#Demokratie

Herrschaftsmanagement und Vertrauensverlust: Die neuen Wege der Demokratie

von , 7.4.09


Der Parteienstaat, so ein gängiger und in diesen Tagen medienwirksam vom SPIEGEL-Korrespondenten und Buchautor Gabor Steingart aufgegriffener Vorwurf, habe sich von der Basis abgekoppelt, betreibe „Politik ohne Volk“. Ändern könne man an den Zuständen nur etwas durch Wahlenthaltung, so Steingart. Richtig an dieser häufig wohlfeil, im Falle Steingarts beleidigt daher kommenden Kritik ist, dass die nationalstaatlich ausgerichtete Demokratie unter Druck steht. Doch sind die Schwierigkeiten der Parteien, sich darauf einzustellen, eher Ausdruck als Ursache des Problems.

Der britische Economist hat jüngst geleitartikelt, die Finanzgeschichte müsse im Zuge der Wirtschafts- und Finanzkrise neu unterteilt werden, in „BC“ für „before crisis“ und „AD“, also „after disaster“. Dies trifft nicht nur auf die Geschichte der Finanzmärkte zu. Denn die Finanzkrise stellt nicht nur die Glaubwürdigkeit des Wirtschaftssystems in Frage. Wir erleben auch eine neue Debatte über die Rolle und Relevanz des Staates. Statt der intellektuellen Monotonie von Effizienz, weniger Staat und Deregulierung geht es plötzlich um die Handlungsfähigkeit der Demokratie. Die Abgesänge auf den vom Markt „outperformten“ und von der Globalisierung überwältigten Staat sind verstummt. Dies mutet schon fast wieder paradox an, hat doch gerade die Krise gezeigt, von welch eingeschränkten Spielräumen nationales Regierungshandeln geprägt ist.

Sollen vergleichbare Spekulationsgeschäfte und (Beinah-)Zusammenbrüche künftig verhindert werden, braucht es internationale, weltweite Regelwerke und Kontrollmechanismen, kurzum eine globale Ordnungspolitik. Letztlich geht es um nicht weniger als eine Anpassung der politischen Zusammenarbeit auf das Niveau der ökonomischen Verflechtung. Die traditionelle Abgrenzung zwischen nationaler und internationaler Sphäre sowie das Konzept nationalstaatliche Souveränität – längst ist all das durch die sich verändernden Strukturen des internationalen Systems nicht mehr wirksam. Globalisierung, so hat es Saskia Sassen (mehr dazu hier) herausgearbeitet, „entnationalisiert“, was national konstruiert war. Staatlichkeit, im 20. Jahrhundert weitgehend im Staat konzentriert, lagert sich bei Institutionen jenseits des Staates an. Und während politische Entscheidungsfindung immer häufiger im Kontext der Einbindung in das internationale System erfolgt, hinkt die Schaffung effektiver und für den Bürger wahrnehmbarer demokratischer Strukturen (insbesondere auf EU-Ebene) hinterher. „Staatlichkeit zerfasert“, so die Bremer Wissenschaftler Philipp Genschel und Bernhard Zangl, die Rolle des Staates ändert sich: „Er wird vom Herrschaftsmonopolisten zum Herrschaftsmanager“.

