#Journalismus

In und mit der Elite

von , 9.3.13

Uwe Krüger

Die Doktorarbeit von Uwe Krüger untersucht, welchen Einfluss Eliten auf die Berichterstattung haben und zeigt die Sozialen Netzwerke der Ranghöchsten in Wirtschaft, Politik und Journalismus offline. Statt einen offenen Marktplatz an Ideen abzubilden, vertreten Journalisten oft die Positionen der Herrschenden und Agierenden.

Mit 235 zu 1 (Gegenstimme von Initiant Thomas Minder) stimmte die Bundesversammlung im März 2012 für den indirekten Gegenvorschlag zur Volksinitiative «gegen die Abzockerei». Die Schweizer Stimmbürger sahen es am vergangenen Sonntag anders – und verhalfen der Initiative zum Einzug in die Bundesverfassung. Sie haben entschieden gegen den Bundesrat und gegen das Parlament, wie schon bei den Initiativen «für die Ausschaffung krimineller Ausländer» und «gegen den Bau von Minaretten». Weiter demonstrierten am Wochenende in Portugal Hunderttausende gegen die harte Austeritätspolitik und in den USA sind Zwangskürzungen in Kraft getreten. Hartes, zwanghaftes Sparen steht nach weiteren Steuererhöhungen als letzte Antwort des Staats auf die Unfinanzierbarkeit vielfältiger Wahlversprechen und ausufernder Behördentätigkeit.

 

Uwe Krüger, Meinungsmacht, Halem 2013

Nicht nur in der Schweiz, überall in Europa, ja in der ganzen Welt, spitzt sich der Konflikt «Elite gegen das Volk» zu. Und wo stehen die Journalisten? Oft auf der Seite der Eliten. Diese Erkenntnis ergibt sich aus der im Oktober 2011 von der Fakultät für Sozialwissenschaften und Philosophie der Universität Leipzig angenommenen Dissertation «Meinungsmacht: Der Einfluss von Eliten auf Leitmedien und Alpha-Journalisten – eine kritische Netzwerkanalyse», geschrieben von Medienwissenschaftler Uwe Krüger. Das nun im Herbert von Halem Verlag erschienene Buch analysierte die Elitennetzwerke von Journalisten, konkret «Verbindungen der deutschen Journalismuseliten zu nationalen und ausländischen bzw. internationalen Positionseliten aus Politik und Wirtschaft», die nicht direkt mit der Ausübung ihrer journalistischen Tätigkeit zu tun hatten – im Zeitraum von 2002 bis 2009.

Autor Krüger identifizierte nicht nur zahlreiche, verschwiegen agierende «Hintergrundkreise» allerlei Couleur (26 in Berlin), sondern auch Chefredaktoren und Herausgeber, die gewinnorientierte Konzerne beraten haben, so Josef Joffe die HypoVereinsbank oder Stefan Aust und Helmut Markwort die Deutsche Telekom. Matthias Nass, von 1998 bis 2010 stv. «Zeit»-Chefredaktor, war sogar im Lenkungsausschuss der Bilderberg-Konferenz. In einem Antwortbrief auf ein Schreiben von Rechtsaussen Sebastian Nobile zerstreute Nass geäusserte Befürchtungen als «vollkommen grundlos». Die dichtesten Netzwerke mit Organisationen haben «Zeit»-Herausgeber Josef Joffe und Markus Schächter, bis 2012 Intendant des ZDF; sie weisen Verbindungen zu 19 bzw. 20 Organisationen auf. So ganz wohl mit der Vernetzung scheint es allerdings nicht allen zu sein. Wie sonst lässt sich erklären, dass die «Bild»-Redaktion ihren Chefredakteur auf einem Gruppenfoto der Atlantik-Brücke lieber abschneidet?

