von Redaktion Carta, 15.2.10
[Update II: Unten stehender Text stammt vom 15. 02. 2010. Inzwischen gibt es einen interfraktionellen Antrag zur Enquete, der sich hier nachlesen lässt.]
Uns liegt der endgültige Antragstext für die Einsetzung einer Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestages vor, wie ihn die Regierungsfraktionen einbringen wollen. Ein Aufschnüren des Antrags, um die Opposition stärker einzubinden, ist offenbar nicht geplant.
Der Antragstext lautet:
Der Bundestag wolle beschließen:
Der Deutsche Bundestag setzt eine Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ ein.
I. Ausgangslage
Das Internet ist das freiheitlichste und effizienteste Informations- und Kommunikationsforum der Welt und trägt maßgeblich zur Entwicklung einer globalen Gemeinschaft bei.
Die digitale Gesellschaft bietet neue Entfaltungsmöglichkeiten für jeden Einzelnen ebenso wie neue Chancen für die demokratische Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens, für die wirtschaftliche Betätigung und für die Wissensgesellschaft. Die Nutzung dieser Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten gehört längst zum Alltag der überwältigenden Mehrheit der Menschen in unserem Land. Nun erleben wir eine erneute Veränderung: Das Internet ist nicht länger nur eine technische Plattform, sondern entwickelt sich zu einem integralen Bestandteil des Lebens vieler Menschen, denn gesellschaftliche Veränderungen finden maßgeblich im und mit dem Internet statt. Die Menschen benötigen heute neue Kenntnisse und Fähigkeiten. Dazu zählen beispielsweise die Auswahl, die Einordnung und die Bewertung der nahezu unbegrenzt zur Verfügung stehenden Informationen.
Die Grundrechte und in besonderem Maße das Persönlichkeitsrecht und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung müssen geachtet und geschützt werden. Dem Staat kommt die Aufgabe zu, das Internet als freiheitliches Medium zu schützen. Die Bürger bauen darauf, dass der Rechtsstaat durch Rahmenbedingungen die Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme sicherstellt. In autoritär geführten Staaten können wir beobachten, welche Chancen für Demokratie und Meinungsfreiheit das Internet birgt, wenn klassische Medien zensiert und staatlich kontrolliert werden.
Für die Bürgerinnen und Bürger, für Wirtschaft und Wissenschaft ist ein freier, ungehinderter Zugang zum Internet von großer Bedeutung und entscheidet mit über den Wohlstand unserer Gesellschaft.
Verbraucher müssen über ihre Rechte und Pflichten im elektronischen Handel informiert sein. Der Rechtsrahmen muss der digitalen Gesellschaft angepasst sein, um starke Verbraucherrechte zu gewährleisten.
Das Internet führt zu einer tiefgreifenden Veränderung des Medienverhaltens und schafft völlig neue Möglichkeiten für den Vertrieb und die Nutzung kreativer Inhalte und künstlerischer Werke. Das Verständnis für die Bedeutung des Urheberrechts zu fördern und geistiges Eigentum zu achten, ist zugleich eine gesellschaftspolitische Aufgabe.
Kinder und Jugendliche, die mit den neuen Technologien des digitalen Zeitalters aufwachsen, nutzen diese anders als die Generation ihrer Eltern. Dennoch müssen sie auf möglichen Gefahren der digitalen Gesellschaft vorbereitet, ihre Fragen beantwortet und zu einem sicherheitsbewussten Verhalten hingeführt werden. Im Jugendschutz sind noch Verbesserungen möglich. Dabei ist uns bewusst, dass die Gefahren für Kinder und Jugendliche durch Verbote oder technische Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden können.
Nicht alle können die Chancen der digitalen Gesellschaft gleichermaßen wahrnehmen. Menschen ohne die Möglichkeit und Fähigkeit zur Teilnahme bekommen zunehmend Probleme. Aufgabe von Politik und Gesellschaft ist es, einer digitalen Spaltung der Gesellschaft entgegenzutreten.
II. Auftrag
Der Deutsche Bundestag beauftragt die Enquete-Kommission insbesondere folgende Schwerpunkte – unabhängig von und zusätzlich zu aktuellen Gesetzgebungsverfahren – zu untersuchen:
Kultur und Medien
- Erhaltung und Sicherung von Medien- und Meinungsvielfalt
- Stärkung der Medienverantwortung bei Anbietern und Nutzern
- Folgen der Digitalisierung für den Rundfunk und die Printmedien
- Veränderungen der Produktion, Distribution und Nutzung von künstlerischen Werken und kreativen Inhalten
- Maßnahmen zur digitalen Sicherung des kulturellen Erbes und seiner Nutzung
Wirtschaft, Umwelt
- Auswirkungen der Entwicklung großer globaler Internet-Konzerne
- Klima-, Umwelt- und ressourcenschonende Gestaltung der Informationstechnik
- Beitrag der Informationstechnik zum Umwelt- und Klimaschutz
Bildung und Forschung
- Verbesserung der Medienkompetenz, Medienerziehung in Schule, Hochschule sowie Aus- und Weiterbildung
- Internationale Zusammenarbeit in Forschung und Wissenschaft
- Strategien zur Vermeidung der digitalen Spaltung
- Open Access-Initiativen zum freien Zugang zu den Ergebnissen staatlich finanzierter Forschung
- Weiterentwicklung und Definition offener Standards und Normen
Verbraucherschutz
- Rechtssicherheit im elektronischen Handel
- Anforderungen an einen internationalen Verbraucherschutz
Recht und Innen
- Wahrung des Grundrechtsschutzes, insbesondere des Persönlichkeitsrechts
- Zukunft des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
- Rechtliche und technische Voraussetzungen für Datenschutz und Datensicherheit
- Auswirkungen und Perspektiven neuer Protokolle in digitalen Netzen
- Anonymität, Pseudonymität und Identitätsmanagement im Internet
- Bedeutung der Netzneutralität für eine neutrale Datenübermittlung und einen freien und ungehinderten Zugang zum Internet
- Maßnahmen zum Schutz der Funktionalität kritischer Netzinfrastrukturen
- Bedrohungen durch Computer- und Internet-Kriminalität, -Terrorismus, -Spionage und -Sabotage
- Stärkung des Bewusstseins für den Wert geistigen Eigentums
- Jugendschutz in den neuen Medien
- Konsequenzen aus der Konvergenz von Medien- und Telekommunikationsanbietern
Gesellschaft und Demokratie
- Weiterentwicklung der staatlichen eGovernment-Dienstleistungen
- Open Data-Strategien für einen freien Zugang zu staatlichen Informationen
- Soziologische Auswirkungen der digitalen Gesellschaft
- Möglichkeiten für neue Formen der Bürgerbeteiligung
Als eine Grundlage der Bestandsaufnahme kann der Medien- und Kommunikationsbericht der Bundesregierung dienen.
III. Beteiligung
Die Enquete-Kommission bezieht die Öffentlichkeit in besonderem Maße in ihre Arbeit mit ein. Über die Arbeit der Kommission wird regelmäßig auf der Internetseite des Deutschen Bundestages informiert. Dort werden zudem Beteiligungsmöglichkeiten angeboten, die Anregungen aus der Öffentlichkeit in geeigneter Weise in der Arbeit der Kommission einfließen lassen können.
IV. Handlungsempfehlungen
Die Enquete-Kommission soll politische Handlungsempfehlungen erarbeiten, die der weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen der Informationsgesellschaft in Deutschland dienen. Die Enquete-Kommission soll auf Basis ihrer Untersuchungsergebnisse den staatlichen Handlungsbedarf, national und international, benennen.
V. Zusammensetzung
Der Enquete-Kommission gehören 13 Mitglieder des Bundestages und 13 Sachverständige an. Die Fraktion der CDU/CSU benennt 5 Mitglieder, die Fraktion der SPD 3 Mitglieder, die Fraktionen der FDP, LINKE je 2 und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein Mitglied. Für jedes Mitglied des Bundestages kann ein stellvertretendes Mitglied benannt werden. Die Sachverständigen werden im Einvernehmen der Fraktionen benannt. Kann ein Einvernehmen nicht hergestellt werden, so benennen sie die Fraktionen nach dem vorgenannten Schlüssel.
VI. Zeitplan
Die Enquete-Kommission soll sich unverzüglich konstituieren und bis zur parlamentarischen Sommerpause 2012 ihre Ergebnisse und Handlungsempfehlungen vorlegen, damit noch in der 17. Legislaturperiode erste Umsetzungsschritte erfolgen können. In einem Zwischenbericht sind erste Ergebnisse und Handlungsempfehlungen zu einzelnen Teilbereichen der behandelten Themen bis Ostern 2011 vorzulegen.
Hier ist das PDF des Antrags.
Einige Punkte im Vergleich: Während es im Entwurf noch hieß, dass die Grundrechte durch den Staat gewahrt und ihre Durchsetzbarkeit gewährleistet sein müssen, heißt es nun: “geachtet und geschützt”. Die “Stärkung des Bewusstseins für den Wert geistigen Eigentums” wanderte vom Bereich “Kultur und Medien” zu “Recht und Inneres”. Statt “Sicherung” heißt es nun “Bedeutung” der Netzneutralität. Eine Vergleichsübersicht dieser Version mit dem Entwurf hat Sebastian Gievert bei politik-digital.de erstellt.