#Gratisnutzung

Ich möchte das Netz mit echtem Geld bezahlen

von , 14.1.13

Manchmal denke ich, dieses Internet, das kann doch eigentlich gar nicht sein. Ich kann hineingehen, herumklicken, alles anfassen, lesen – haben. Ich kann suchen und finden, reden, zuhören, Bilder anschauen, Filme sehen, alles alles immer immer. Ohne zu bezahlen.

Fast überall in meinem offline-Leben bezahle ich Gebühren, Eintritt oder Jahresbeitrag, und bekomme dafür einmaligen Zugang oder vergünstigte Teilnahmebedingungen. Offline erfahre ich die geheimsten Geheimnisse eines fiktiven Kaninchenzüchtervereins erst dann, wenn ich jahrelang dabei bin – oder die Einzige. Im Supermarkt ist es jedoch noch nie gelungen, Romanplot gegen Milch zu tauschen.

Manche Anbieter sind dazu übergegangen, Flatrates anzubieten, das wirkt dann ein bisschen wie sehr sehr günstig, vor allem, wenn man aus dem Vorwahlenzeitalter stammt wie ich. Von Berlin nach Reutlingen telefonieren – wählen, und dann ist belegt. 20 Ziffern wieder von vorn, falls ein anderer Anbieter just zu diesem Zeitpunkt einen besseren Tarif bot als der vorige.

 

Scheinbare Rundumversorgung

Nichts davon ist im Netz zu sehen, das in seinen Social-Media-Strömen ein bisschen daherkommt wie Muttermilch – immer wohltemperiert, ein bisschen Klicken, und schon strömt alles, bis man pappsatt ist. Der User als schnurrend wohlgenährter Säugling, Stolz seiner Eltern, williger Werbeadressat für die Wirtschaft. Kann das so bleiben? Reicht das aus?

Dem Einen sicher. Dem, der es nicht anders kennt. Der nimmt die immer höher werdenden Mauern seines walled gardens in den Netzwerken überhaupt nicht mehr wahr. Der kauft sich ein Smartphone X und vermisst den Zugang zu den Angeboten von Y überhaupt nicht. Hat ja auch hier Spiele, Mail, Kalender und friends. Gratis.

Der andere User, der krabbeln lernt (und wie man AdBlocker installiert), beginnt irgendwann zu sprechen und sich zu wehren, auf Nutzerrechte zu pochen, um dann mit großen Fahnen durch die Netzwerke zu ziehen mit irgendwas von “amerikanischen Konzernen” drauf. Ohne je einen realen Cent irgendwo gelassen zu haben – Tauschgeschäfte wie im restlichen Leben kennt er schlicht nicht.

Was führt uns zu der irrigen Annahme, wir hätten Nutzerrechte auf einem der bekannten Portale? Mal ganz puristisch gefragt? Was legitimiert uns dazu, einem Anbieter vorschreiben zu wollen, wie er mit unseren Nutzerdaten umgeht, unseren Bildern, unseren Postings? Wir erinnern uns nur noch dunkel daran, dass wir früher für die Entwicklung unserer Fotos bei Schlecker bezahlt haben, und für jedes einzelne Fotoalbum, in das wir sie anschließend eingeklebt haben, auch.

Stehen wir also mit unseren Ansprüchen nicht ein wenig nackert da, wie einst Eva im Paradies damals, kurz vor dem Biss in den Apfel?

Haben wir denn bis hierhin irgendetwas beigetragen, um auf gleicher Höhe zu argumentieren mit denen, die da eine Software gebastelt entwickelt haben (und sie pflegen!), die zu nutzen uns keiner zwingt, und wir tun es dennoch, jeden Tag zu unserem ganz egoistischen Nutzen?

Ist das nicht ein bisschen wie damals in der Pubertät, als man nach den eigenen Regeln leben wollte, und die Eltern trotzdem den Kühlschrank füllen sollten?

