#ACTA

Ist ACTA Hevelings Kriegserklärung?

von , 9.2.12

Die Bewusstseinbildung im Netz verläuft meist so: Zuerst überschlagen sich die Alarmmeldungen in fast hysterischer Weise (Phase 1), dann, auf dem Höhepunkt des „Hypes“, folgen extrem unterkühlte Entwarnungen: „Alles halb so schlimm“, „aufgeblasene Gerüchte“, „ein Sturm im Wasserglas“ (Phase 2). Dann melden sich jene zu Wort, die meinen, die Wahrheit läge irgendwo in der Mitte (Phase 3). Und schließlich kehrt Ruhe ein (Phase 4) – bis der Zyklus von neuem beginnt.

Womit wir beim Thema ACTA wären (und dem Übergang zu Phase 3).

Das umstrittene „Handelsabkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie“ ist der Versuch, das westliche Modell der Strafverfolgung bei Marken- und Urheberrechtsverletzungen auf die ganze Welt auszudehnen. Denn zum Verdruss der Content- und Image-Industrien gibt es noch immer in vielen Ecken der Welt illegale Werkbänke, auf denen hemmungslos kopiert wird (was die Weltmarkteroberung erheblich erschwert).

Die kopierten Produkte werden von Gangsterbanden, die sich eine goldene Nase damit verdienen, billig verkauft oder als Zugabe (zu ganz anderen Geschäften) verschenkt. Verhaftet man die Verantwortlichen von Kopien-Schleudern (wie im Fall Megaupload), so ist das auch ein Stich ins Herz vieler Nutznießer. Denn billige oder Gratis-Ware ist für alle, die nicht so viel Geld haben, besser als keine Ware. Wären die Löhne und die Taschengelder höher, und wäre der durch Werbung, Medien und Peergroups erzeugte gesellschaftliche Druck niedriger, gäbe es auch nicht so viel Produktpiraterie.

Leider setzt sich das „Handelsabkommen zur Bekämpfung von Produkt- und Markenpiraterie“ aber nicht für eine Erhöhung der Löhne ein. Es will den „Gangstern“ und deren Nutznießern vielmehr das Handwerk legen. Alle Staaten, die ACTA unterzeichnen, werden darauf verpflichtet, die Rechte der Rechteinhaber – also der Content- und Marken-Verwerter – zivil- und strafrechtlich mit unnachgiebiger Härte durchzusetzen.

Vieles davon wird Wunschdenken bleiben. Denn an den ACTA-Verhandlungen sind weder Russland noch China noch Indien beteiligt. Es fehlen die arabischen Staaten, es fehlen Afrika, die Karibik, Mittelasien und Südamerika, es fehlen Norwegen und Island, es fehlen die Türkei, der Balkan, Weißrussland und die Ukraine. Im Grunde ist ACTA also ein Selbstbestätigungsabkommen für diejenigen, die schon wirksame Schutzvorschriften in ihren Gesetzen installiert haben. Mit ACTA wächst aber die Hoffnung, dass auch die Außenseiter der Weltgemeinschaft, die Wackelkandidaten, die schwachen und die „Schurkenstaaten“ (die Gangster angeblich gewähren lassen), irgendwann beitreten werden. Notfalls könnte man sie durch gemeinsamen wirtschaftlichen Druck an anderer Stelle dazu nötigen.

 

Was steht denn nun drin in diesem Abkommen?

Solange die Gangsterbanden nicht dingfest gemacht werden können, will man deren Nutznießer unter Druck setzen. Zwar soll es – nach jetziger Lesart – keine Netzsperren wegen illegaler Downloads geben, aber eine „brutalstmögliche“ Verfolgung.

Das Abkommen formuliert seine „Wünsche“ zunächst ausgesprochen harmlos:

 

„IN ANBETRACHT der Tatsache, dass eine wirksame Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums für ein dauerhaftes Wachstum aller Wirtschaftszweige wie auch der Weltwirtschaft von entscheidender Bedeutung ist,

IN ANBETRACHT der Tatsache, dass die Verbreitung nachgeahmter und unerlaubt hergestellter Waren wie auch die Verbreitung von Dienstleistungen, mit denen Rechte verletzendes Material vertrieben wird, den rechtmäßigen Handel und die nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft gefährdet, Rechteinhabern und legal arbeitenden Unternehmen beträchtliche finanzielle Verluste verursacht, in einigen Fällen der organisierten Kriminalität eine Einnahmequelle verschafft und überdies eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellt…“

IN DEM WUNSCH, sicherzustellen, dass die Maßnahmen und Verfahren zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums nicht ihrerseits zu Schranken für den rechtmäßigen Handel werden,

IN DEM WUNSCH, das Problem der Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, einschließlich im digitalen Umfeld erfolgender Rechtsverletzungen, insbesondere im Hinblick auf das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte so zu lösen, dass die Rechte und Interessen der jeweiligen Rechteinhaber, Dienstleister und Nutzer miteinander ins Gleichgewicht gebracht werden,

IN DEM WUNSCH, die Zusammenarbeit zwischen Dienstleistern und Rechteinhabern zu fördern, um einschlägigen Rechtsverletzungen im digitalen Umfeld entgegenzuwirken…“ usw.usf.

 

Da es den Befürwortern von ACTA um die Angleichung der Rechtsdurchsetzung in den verschiedenen Ländern geht, setzt das Abkommen in erster Linie einen „Rahmen“ – oder besser: Mindeststandards „für die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums“.

