#Bildungsstreik

Hochschulreform: Mein Traum von der deutschen Universität

von , 25.3.10

Ich wollte diesen Beitrag schon Ende November letzten Jahres schreiben, als mich die Anne Will-Redaktion gefragt hat, ob ich prinzipiell bereit wäre, an einer Runde zum Thema Hochschulproteste teilzunehmen. Ich war zu dem Zeitpunkt verhindert, da ich an dem Tag Vater werden sollte. Aber als ich Tage später bei Spiegel Online las, dass Annette Schavan die Sendung verwendete, um sich selbst mit Eigenlob zu überschütten, habe ich mich geärgert, dass ich nicht dabei sein konnte, um ihr zu widersprechen.

Im Jahre Zehn nach dem Beschluss zum Bologna-Prozess steht es mit der Hochschullandschaft in Deutschland nicht zum Besten. Gerade Frau Schavan hat keinen Grund zu feiern. Nicht nur, dass ihr durch die Föderalismusreform wichtige Möglichkeiten zur Einflussnahme auf die Bildungspolitik der Länder genommen wurden. Sie hat es auch versäumt, eigene Akzente zur Ausgestaltung des Bologna-Prozesses und der generellen Reform der deutschen Hochschullandschaft zu setzen. Fakt ist, dass Studierenden von Rostock bis Konstanz nicht ohne Grund protestiert haben.

Die Gründe für die Proteste sind vielfältig. Studierende protestieren gegen Studiengebühren, gegen die Abwicklung ganzer Fachbereiche, für die Drittelparität in den Gremien, für eine verbesserte Lehre und natürlich gegen die Bologna-Reform im Allgemeinen. Die Vielzahl der Protestthemen hat die nationale Bildungsdebatte extrem unübersichtlich gemacht. Die Positionen sind teilweise unklar und abstrakt, die Forderungen widersprüchlich. Zum Beispiel wird die Forderung nach Drittelparität in Hochschulgremien von Studierendengruppe gemischt bewertet. Wenn dominante Hochschulgruppen mit unrealistischen Forderungen die Gremienarbeit blockieren, dient das nicht unbedingt der besseren Vertretung studentischer Interessen.

Dieses Tohuwabohu hat es Frau Schavan ermöglicht, eigene Politikerfolge stolz zu verkünden, während die eigentliche Bildungsmisere nicht angesprochen wurde. Die Erhöhung des Bafög, ein Erstsemesterrekord und die – wohlgemerkt nur – geplante Einführung von Stipendien für besonders Begabte sind lediglich Einzelschritte und ändern nichts am generellen Notstand der Bildung in Deutschland.
Die dringendsten Probleme liegen jedoch nicht bei der Machtverteilung in den Hochschulgremien, der Finanzierung eines Studiums oder dem Budget der Universitäten. In drei Streitschriften zwischen Julian Nida-Rümelin und Sebastian Litta, die in der Zeit erschienen sind, wurden die grundlegenden Schwierigkeiten in der Hochschullandschaft aufgeworfen. Im Auge des Orkans war natürlich die umstrittene Bologna-Reform. Herr Nida-Rümelin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Kultusministerkonferenz bei der Konzeption der Bachelor- und Masterstudiengänge Fehler gemacht hat. Herr Litta hat in der Erwiderung diesen Ansatz um eine Kritik an den Fakultätskommissionen erweitert, die bei der Umsetzung der Studiengänge die konzeptionellen Fehler verschlimmert haben.

Tatsächlich haben die Bildungsminister, Hochschulpolitiker, Unipräsidenten, Wissenschaftsratsmitglieder, Akkreditierungsagenturen, Beratungsfirmen und die Fakultäten die Bologna-Reform vermasselt. Die Bachelorstudiengänge sind mit 3 Jahren zu kurz angelegt worden. Die Studienordnungen verlangen einen zu hohen Grad an Verschulung. Die fehlende Anerkennung von im Ausland erworbenen ECTS hat Mobilität erschwert. Letztlich sind die europäischen Universitäten gegenüber den US-amerikanischen Universitäten durch die Bologna-Reform nicht konkurrenzfähiger geworden.

Dieses kollektive Versagen der deutschen Bildungsexperten ist nicht einfach zu verstehen. Einerseits wurde das deutsche Abitur überbewertet, andererseits haben die zahlreichen Kritiker den Prozess erschwert. Denn einige Professoren haben die Umstellung als eine Kapitulation gegenüber dem US-amerikanischen Hochschulsystem gesehen und waren nicht bereit, die neuen Studiengänge konstruktiv in die Praxis umzusetzen. Darüber hinaus hat die Strategie, die alten Diplom- und Magisterstudiengänge in den neuen Studiengängen aufgehen zu lassen, während die alten Studiengänge weiterliefen, zu Chaos geführt. Es gab überfüllte Kurse mit Bachelor-, Diplom-, Master- und Magister-Studierenden, die alle jeweils in verschiedenen Stadien ihres Studiums waren. Es kann ja nicht der Sinn der Sache sein, dass solch extrem heterogene Gruppen entstehen. Viele Professoren und Dozenten haben einfach ihre alten Kurse angeboten, ohne sie den neuen Studiengängen anzupassen. So gesehen waren die Proteste der Studierenden durchaus gerechtfertigt, wobei manche Gebäudebesetzungen übers Ziel hinausgeschossen sind.