 

Josef Joffe, Mitherausgeber von «Die Zeit», auf der Buchmesse Leipzig 2005

Josef Joffe, Mitherausgeber von «Die Zeit», auf der Buchmesse Leipzig 2005. Mit 19 Verbindungen zu Organisationen war Josef Joffe der am zweitbesten mit Organisationen vernetzte Journalist der Untersuchung. (Bild: Flickr/Dittmeyer, CC BY 2.0)

Mal grundsätzlich gefragt: Was geht es denn überhaupt die Öffentlichkeit an, mit wem Journalisten ihre Zeit verbringen? Die sind doch frei, das zu tun. Ausserdem gelangen sie so an Informationen. Und verboten ist es auch nicht. Ein guter Teil von Zeitungen besteht aus der Auswertung solcher Informationen. Jeder Spitzenpolitiker verfügt «über zwei bis sieben Vertrauensjournalisten», denen er Storys stecken kann – um Verbreitung zu finden, muss man nicht mal, wie in der TV-Serie «House Of Cards», mit ihnen schlafen. Informelle Treffen seien, so ein Printjournalist 2008 zu Kommunikationswissenschaftlerin Christiane Lesmeister, «nicht nur das Salz in der Suppe. Sondern das ist die Suppe. Also darum geht es. Darum geht es.»

Uwe Krüger dagegen sagt: «Es ist nicht hilfreich, wenn Journalisten in Geheimgremien agieren. Journalisten sind Anwälte der Öffentlichkeit.» Es besteht zudem die Gefahr, dass Journalisten in Schweigespiralen geraten: «Journalisten, die Mitwisser und Mitgestalter vertraulicher Politikplanungsprozesse sind, kommen zwangsläufig in Interessenkonflikte, in denen die Rücksichtnahme auf Akteure bzw. ein gemeinsames Projekt der umfassenden Information der Öffentlichkeit gegenübersteht» (Seite 150). Krüger würde gerne eine Debatte um eine neue Ethiknorm anregen, ein Ausgangspunkt könnte die New York Times Company Policy on Ethics in Journalism sein, zum Beispiel Punkt 95.

Die Verbindungen und die auch die Artikel von vier Journalisten hat Krüger genauer untersucht, und zwar jene von Klaus-Dieter Frankenberger (FAZ), Josef Joffe (Zeit), Stefan Kornelius (SZ) und Michael Stürmer (Welt) – sie arbeiten vor allem zu aussenpolitischen Themen und wiesen dichte Netzwerke in US- und Nato-Kreisen auf. Das daraus gezogene Fazit ist eindeutig:

«Ihr Bild von Bedrohungen und Konflikten war ebenso eindimensional und nicht reflexiv wie das in den offiziellen Doktrinen. Stellenweise verwendeten v.a. Kornelius und Joffe Propagandatechniken, wobei offenbleiben muss, ob sie dies bewusst oder unbewusst taten. Die Argumentation der vier Journalisten ist zusammenfassend als unkritisch bis persuasiv zu qualifizieren; Gegenargumente zum offiziellen Diskurs wurden kaum diskutiert.»

Diesem «konsonanten Meinungsbild» setzten übrigens (zu Kontrollzwecken ebenfalls untersuchte) Medien wie die Frankfurter Rundschau und die taz, welche selbst keine personellen Netzwerke in das sicherheitspolitische Establishment aufwiesen, keine dezidiert eigene Haltung entgegen.

Obwohl die militärische Lage in Europa so sicher ist wie schon lange nicht mehr, beschwört Michael Stürmer in seinen Artikeln ständig eine «neue Zeit» und eine «gefährliche Welt». Stefan Kornelius macht aus Begriffen wie «Unsicherheit» oder «Gefahr» handelnde Akteure (2010 in der SZ). Auf Seite 207 steht:

«Alle vier Journalisten verwenden und propagieren den erweiterten Sicherheitsbegriff, machen sich für mehr deutsches Engagement in der Nato und für die transatlantische Partnerschaft stark und fordern die Bundesregierung zu grösseren Anstrengungen auf, um das skeptische Wahlvolk von einer robusteren Aussen- und Sicherheitspolitik zu überzeugen.»

