#Benno Ohnesorg

Ironie der Geschichte: Mit dem Mord an Ohnesorg hätte die Stasi ihr eigenes Grab geschaufelt

von , 25.5.09


Die Mehrheit der Zwanzig- und Dreißigjährigen wird den Namen Benno Ohnesorg nicht kennen. Doch einige regelmäßige Zeitungsleser könnten vermuten, dass er mit der westdeutschen Studentenbewegung der späten sechziger Jahre in Verbindung steht. Ein paar Andere werden vielleicht das Buch „Der Freund und der Fremde“ von Uwe Timm gelesen haben, in dem der Autor seine Freundschaft mit Ohnesorg beschreibt. Die Wenigsten werden das Denkmal für Benno Ohnesorg in der Bismarckstraße in Berlin schon einmal gesehen haben. Dennoch, die meisten, die mit dem Namen was anfangen können, werden ihn mit den militanten Gruppierungen, wie der Roten Armee Fraktion und der Bewegung 2. Juni, assoziieren. Ich wiederum habe einen persönlichen Bezug, da meine Mutter sehr gut mit der Witwe von Benno Ohnesorg befreundet war. Der Sohn von Benno Ohnesorg hat sogar eine kurze Zeit bei mir und meiner Mutter in den USA gelebt, als ich ein Kind war.

Seit Freitag ist der Name nun wieder in aller Munde. Für die, die diese Geschichte nicht mehr kennen: Der Student Benno Ohnesorg wurde am 2. Juni 1967 kurz nach 20 Uhr auf dem Parkhof der Krumme Straße 66/67 in der Nähe der Deutschen Oper in Berlin von dem Polizisten Karl-Heinz Kurras gestellt und in den Hinterkopf geschossen. Für mich, als Nachgeborener, war diese Begebenheit eine Weichenstellung für eine grundlegende Veränderung der Nachkriegsgesellschaft. Der Schuss aus der Pistole von Kurras hat in Westdeutschland eine ganze Generation politisiert und damit solche Energien freigesetzt, dass es möglich wurde, die Gesellschaft zu modernisieren.

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Der Tod von Benno Ohnesorg: Er war eine Initialzündung der Modernisierung Westdeutschlands

Die Birthler-Behörde hat nun 42 Jahre später Akten gefunden, in denen Kurras als Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi und Mitglied der SED enttarnt wird. Historiker debattieren sogar, ob die Stasi Kurras als Agent Provokateur einsetzte, um die Stimmung in West-Berlin aufzuheizen und die westdeutsche Regierung ins dunkle Licht zu rücken. Das könnte bedeuten, dass der Tod von Benno Ohnesorg in Wirklichkeit ein Auftragsmord der Stasi gewesen war. Es gibt zwar noch keine Beweise für den Auftragsmord, aber sollte sich dieser Verdacht erhärten, wäre es eine Ironie der Geschichte.

Reinhard Mohr hat im SPIEGEL die Ironie darin gesehen, dass Kurras, der von vielen als „Faschobulle“ gesehen wurde und dessen Tat als Manifestation jener „strukturellen Gewalt“ des kapitalistischen „Schweinesystems“ bezeichnet wurde, sich nun als „ein tapferer Kundschafter des real existierenden Sozialismus und glühender Freund der Deutschen Demokratischen Republik (DDR)” entpuppt. Doch diese Sichtweise ist verkürzt, denn die wahre Ironie liegt woanders.

Der Tod von Benno Ohnesorg wird als Geburtsstunde der Radikalisierung der Studentenbewegung verkürzt dargestellt. Doch er war viel mehr: Er war eine Initialzündung der Modernisierung Westdeutschlands. Denn am Anfang der sechziger Jahre herrschte ein einseitiges Streben nach Wohlstand. Der Spießbürger wollte seine Ehefrau am Herd, ein gutes Auto und finanzielle Sicherheit. Dabei sollte die Nazi-Vergangenheit am besten verdrängt werden, während Diktatoren in der Dritten Welt unterstützt wurden. Die Kuppleiparagraphen verboten es unverheiratete Paare Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Abtreibung wurde als ein Verbrechen verfolgt. Homosexualität war nicht erlaubt. Diese Zustände verlangten Veränderung.

Diese Veränderung kam auch durch den Tod von Benno Ohnesorg, weil die Studentenbewegung einen ungeheuren Aufwind bekam. Der westdeutsche Staat, der immer noch an vielen entscheidenden Stellen von ehemaligen Nazis geführt wurde, verlor mehr und mehr an Legitimität. Eine neue Generation von Jusos, Liberalen, SDSlern und RCDSlern wurden anti-autoritär politisiert. Joschka Fischer, Ralf Dahrendorf, Gerd Langguth, Gerhard Schröder und hundert tausende andere beanspruchten für sich, die politische Verantwortung zu übernehmen und begaben sich auf den Marsch durch die Institutionen.

Diese modernisierenden Kräfte haben Westdeutschland über Jahrzehnte verändert, geformt und große Energien freigesetzt. Es hat letztendlich auch dazu geführt, dass das westdeutsche Gesellschaftsmodell sich als viel attraktiver als das ostdeutsche Modell erwies. Falls die Stasi den Mord an Benno Ohnesorg in Auftrag gab, so hätte sie damit nicht die bundesrepublikanische Ordnung ins Wanken gebracht, sondern ihr eigenes Grab geschaufelt. Das ist die wahre Ironie.

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