#Banken

Jan Fleischhauer – die Vuvuzela von Spiegel Online

von , 16.3.13

Islands damaliger Premierminister Geir Haarde verkündete am 6.10.2008 in einer Fernsehansprache das Ende des isländischen »Wirtschaftswunders«. Außerstande, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen, stand das Land vor dem Staatsbankrott. Haarde beendete seine Rede mit den Worten: »Gott segne Island«, was Gott natürlich nicht tat – er hatte sich nach der Erschaffung der Erde weniger anspruchsvollen Projekten zugewandt.

Was folgte, ging als »Kochtopfrevolution« in die Geschichte Islands ein. Das Volk war durchaus nicht der Meinung, dass es selbst den Staatsbankrott verursacht hatte, sondern schloss messerscharf auf ein Konglomerat aus politischen und wirtschaftlichen Seilschaften. Man sperrte den Premierminister ein und machte ihm den Prozess. Die Schulden der Gläubiger Islands wurden für nichtig erklärt und die Schuldscheine zu Konfetti verarbeitet.

Man ließ die Banken einfach Pleite gehen und stellte sie nach ihrer Zerschlagung unter nationale Kontrolle. Es war die Zeit, wo man einen ehemaligen Kabarettisten, Jon Gnarr (Beste Partei) zum Bürgermeister Reykjaviks machte. So einfach geht das? Ja, so einfach!

Während Island sich langsam, aber sicher von der »Welt-Finanzkrise« erholte, folgten andere Länder in Europa dem Weg der schuldenbedingten Schwerkraft. Unter anderem Italien. Nach einer kurzen Phase der Neuausrichtung nach Berlusconi – man hatte mit Mario Monti einen willfährigen Ministerpräsidenten installiert, der stramm am Zügel der europäischen Finanzmärkte trabte – ergaben die Neuwahlen –

– eine Reaktion des Volkes, die dramatisch an Island erinnerte.

25% der Wähler waren offensichtlich der Meinung, dass nicht das Volk für das Desaster verantwortlich war, sondern diejenigen, die es da hineingeritten hatten: Korrupte Politiker, Wirtschaftslenker und einige, die schlicht nur Kriminelle waren. Warum sollte es in Italien anders sein, als im Rest der Welt? Ein Viertel der Wähler entschied sich für den ehemaligen Kabarettisten Beppe Grillo und seine Partei »Movimento 5 Stelle«. Nicht nur seinen Wählern, sondern auch allen »Kollegen« unter den Politikern der EU empfahl Grillo sich mit den Worten:

»Wir sind ehrlich, wir klauen nicht. Unsere Parlamentarier sind jünger als die anderen, 90 Prozent von ihnen haben einen Universitätsabschluss, und die Hälfte sind Frauen. Politiker, die nicht klauen – das ist ein Traum für Italien.»

Im nahegelegenen Ausland sah man das allerdings etwas anders: Genau das wollte man eigentlich nicht – aus den Bewerbungsunterlagen für europäische Parlamentarier war nicht ein Attribut vertreten. Grillo geht davon aus, dass die Banken Italien nur so lange halten würden,

„bis sie die Investitionen ihrer Banken in italienische Staatsanleihen wieder reingeholt haben. Dann werden sie uns fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.“

Aussagen, die gerade in Berlin und Paris höchst unwillkommen waren: Das sollte doch eigentlich eine Überraschung werden.

Die Reaktion auf den unverhofften Wahlerfolg Grillos löste allenthalben Entsetzen aus. Dazu braucht man nicht den unkontrollierbaren Phrasenautomat Peer Steinbrück zu zitieren: In einem Auge der politischen Weisen stand das Wort »Panik«, im anderen »Island«: Die Geschichte in Island sollte doch bitte eine humoristische Fußnote in der Geschichte der Finanzmärkte bleiben. Einmal hatte der IWF ein Auge zugedrückt – wenigstens, solange er in Südamerika Hausverbot hatte –, aber so etwas wollte man nicht zur schlechten Gewohnheit werden lassen.

