#Die Grünen

Ist die SPD jetzt völlig matschie?

von , 2.10.09

Die Begründung für diese Entscheidung muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Die SPD fühle sich an der Seite der Christdemokraten einfach sicherer!!

Wie ausgebufft (oder abgehoben?) muss eine Partei eigentlich sein, um in dieser aufgewühlten Situation* solche Entscheidungen zu treffen? Wieso erheben sich die Mitglieder nicht massenhaft gegen solche Zumutungen? Warum verbrennen sie nicht ihre Parteibücher vor der Zentrale?

So aufgebracht und revolutionsdüster klingen derzeit die Äußerungen enttäuschter Genossen. Zornig fordern sie eine „Re-Sozialdemokratisierung“ ihrer Partei. Und in dieser kippligen Stimmung hat der Pfarrerssohn Christoph Matschie nichts Besseres zu tun, als sich sofort wieder unter die Fittiche der Christdemokraten zu flüchten. Seine Angst vor Bodo Ramelow scheint allen Linkswende-Gelöbnissen Hohn zu sprechen.

Aber betrachten wir die Sache mal etwas nüchterner.

Eine Linkswende würde der SPD wohl nur dann eine Machtperspektive eröffnen, wenn die Partei – im Sinne Oskar Lafontaines – das ehrbare Ziel verfolgen würde, SPD und Linke zu versöhnen und zu vereinen. Stichwort: „Wandel durch Annäherung“. (Ich kann mir sogar vorstellen, dass dieses Gefühls-Motiv die entscheidende Triebkraft für eine Erneuerung der Sozialdemokratie sein könnte).

Doch es gibt unter den derzeitigen „Verantwortungsträgern“ der SPD eine große Mehrheit, die eine solche Annäherung nicht will, nicht anstrebt und auch nicht für realistisch oder vernünftig hält. Denn zwei linke Parteien, heißt es, würden die linke Ohnmacht nur vergrößern. Also werben die Strategen der SPD seit der krachenden Niederlage vom Sonntag für eine neue Doppelstrategie, die das Gegenteil von „Wandel durch Annäherung“ ist – nämlich „Öffnung durch Abgrenzung“.

Was ist damit gemeint?

„Öffnung durch Abgrenzung“ akzeptiert zunächst, dass zwei unterschiedliche sozialdemokratische Parteien nebeneinander existieren. Sie erklären, sich nicht länger gegenseitig vernichten zu wollen (= friedliche Koexistenz). Klar sein muss auch, dass die Verantwortungsträger der SPD ein anderes Wählerspektrum erreichen wollen als die Linke. Und klar sein muss drittens, dass die SPD in den vergangenen 30 Jahren unter dem Einfluss von New Labour und anderen westeuropäischen Strömungen eine andere Entwicklung genommen hat: inhaltlich, organisatorisch und personell. Derzeit befindet sich die SPD in dem riskanten Prozess, ihre alte Mitgliedschaft sukzessive durch eine neue (weniger zahlreiche) zu ersetzen. Ihr Funktionärskörper ist von Pragmatikern dominiert. Kurz: Die SPD ist auf dem Weg zu einer linksliberalen Staatspartei, die sich auf einen Wähleranteil von zehn bis 15 Prozent einpendeln wird, während die Linke 25 Prozent mobilisieren kann, im Osten etwas mehr, im Westen etwas weniger.

Wird diese Abgrenzung und Rollenfindung von beiden Parteien akzeptiert (und versucht nicht eine Seite die andere zu erziehen), so ist eine gedeihliche Zusammenarbeit bis hin zu rot-rot-grünen Bündnissen möglich.

In einer solchen Dreier-Koalition hätte die SPD eine wichtige Scharnierfunktion. So könnte eine zur Linken abgegrenzte SPD dem bürgerlichen Flügel der Grünen die Angst nehmen, von einem übermächtigen rot-roten Block an die Wand gedrückt zu werden – wie im Saarland befürchtet. (Doch so ganz begriffen und akzeptiert hat die kleiner werdende SPD ihre künftige Rolle noch nicht. Sonst hätte sie ihre Scharnier-Funktion in Thüringen erstmals erprobt).

Natürlich schmerzt eine derart nüchterne Betrachtungsweise der SPD all diejenigen, die zur guten alten Brandt-SPD zurück wollen – wie der bewundernswert kämpfende Albrecht Müller. Die ihre geliebte und gebeutelte SPD den blutleeren Machttechnikern zu entreißen trachten.

Noch sind beide Entwicklungsverläufe möglich: die Fortentwicklung der SPD zur machtstrategisch cleveren Scharnierpartei, und die Fortentwicklung der SPD zur wiedervereinigten Gefühlspartei**. Die Entscheidungen der letzten Tage sprechen eher für ersteres.

*Nur in den Krisenjahren zwischen 1920 und 1924 sowie beim Zerfall der Weimarer Republik 1932/33 waren die Wahlergebnisse der SPD noch schlechter als 2009.

**Siehe auch mein Beitrag: Rotrot oder Tod vom Januar. Interessant auch der Kommentar von Simona zum Beitrag von Leonard Novy

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