Überall auf der Welt sollen künftig die gleichen Abmahnungen, die gleichen Unterlassungserklärungen und die gleichen Schadensersatzforderungen ins Haus flattern, und zwar ganz nach Gutdünken der Rechteinhaber. Zitat aus dem Abkommen:

 

Es ist „jedes vom Rechteinhaber vorgelegte legitime Wertmaß zu berücksichtigen, das die entgangenen Gewinne beinhalten kann…“

 

Den Streitwert, die Anwaltskosten, den entgangenen Gewinn und den Schadenersatz setzt im Zweifel also nicht das Gericht fest, sondern der Rechteinhaber. Das Gericht segnet nur ab, was der Rechteinhaber verlangt. Da der Begriff „gewerbliches Ausmaß“ bei ACTA so unscharf definiert ist wie schon im deutschen Urhebergesetz, wissen wir, was das heißt: Jeder, der ein einziges Lied zum Tausch anbietet, handelt schon in „gewerblichem Ausmaß“. Und das ist teuer:

 

„Jede Vertragspartei sorgt dafür, dass ihre Gerichte, wo dies zweckdienlich erscheint, beim Abschluss zivilrechtlicher Verfahren wegen Verletzung zumindest des Urheberrechts oder verwandter Schutzrechte oder einer Marke anordnen dürfen, dass der obsiegenden Partei von der unterlegenen Partei die Gerichtskosten oder -gebühren sowie angemessene Anwaltshonorare oder sonstige nach dem Recht dieser Vertragspartei vorgesehene Kosten erstattet werden.“

 

ACTA ist also ein gigantisches Arbeitsbeschaffungsprogramm für Anwaltskanzleien und ihre Dienstleister im Umkreis der Copyright-Industrie. Die Ermittlung der Schuldigen und ihrer Hintermänner wird künftig von allerlei „Spezialeinheiten“ und privaten Sicherheitsdiensten vorangetrieben werden. Jeder Staat, der das Abkommen unterschreibt, soll z.B. gerichtlich anordnen dürfen,

 

„dass der Verletzer oder mutmaßliche Verletzer dem Rechteinhaber oder (!) den Gerichten zumindest für die Zwecke der Beweissammlung nach Maßgabe der geltenden Rechtsvorschriften der jeweiligen Vertragspartei sachdienliche Informationen vorlegt, in deren Besitz der Verletzer oder mutmaßliche Verletzer ist oder über die er Kontrolle hat. Informationen dieser Art können Auskünfte über Personen einschließen, die in irgendeiner Weise an der Verletzung oder mutmaßlichen Verletzung beteiligt waren, desgleichen Auskünfte über die Produktionsmittel oder die Vertriebswege der rechtsverletzenden oder mutmaßlich rechtsverletzenden Waren oder Dienstleistungen, einschließlich Preisgabe der Identität von Dritten, die mutmaßlich an der Herstellung und am Vertrieb solcher Waren oder Dienstleistungen beteiligt waren, sowie ihrer Vertriebswege.“

 

Da künftig nicht nur das illegale Angebot urheberrechtlich geschützten Materials strafrechtlich verfolgt wird, sondern auch der technische Zugang dazu und die Bereithaltung desselben (als Beihilfe zu einer Straftat!), könnten Provider – bei entsprechendem Druck (hohe Schadenersatzforderung, vorgebliche Terrorismusbekämpfung etc.) – in vorauseilendem Gehorsam Nutzerdaten preisgeben. Sie würden zu freiwilligen oder unfreiwilligen Hilfssheriffs. Die Filterung und Überwachung jedweder Netz-Kommunikation würde mit diesem Rechtsrahmen obligatorisch.

 

Ein gefundenes Fressen für gelenkte Demokratien?

Ein besonders heikler Punkt des Abkommens ist deshalb, dass es Diktaturen und “gelenkten Demokratien” ein bequemes Einfallstor zur Ausschaltung missliebiger Gegner eröffnet. Der bisher gern verwendete Vorwurf der „Steuerhinterziehung“ (etwa in Russland oder China) könnte dann beliebig durch den Vorwurf der „Urheberrechtsverletzung“ ersetzt werden.

Diktaturen oder „gelenkte Demokratien“, die dem Abkommen beitreten, könnten fingierte, also extra für diesen Zweck installierte ‚Rechteinhaber’ nutzen, um konfliktscheue Provider durch wirtschaftlichen Druck zur Herausgabe von Daten über heimische oder im Exil lebende Oppositionsgruppen zu zwingen. Es genügt ja der Vorwurf, es seien massiv Urheber- oder andere Schutzrechte verletzt worden.

Bei Grenzkontrollen könnten Zöllner mit dem Hinweis auf urheberrechtlich relevantes Material Laptops, Smartphones, USB-Sticks, DVDs und sonstige Speichermedien beschlagnahmen. Da ist schnell eine Festplatte oder eine DVD kopiert. Die Zollbehörden werden durch das Abkommen angewiesen, von sich aus Informationen über verdächtige Waren oder „Datenströme“ an die Rechteinhaber zu melden. Gezielte Bestechungsversuche und Zuwendungen könnten die Folge sein.

Die Errichtung eines weltweiten Straf- und Verfolgungsregimes mit Hilfe des „Handelsabkommens“ ACTA erinnert in Wahrheit an die Methoden der Drogen- und Terrorismusbekämpfung. Beide „Kriege“ (der „War on Drugs“ wie der „War on Terror“) sind nur mäßig erfolgreich, hinterlassen aber gewaltige gesellschaftliche Kollateralschäden. Dies hat der Abgeordnete Heveling in seiner Kampfschrift intuitiv erkannt. Die Europäer sollten deshalb eine zivilere Antwort auf das zweifellos vorhandene Problem finden als einen „War on Bytes“.

 

Am 11. Februar wird europaweit gegen ACTA demonstriert. Hier einige Informationen:

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