Die Ergebnisse der Propagandamaschine, Beppe Grillo zu diskreditieren, sind bisher dürftig. Der Versuch, Berlusconi und Grillo in die Schublade »Billige Versprechungen, um ohne gemeinsame Anstrengungen die Krise zu meistern«, zu stecken, blieb bislang erfolglos – zu schlicht ist die Analogie.

Wenn selbst so billige Vergleiche nicht mehr greifen, wird es Zeit, in den Keller des guten Geschmacks zu gehen und Spiegel-Onlines Rollkragenpullover der Reaktion von der Kette zu lassen.
 

Jan Fleischhauer: Ihr Auftritt!

»Beppe Grillo weist Parallelen zu Benito Mussolini auf.«

Da schweigt der Kritiker ehrfürchtig – wer sich so weit aus dem Fenster beugt, muss schon mit exzellenten Argumenten aufwarten. Argumente kommen dann auch:

»Auch Mussolini bestand darauf, dass seine “Fasci di Combattimento” keine Partei, sondern eine Bewegung sei, weil Parteien nicht die Lösung, sondern das Problem wären.«

Die Grünen vor ihrem Einzug in die Parlamente, Attac, Greenpeace, Human Rights Watch … die Reihe der potentiellen Mussolini-Parallelen ließe sich danach unendlich verlängern. Wobei man bei aller Abneigung Mussolini insofern Recht geben muss, als dass die Grünen ein Problem geworden sind, seit sie »Partei« wurden. Aber das nur am Rande.

»Dass die Stimme der Straße demokratischer sei als das Votum von Leuten, die man dazu in die Parlamente entsandt hat, ist eine Illusion, die auch hierzulande ihre Anhänger findet.«

Das könnte jetzt allerdings direkt von Mussolini kommen. Ein wesentliches Merkmal des italienischen Faschismus war unter anderem, Italien in einen Ständestaat umzuformen. Die Eliten sollten – einmal durch das Volk in den Sattel gehoben – ohne störende demokratische Eingriffe regieren (wenn ich Ernst Nolte richtig verstanden habe). Aber auch unabhängig davon kann man seine Abneigung gegen die Demokratie kaum deutlicher zum Ausdruck bringen.

Woher will Fleischhauer das eigentlich wissen? Er hat ein Buch gelesen! Es stammt von dem britischen Journalisten Nicholas Farrell und heißt »Mussolini« – nach Fleischhauer ein vielbeachtetes Buch. Es hat es immerhin auf Platz 2.541.321 bei Amazon gebracht – was natürlich nicht grundsätzlich gegen das Buch spricht.

»Seine Energie bezieht Grillo aus dem Ressentiment. In der Anstachelung der Wut – gegen die Deutschen, gegen die Bürokraten in Brüssel, gegen das System – liegt die eigentliche Schwungfeder seines Erfolgs. Das ist es, was ihn groß macht, nicht der Appell an die Vernunft oder die Liebe zur Demokratie.«

Da wünscht man sich doch die vergleichsweise freundliche Beurteilung eines Peer Steinbrücks zurück. Aber Fleischhauer beweist hier nicht zum ersten Mal seine Abneigung gegen »südländische« Völker – das hat mittlerweile gute Tradition. Abgesehen davon, kann – muss aber nicht – ein Appell des Volkes an die Vernunft und Demokratieliebe der Politiker zum Erfolg führen. Die bisherigen Ergebnisse lassen wenigstens gelinde Zweifel am Sinn solcher Appelle aufkommen.