 

Mein schlechtes Gewissen

Und dann ist da der dritte User, der sich irgendwann Gedanken macht. Der Spott einkassiert, weil er z.B. auf favstar.fm einen bezahlten Pro-Account hat. Warum Spott? Ganz einfach: wegen der verkehrten Sicht auf die Dinge. Einerseits kann man einen solchen Account haben, um mehr seiner eigenen Tweets sichtbar zu machen, um mehr Ruhm für mehr Ewigkeit einzusammeln. Andererseits aber kann man so die Arbeit derjenigen honorieren, die einem jeden Tag eine Menge Freude machen. Dasselbe gilt für wordpress-plugins oder Blogs und Foren, deren donate-Button man tapfer ignoriert. Wieviel z.B. netzpolitik.org kostet, kann man hier nachlesen.

Oder facebook-Spiele. Was für eine lästige Plage sie doch sind, diese Spiele-Updates! Dummerweise gehöre ich selber zu denen, die leidenschaftlich gern Bubble Island spielen, unentgeltlich natürlich. Und dann geschieht etwas. Dann erfahre ich, dass ein mir persönlich bekannter Mensch just in der Firma arbeitet, die solche Spiele macht. Er hat das mitgestaltet, das ich täglich mit so viel Freude nutze. Er lebt also von den Einnahmen aus diesen Spielen. Indem ich das Produkt seiner Arbeit gratis nutze, hat er dann nicht weniger zu essen? Kann ich das mit meinem Gewissen vereinbaren? Und mit dem Widerspruch zum Offline, wo ich, wir erinnern uns, nicht einmal eine Packung Mehl bekomme, ohne sie zu bezahlen?

Und jetzt die Nachrichtenportale. Manche davon betrachte ich als gebührenfinanziert, und deshalb meine Nutzung für legitimiert. Andere aber, sagen wir mal SPON oder sueddeutsche.de, sind es nicht. Auf zeit.de fühle ich mich berechtigt, die Texte zu lesen, ich bin ja Papierabonnentin. Wohl wissend, dass das vielleicht nicht ganz genau hinhaut. (Und ich ärgere mich über meinen Ärger bei der Feststellung, dass die von mir bezahlten Papierartikel wenige Tage später dann gratis online stehen.)

 

Die Alternative sind öffentlich-rechtliche Netze

Woher kommt dieses Gefühl, die Netzinhalte stünden uns zu? Weil manche davon von uns für uns generiert werden? Okay. Blogger geben ihre Arbeit und Zeit, Leser ihre Zeit und ihre Kommentare.

Aber z.B. facebook und G+ als solches? Zeitungen? Bilderdienste? Oder die Wikipedia? WordPress? Etc. Mir ist durchaus klar, dass ich versteckt irgendwo bezahle, und sei es mit mir als Nutzerzahl, oder mit meinen Daten. Aber ich glaube, wir sind mit der Netznutzung in der Adoleszenz angekommen. Eltern sind auch irgendwie glücklich über ihre Kinder, und dennoch wird es irgendwann Zeit, die Zugfahrkarten für die jährlichen Besuchsfahrten selber zu bezahlen.

Anbieter sind professionell geworden, Nutzer ebenso. Ich möchte nicht mehr länger mit meinen Daten bezahlen, ich möchte meinen Dienstleistern auf Augenhöhe entgegentreten können. Autonom. Und das funktioniert nur über Geld. Wenn ich sowieso ein Kunde bin, dann bitte ein richtiger Kunde. Dann kann ich im Rahmen einer Geschäftsbeziehung auf meine Rechte pochen.

Habe ich aber kein Geld, sondern nur Zeit und Inhalte, sind die von Mathias Richel und anderen geforderten öffentlich-rechtlichen Netze die einzig denkbare Alternative. Denkt man den obigen Ansatz nämlich zuende und kommerzialisiert unser Sozialleben und unsere Kommunikation, dann zerstören wir alles, wofür das Netz in meinen Augen steht, nämlich die noch nie dagewesene Chance auf Partizipation, und wir hängen diejenigen ab, die nicht über die Mittel verfügen, um sich den Zugang zu erkaufen.
 

Weiterführende Links:

 
Crosspost von Denkding

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