«Medien sollten einen eigenständigen Diskurs führen, der die Machteliten aus einer kritischen, unabhängigen Perspektive hinterfragt», sagt Uwe Krüger im Gespräch. Doch das tun sie nicht, sie berichten oft wie selbstverständlich aus einer Warte der Elite. Nur ganz selten findet sich in den Medien der Standpunkt des Arbeiters, des Arbeitslosen, des Ausländers, des Ungebildeten, des Dörflers wieder. Und warum? Weil solche Leute weniger zu den Kunden von Informationsmedien gehören. Und weil Journalisten das selten selbst sind.

71 Prozent der Journalistenschüler in Deutschland haben mindestens ein Elternteil mit Hochschulabschluss, hat eine Studie von Klarissa Lueg 2012 herausgefunden. «Kinder von Facharbeitern oder ungelernten Arbeitern» dagegen «existieren an den Journalistenschulen nicht». Journalisten rekrutieren sich aus der Mittelschicht: «Beim Beruf des Vaters dominiert der Beamte, gefolgt von Angestellten oder Selbstständigen. Beim Beruf der Mutter steht die Angestellte an der Spitze, knapp vor der Beamtin.»

Wendelin Wiedeking und Markus Schächter beim Deutschen Medienpreis 2004 am 13. Februar 2005

Wendelin Wiedeking (damals CEO von Porsche) und Markus Schächter (damals Intendant des ZDF) an der Verleihung des Deutschen Medienpreises 2004 am 13. Februar 2005. Mit 20 Verbindungen zu Organisationen war Markus Schächter der bestvernetzte Journalist der Untersuchung. (Foto: deutscher-medienpreis.de)

Ein weiterer Punkt ist die Abhängigkeit der Medien von der Werbewirtschaft. Medien wie der «Spiegel» oder die «Zeit», in der Schweiz beispielsweise die Weltwoche und die NZZ, sind abhängig von Anzeigen von Luxusprodukten im Hochpreissegment wie Uhren, Autos oder Wein, welche die (vermögenden) Eliten ansprechen. «In einem Konfliktthema werden Medien, die vor allem auf Eliten zielen, die Interessen der Vermögenden eher schützen», glaubt daher Uwe Krüger.

Es ist das Milieu, das prägt, und Journalisten zu dem macht, was sie grösstenteils sind. Journalisten werden nicht etwa von den Eliten «umgedreht», sondern sie bringen sich aus eigenem Antrieb in eine Position, in der sie dann von den Eliten aufgenommen werden. «Die Position eines Ressortleiters in einem Elite-Medium erreicht man nicht, ohne elitenkompatible Haltungen zu haben», so Krüger. Revolutionäre müssen also draussen bleiben. Auf Seite 145 wird das genauer erklärt:

«Journalisten vertreten nicht unbedingt bestimmte Meinungen, weil sie im Netzwerk sind, also weil sie von den Eliten kognitiv vereinnahmt worden sind. Eine Koinzidenz zwischen Journalistenmeinung und Umgebungsmeinung mag schon vorher bestanden haben und der Grund für die persönliche Annäherung gewesen sein. Gut möglich ist hingegen, dass das Eingebundensein in einem Netzwerk eine Meinung verfestigt und auch verhindert, dass diese im Zeitverlauf kritisch hinterfragt wird; möglich ist ausserdem, dass ein Journalist dazu angehalten wird, bestimmte Interessen seiner sozialen Umgebung aktiv zu propagieren. Denn als Sanktion kann der Ausschluss aus dem exklusiven Zirkel drohen: Sozialkapital ist eben, anders als ökonomisches oder Humankapital, nicht vollständig im Besitz eines Akteurs, sondern kann vom Beziehungspartner entzogen werden.»

Um nochmals die erste Staffel von «House Of Cards» zu bemühen: Die Beziehung zwischen Journalistin und Bloggerin Zoe Barnes und Politiker Frank Underwood wird erst dann zu einem Problem, als ihr Barnes Sex und Underwood Sozialkapital entzieht.

 
Crosspost von Medienwoche. Foto von Josef Joffe: Flickr/Dittmeyer, CC BY 2.0, Foto von Markus Schächter: deutscher-medienpreis.de

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