Inzwischen arbeiten die Universitäten daran, manche Fehler zu berichtigen und sogar die KMK zeigt Veränderungsbereitschaft für die Richtlinien der Studiengänge. Doch es gibt ein noch tiefergehendes Problem, das gelöst werden muss, bevor der Bologna-Reform von Erfolg gekrönt werden kann. Denn es gibt ein Zugangsproblem an den Universitäten durch den Numerus Clausus. Bei den Juristen und vor allem bei den Medizinern braucht man  mittlerweile mindestens einen 1,3er-Durchschnitt, um einen Studienplatz zu bekommen. Sogar bei den Sozialwissenschaften ist es ohne einen Einser-Durchschnitt schwer, einen Platz zu ergattern.

So wird die soziale Selektion immer weiter getrieben. Es ist dabei ja nicht nur problematisch, dass es durchaus Qualitätsunterschiede unter den Abituren je nach Schule oder Bundesland gibt. Es sieht im Moment fast so aus, als seien die einzigen Studienfächer, die man mit einem Zweier-Abi noch studieren kann, Judaistik, Slawistik und noch einige wenige Exotenfächer. Abiturienten mit einem mäßigen Durchschitt haben also kaum mehr eine Wahl. Für sie bleiben nur noch wenige Fächer übrig – egal ob sie an diesen Fächern Interesse haben – oder der Weg nach Österreich. Dieser Exodus hat allerdings den kuriosen Nebeneffekt, dass in Österreich mittlerweile die erste richtige linke Protestkultur unter Studenten entstanden ist. – Und so zwängen sich eine Vielzahl von wenig motivierten Studierenden in die überfüllten Hörsäle der Exotenfächer.

Es kann doch nicht sein, dass der Numerus Klausus einen zwingt, etwas zu studieren was man nicht will, nur weil die Abiturnoten nicht so gut waren. Das widerspricht völlig dem Bildungsgedanken. Darüber hinaus werden gerade Schüler aus Migrantenfamilien benachteiligt. Den Sprung aufs Gymnasium schaffen sie in Deutschland äußerst selten im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern.

2008 habe ich in der Zeit meinen Traum von der deutschen Universität veröffentlicht. Darin habe ich dieses Zugangsproblem angesprochen und versucht, einen Lösungsansatz zu skizzieren. Ein zweijähriges Studium Generale wäre eine Möglichkeit, den Studienanfängern genug Zeit zu geben, sich für ein geeignetes Interessengebiet zu entscheiden. Ich habe selber während meines Studiums in den USA ein Studium Generale absolviert. Ich war damit in die Lage versetzt, Kurse über Meeresbiologie, Informatik, antike Götter und russische Kultur zu belegen sowie einen Literaturkurs über „Ghosts that haunt us“ zu belegen, in dem wir ausschließlich Schriften von Afroamerikaner, Latinos und Indianer gelesen haben. Obwohl ich letztendlich Politikwissenschaft studiert habe, waren diese Kurse wichtige Schritte für meine akademische Entwicklung.

Im deutschen Kontext würde ich das Studium Generale in Trimester gliedern, damit die Studierenden in kurzer Zeit eine große Auswahl von Fächern kennenlernen. Ein Auslandssemester, um eine weitere Sprache zu lernen, sollte währenddessen Pflicht sein. Das Studium Generale wäre dann die Basis des gegenwärtigen Hochschulsystems. Nach den ersten zwei Jahren würden sich die Studierenden endgültig für ein Fach entscheiden und dieses nach einem weiteren Jahr mit einem Bachelor zu Ende bringen. Und dann käme für die, die es wollen – im Sinne eines traditionellen Fachstudiums – der Master, dann der Doktor. Nur wenn die Hochschullandschaft den Mut aufbringt, das Fundament des Studiums grundlegend zu verändern, kann die Bologna-Reform nachhaltig erfolgreich sein.

Ich glaube leider nicht, dass Frau Schavan in der Lage ist, solche Impulse zu setzen – ich bezweifle sogar, dass Sie die eigentliche Bildungsmisere überhaupt erkennt. Von den Kultusministern der Länder, egal welcher Parteienzugehörigkeit, ist leider auch wenig in dieser Richtung zu erhoffen. Meiner Meinung nach werden die Weichenstellungen für eine solche Veränderung an den Universitäten gelegt. Dort müssen Lehrende, Verwaltung und Studierendenvertretung zueinander finden, um genügend Druck zu erzeugen, damit mein Traum Wirklichkeit werden kann.

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