»Wenn der Diktator (Mussolini) vom Parlament als “dieser tauben und grauen Kammer” sprach, in die einzuziehen er sich geweigert habe, erklärt Grillo seine Weigerung zur Zusammenarbeit im Stile des “Duce” so: “Die alten Parteien sind am Ende. Sie sollten zurückgeben, was sie geraubt haben, und dann gehen. Entweder folgen sie uns, oder sie sind verloren.” Die Verhöhnung des Parlamentarismus im Gewand der wahren Demokratie ist ein Trick, den alle Antidemokraten beherrschen, egal welcher Provenienz. Es wird heute gerne übersehen, aber der Faschismus war im Kern eine linke Bewegung.«

Ein beeindruckendes Feuerwerk von Verunglimpfung, Unterstellungen und Geschichtsklitterung. Seite an Seite mit Erika Steinbach im gerechten Kampf gegen die Feinde des Parlamentarismus. Glückwunsch, »Herr« Fleischhauer – soweit haben Sie sich bisher nicht aus dem Fenster gelehnt.

»”Mussolinis Faschismus war schwarz, Grillos ist grün, aber beide haben ein rotes Herz”, schreibt Farrell.«

Es ist schon bemerkenswert, mit welcher Nonchalance Fleischhauer mit Begriffen jongliert, an deren gesellschaftlicher Bedeutung er deutlich weniger interessiert ist, als an ihrer Propagandawirkung. Kein Wort zu den Vorgängen in Griechenland und Ungarn – gäbe es das wirkliche Bedürfnis, Faschismus zu benennen … Aber nein: Griechenland konnte für Fleischhauer gar nicht schnell genug entmündigt werden; ohne jeden Gedanken an Risiko und Nebenwirkungen. Der griechische Premier Papandreou verlor sein Amt deswegen, weil er das Volk über den Euro und letztlich den Verbleib in der EU entscheiden lassen wollte. Frau Merkel und der französische Staatspräsident organisierten seine Entsorgung. Faschistische Banden sind im Moment die von den Konservativen in Griechenlands Regierung meistumworbenen Gruppierungen; und sage keiner, er hätte das nicht kommen gesehen.

Beppe Grillo hat ebenfalls die Forderung nach einer Abstimmung über den Euro gestellt. Grillo sollte sich darüber im Klaren sein, das es zur Zeit höchst unpopulär ist, das Volk über irgendetwas entscheiden zu lassen – schon gar nicht über solch elementare Dinge. Er steht mit solchen Äußerungen vermutlich auf der Abschussliste vieler – wovon Fleischhauer das kleinste Übel sein wird.

»Die Verhöhnung des Parlamentarismus im Gewand der wahren Demokratie ist ein Trick, den alle Antidemokraten beherrschen, egal welcher Provenienz.«

Dieser Satz von Fleischhauer ist sehr wahr – er steht nur an der falschen Stelle. Er gehört in die Beschreibung, wo eine kleine, gewissenlose Oberschicht die sogenannten Demokratien als Selbstbedienungsladen für sich entdeckt hat. Grillo und sein »Movimento 5 Stelle« stehen für eine Bewegung, die das nicht länger hinnehmen will. Diesen zutiefst demokratischen Gedanken sollte man respektieren.

»Die Schulden der Gläubiger Islands wurden als nichtig erklärt und die Schuldscheine zu Konfetti verarbeitet. Man ließ die Banken einfach Pleite gehen und stellte sie nach ihrer Zerschlagung unter nationale Kontrolle.«

Island existiert noch.
 
 
P.S.
Die Frage, wer dieser Nicholas Burgess Farrell eigentlich ist, habe ich bis hierher unberücksichtigt gelassen. Wikipedia:

Nicholas Burgess Farrell (born October 2, 1958) is an English journalist and the author of Mussolini: A New Life.

Farrell’s most famous article is an interview with Silvio Berlusconi for The Spectator, where the Italian prime minister made statements which sparked criticism in Italy.

Today he writes mainly for Libero, a right-wing newspaper supportive of Berlusconi’s politics.

 
 
Crosspost von der Schrottpresse. Link zum Artikel von Red. Carta, Daniel verlinkt nicht zu SpOn.

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