#Antisemitismus

Im Dienst »des Volkes«

Die Causa Documenta macht deutlich, welche Fallen die Konjunktur postkolonialer Debatten und die gerne daraus folgende »Dekolonisierung« aller möglichen Kulturerbe bereithalten und wozu die vulgäre Verkürzung von Kunst auf Politisierung und politische Wirksamkeit führen kann.

von , 22.6.22

Die »documenta fifteen« macht deutlich, wie aktuell der Kampf gegen Antisemitismus ist und zeigt die Grenzen einer Kunst auf, die immer politisch sein will. 

Wochen- und monatelang wurde im Vorfeld der »documenta fifteen« über die offenkundige Nähe des »ruangrupa«-Kollektivs zur »Bewegung« »Boycott Divestments Sanctions« (BDS) und über möglichen Antisemitismus der Künstler und Kuratoren diskutiert. Nun erweist sich alles als viel schlimmer, als es zuvor zu befürchten war. Die Kasseler Schau präsentiert antisemitische Hetze, die in der Tat an den »Stürmer« erinnert, die verantwortlichen Aktivisten schwafeln in ihren fragwürdigen Distanzierungen von ausbleibendem Dialog, die Geschäftsführung von verletzten Gefühlen. Es ist unerträglich, es hätte nicht passieren dürfen und abgewendet werden können. Denn BDS ist eben keine Graswurzelbewegung der Subalternen und schon mehrfach mit eindeutig antisemitischen Botschaften aufgefallen. Und das Aufrechnen der kolonialen Verwüstungen des europäischen Imperialismus gegen die antisemitische Vernichtungspolitik der Nazis ist eine schlechte Idee, wie schon die Debatte um Achille Mbembe zeigte. Die Causa Documenta macht darüber hinaus jedoch zweierlei deutlich: Erstens, welche Fallen die Konjunktur postkolonialer Debatten und die gerne daraus folgende »Dekolonisierung« aller möglichen Kulturerbe bereithalten. Und zweitens, wozu die vulgäre Verkürzung von Kunst auf Politisierung und politische Wirksamkeit führen kann. 

Es ist schwer von der Hand zu weisen, dass die globale Verteilung von Wohlstand, Macht und Teilhabe an zivilisatorischen Errungenschaften nach wie vor ein nicht akzeptables Gefälle aufzeigt, das noch immer eine Folge der westlichen Kolonialherrschaft über weite Teile der Welt ist. Ebenso trifft es zu, dass der globale Handelszuwachs der letzten Jahrzehnte vor allem den reichen Staaten zugutekam, während die Menschen in Afrika, Südostasien oder Lateinamerika größtenteils auf herabfallende Brotkrumen hoffen sollen. Und nicht zuletzt ist Dekolonisierung auf gesellschaftlicher und kultureller Ebene eine dringliche Notwendigkeit. Der tief verankerte Glaube des Westens an seine Überlegenheit ist schlechterdings rassistisch, die Rückgabe von Raubkunst kein Entgegenkommen, sondern eine Selbstverständlichkeit. Und auch sprachliche Sensibilität ist angesagt, wenn etwa von der »Entdeckung Amerikas« die Rede ist oder von Afrika so gesprochen wird, als handele es sich um ein einziges Land. Die Kritik am eurozentrischen Blick auf die Welt trifft in gewisser Weise auch auf den Umgang mit dem Holocaust zu, dessen Bedeutung sich aus anderer Perspektive auch anders darstellt. Wer sich je mit den Verbrechen der belgischen Kolonialmacht im Kongo beschäftigt hat, kann verstehen, dass Auschwitz nicht mehr allein, sondern als ein Zivilisationsbruch neben anderen steht.

Und doch ändert die Anerkennung dieser Tatsache wenig an der realen Gefährlichkeit, die von antisemitischen Erzählungen ausgeht. Denn »die Juden« sind stets eine Projektionsfläche für das »Degenerierte«, das »Entfremdete«, das Abstrakte, für alles das, was Menschen an einer komplexen, vielschichtigen Welt nicht verstehen oder nicht verstehen wollen. Antisemitismus ist mithin die perfekte Folie für einfache Erklärungen, die wütende Kleinbürger eben nicht nur in Dresden oder Chemnitz, sondern auch in der arabischen Welt oder Jakarta in Erregung versetzt. Genau das zeigt die jetzige Documenta oder vielmehr die dort vertretenen Aktivisten, etwa die Gruppe »Taring Padi«, die für das antisemitische Wimmelbild mit dem beredten Titel »Peoples Justice« verantwortlich zeichnet, das nun in Kassel verhüllt wurde. Nicht nur die fragliche Arbeit, auch das Programm des indonesischen »Künstlerkollektivs« muss der historisch halbwegs gebildeten Leser:innenschaft eiskalte Schauer den Rücken hinunterjagen. Auf dessen Website werden »5 Übel der Kultur« definiert, deren Bekämpfung sich das selbst ernannte »Volkskulturinstitut« zur Aufgabe macht und zu denen »individualistische und opportunistische Gruppen« zählen, die »mangelndes Verständnis für die Funktion der Kunst in der Gesellschaft« aufwiesen und »Kunst um der Kunst willen« oder gar »Elitendiskurs« betrieben. Man fühlt sich an die Indienstnahme der Kunst durch Staatssozialismus und Faschismus im 20. Jahrhundert erinnert: Kunst hat stets »dem Volk« zu dienen, und was als Kunst gilt, bestimmt das Kollektiv, wer nicht spurt, hat dann wohl mit Konsequenzen zu rechnen. 

Ironischer Weise ist die Freiheit der Kunst zuletzt auch im Westen etwas aus der Mode gekommen. Zumindest, wenn man dem Publizisten Wolfgang Ullrich folgt, dessen jüngstes Buch »die Kunst nach dem Ende ihrer Autonomie« die These aufstellt, viele Künstler wollten sich selbst in den Dienst einer zumeist politischen Sache stellen. Tatsächlich lässt sich dieser Trend seit langem beobachten. Kaum ein Festival, kaum ein Theaterspielplan kommt aus ohne direkte politische Bezüge, Intendant:innen oder Kurator:innen wollen Relevanz beweisen, indem sie sich als politische Theoretiker versuchen. In vielen Fällen verhaspeln sich diese Bemühungen dann in verkürzter Kapitalismuskritik, meist wird der »Neoliberalismus« als der globale Finsterling ausgemacht. Von Walter Benjamin stammt die These, die Ästhetisierung der Politik führe in den Faschismus. Wohin die dogmatische Politisierung der Kunst hingegen führt, zeigt wohl der vorläufige, gruselige Höhepunkt dieser Entwicklung in Kassel. Dabei wäre gerade in Zeiten planetarischer Krisen und zunehmender gesellschaftlicher Verhärtungen eine Kunst gefragt, die nicht populistische Politik zum Thema macht, sondern sich den großen Fragen der Gegenwart stellt, die zugleich auch die großen Fragen der Menschheit sind. 

Zustimmung, Kritik oder Anmerkungen? Kommentare und Diskussionen zu den Beiträgen auf CARTA finden sich auf Twitter und auf Facebook.
Topics: