aber wie man hört, werden die Rufe nach dir immer lauter. Du könntest die Partei retten!“
„Ach, ich weiß nicht“, sagte Ponader schwach, nippte an seinem Tässchen, legte den Kopf leicht nach hinten, strich sich verträumt über die Brusthaare und wickelte seinen Schal zerstreut um sein Haupt. „Für die Partei wäre es wohl das Beste, aber für mich? Bin ich überhaupt für die Politik gemacht?“
Der junge Redakteur mühte sich, Ponaders scheue Selbstzweifel zu zerstreuen. „Gestern erst“, hub er wieder mit einschmeichelnder Inbrunst an, „hat mir ein bayerischer Pirat erzählt, wie wichtig du für die Partei immer noch bist. Er sagte, du hättest ihr mit deinen schlanken Fesseln erst ein Gesicht gegeben. Auf diesen Vorteil verzichtet man ungern.“
„Oh ja“, erwiderte Ponader geschmeichelt, „da magst du wohl recht haben. Wer außer mir könnte die Partei voranbringen? Meine Fesseln sind nun mal sehr attraktiv. Das macht mir auch ein bisschen Angst.“ Erschrocken über sein Betragen schlug er die Augen züchtig zu Boden. Dann nippten beide wortlos noch ein wenig an ihren Tässchen. Erst beim Hinausgehen fragte Ponader leise: „Die wörtlichen Zitate – die kann ich doch vorher noch mal sehen?“
Der Redakteur nickte ausweichend.
Vier Tage später wirbelte ein Hurrikan durch die Medien, wie ihn die Republik noch nicht gesehen hatte. Unter der unziemlichen Überschrift „Der gute Tee“ hatte der Postbote eine freie Interpretation des Gesprächs publiziert. Mit bizarr aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten: Aus „Ich weiß nicht so recht, ob ich die Partei retten soll“ wurde ein „Ich weiß nicht recht, ob ich die Partei wohl retten soll“. Aus „Zur Zeit wird oft nach mir gerufen“ wurde ein „Derzeit nehmen die Rufe nach mir zu“. Furchtbare Verdrehungen!!
Ponader sah sich vom netten Redakteur des Postboten missbraucht und getäuscht und alarmierte seine Verbündeten auf Twitter, schließlich war er „der Pirat mit der größten Reichweite“. Ja, es entwickelte sich eine regelrechte Schlacht um die Deutungshoheit, um die Lage der Demokratie, des Journalismus, der Authentizität und der Autorisierung im Allgemeinen wie im Besonderen.
Ponader hatte das nicht gewollt. Doch seine Partei strafte ihn mit Nichtachtung, die Medien überschlugen sich vor Häme und Spott. Traurig und verzweifelt notierte Ponader in sein privates Tagebuch: „Mit mir können sie es ja machen. Wäre Marina das passiert, sie hätten ihr nichts nachgetragen und den Postboten in der Luft zerrissen. Ich habe keinen Bock mehr.“