#Blogs

In Blogs geht’s doch drunter und drüber!

von , 1.3.12

Die gedruckte NZZ hat ein Alleinstellungsmerkmal. Sie steht allein auf weiter Flur. Und sie steht dort gern und unverrückbar. Als Solitär. Martin Meyer, seit 38 Jahren im Feuilleton der NZZ (und seit 20 Jahren dessen Leiter), sorgt mit Umsicht und stillem Humor dafür, dass nichts ins ehrenwerte Blatt kommt, was dort nichts zu suchen hat. Anders als seine deutschen Kollegen, die sich gern in tagespolitische Debatten verstricken, sieht Meyer in der seriösen Kulturberichterstattung vor allem die Aufgabe, das Dauerhafte vom Firlefanz zu trennen. Er würde sich deshalb eher mit den Texten der alten Sumerer beschäftigen als mit den Summen heutiger Ehrensöldner.

Apropos Ehrensöldner. Zwei Aussagen in diesem wirklich lesenswerten Interview stechen heraus. Die erste befasst sich mit dem Phänomen des Ehrenjournalismus, der sich in Qualitätsmedien immer weiter auszubreiten scheint. Ehrenjournalismus heißt: Journalisten sollten ihren Beruf doch endlich als Liebhaberei begreifen.

Sie sagten mal, es sei eine Ehre, für die NZZ zu schreiben, auf das Honorar komme es nicht an (2009). Können Sie sich vorstellen, dass das ein Affront ist für einen Journalisten, der versucht, sein Geld auf dem freien Markt zu verdienen?

Ich versuche zu erklären, was ich damit – übrigens ohne jede Provokation gegenüber freien Journalisten – gemeint habe, da es zu Missverständnissen Anlass gab. Feuilleton-Berichterstattung ist sehr aufwändig. Wenn Sie ein Buch besprechen müssen, sagen wir: von 500, 1000 oder sogar 1700 Seiten wie das neue von Péter Nádas, dann müssen Sie sich überlegen, wie lange sie brauchen, um das zu lesen. Sie kommen auf eine Woche, vielleicht zwei. Dann erstellen Sie sich ein Schreibkonzept für die Rezension, schreiben den Text, polieren und redigieren ihn. Am Schluss haben Sie sicher einen halben Monat investiert. Auch wenn Sie den Stundenlohn einer Putzfrau einsetzen, kommen Sie auf eine Summe, die wir nie zahlen könnten, weil wir unter Umständen drei, vier, fünf solche Rezensionen täglich im Blatt haben. Darum sind wir auf Idealisten angewiesen, die sich das leisten können und wollen, und das sind eigentlich sehr viele, die für uns schreiben. Ohne diese Schar von freien Mitarbeitern, die bereit sind, auf eine normale Entlöhnung zu verzichten, könnten wir unser Feuilleton gar nicht machen. Ergo: Diese Art von Feuilleton wird mindestens teilweise von unseren freien Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern subventioniert. Ich kann und darf deshalb ergänzen: Es ist uns eine Ehre, dass diese Kolleginnen und Kollegen für uns tätig werden.

 

Die zweite interessante Bemerkung betrifft Meyers Einschätzung des Bloggens, das er für das glatte Gegenteil des NZZ-Feuilletons hält:

Ist das Schreiben im Feuilleton eigentlich mit dem Bloggen verwandt? Beides ist doch nicht so streng in Textformen gepresst und lässt auch mal Gedankenexperimente zu…

Wenn ich sehe, mit welchen sprachlichen Mitteln gebloggt wird, dann machen wir eigentlich das pure Gegenteil. Wir machen Gedankenkonzentration, wir versuchen, gut und konsistent zu argumentieren und das in eine Sprache zu fassen, die den Regeln der Grammatik und des Stils genügt. Wenn Sie die meisten Blogs anschauen, dann geht es dort sprachlich und häufig auch gedanklich drunter und drüber. Warum? Weil das schnelle Medium dazu einlädt. Weil es aber heute so viele Ablenkungsmöglichkeiten gibt, ist es eine Kunst, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Schwierigkeit liegt darin, bei enormem Angebot das herauszufiltern, was einen selbst weiterbringt. Anders gesagt: Dass man nicht zuletzt einen unendlich großen Legokasten mit vielen halbangefangenen Modellen am Boden herumstehen hat, über die man stolpert – ab und zu bricht etwas zusammen, aber einen von A bis Z durchgestalteten Prozess gibt es kaum mehr. Das heißt: Für die Kreativität ist es eher schwieriger geworden, weil man sich disziplinieren muss.

 

Das Schöne an diesem unaufgeregten Interview ist, dass hier zwei Generationen aufeinandertreffen, die (vermutlich) völlig konträre Meinungen vertreten, die einander aber doch aufmerksam zuhören und ihr jeweiliges So-Sein respektieren. Ja, die Schweiz!

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