Trotzdem bleibt der Nationalstaat zentraler Referenzpunkt, richten sich die Erwartungen der Bürger wie auch Meinungs- und Willensbildungsprozesse insgesamt weiterhin auf die nationale Politik. Gleichzeitig, und darauf verweist Steingart, droht die parlamentarische Demokratie „von unten“ zu zerbröseln. Bedingt durch ihre Dominanz bei der internationalen Problemlösung (wir haben es gerade beim G20-Gipfel erlebt), aber auch aufgrund des zunehmenden Einflusses mediendemokratischer Handlungslogiken auf den Politikprozess steigt die Bedeutung nationaler Exekutiven im Verhältnis zu den Legislativen, die sich tendenziell überfordert und ausgezehrt zeigen. Die Legislative als Vertretung des Volkes verliert an Sichtbarkeit und Relevanz. Diese Entwicklung geht einher und wird noch gefördert durch eine größer werdende, und hinlänglich dokumentierte Distanz zwischen Parteien und Gesellschaft: die Mitgliedszahlen der Parteien schwinden, der Anteil der Stammwähler schmilzt zusammen, die Wahlbeteiligung geht zurück. Ihre traditionelle Integrations- und Vermittlungsfunktion, ihre Rolle als Bindeglied zwischen regierender Repräsentanz und regiertem Volk – die großen Volksparteien haben sie längst verloren. „Keine zweite öffentliche Einrichtung“ hat seit der Wiedervereinigung „so eklatant an Vertrauen“ verloren wie die politischen Parteien und die Institutionen der Politik, schreibt der Politikwissenschaftler Franz Walter.

Vertrauen also, eine zentrale und scheinbar flüchtige Materie – und eine Kategorie, deren inflationärer Gebrauch nur noch übertroffen wird durch die Unschärfe mit der sie verwendet wird. Der Begriff meint die Unterstützung spezifischer politischer Maßnahmen der Herrschaftsträger oder – in einem diffuseren Sinne – die Einstellungen zur politischen Ordnung und ihren Institutionen. Die häufig alarmistischen Umfragen und Kommentare zum schwindenden Vertrauen in die Politik sind mit Vorsicht zu genießen. Wenn in Umfragen etwa nach dem Vertrauen in die politischen Parteien gefragt wird, kann Skepsis auch als Zeichen einer permanente Rechenschaft einfordernden, kritischen und insofern funktionsfähigen Öffentlichkeit gesehen werden. Dazu kommt (früher war alles viel früher, aber nicht unbedingt besser), dass Vergleiche mit der Vergangenheit hinken. So hat der Historiker Edgar Wolfrum darauf hingewiesen, dass viele Deutsche in den gern zitierten 1950ern und 60ern unter Demokratie vor allem Wohlstand, Konsum und Antikommunismus verstanden, nicht jedoch Mitgestaltung und Partizipation im heutigen Umfang.

Trotzdem: ein Mindestmaß an Vertrauen ist Voraussetzung für eine funktionierende Demokratie. Und um Vertrauen aufzubauen und es zu bewahren, reicht es nicht aus, nur gute Politik zu machen. Es geht auch um die Vermittlung von Politik und die Vermittlung von Interessen, Meinungen und Werten in die Politik.

Dabei geht es nicht nur um Akzeptanz im Sinne dauerhafter Zustimmung, also Legitimation durch gute optimaler Problemlösung und „zufriedene“ Bürger. Es geht auch um politische Beteiligung jenseits von Wahlen und Umfragen, also einen inklusiven demokratischen Prozess durch die Mitwirkung in und Teilhabe an politischen Prozessen. Daran, an der Nutzung „positiver Staatsbürgerrechte“, bemisst sich die Gesundheit gewachsener Demokratien, und hierin liegt die Notwendigkeit für die Parteien begründet, sich in ihren innerparteilichen Strukturen und Prozessen fortwährend zu erneuern.

Deutlicher denn je haben die Entwicklungen der letzten Monate gezeigt, welch grundlegenden Transformationen der demokratische Nationalstaat ausgesetzt ist. Die Politik hat im Krisenmanagement bislang überzeugt und dem galoppierenden Vertrauensverlust Einhalt geboten. Doch die demokratiepolitischen Herausforderungen, die sich aus der Globalisierung ergeben und für die die Finanzkrise nur ein Symptom ist, bleiben ungelöst. Die Parteien sollten die Krise dafür nutzen, in den anstehenden Wahlkämpfen eine grundsätzliche Diskussion darüber, wie sich demokratische Politik in einem Umfeld globaler Verflechtung denken lässt, in Gang zu bringen. Dabei geht es auch darum, ob es ihnen gelingt, an Stelle der Hinterzimmerkultur der Ortsvereine die Demokratie mit neuen, ernsthaften Formen des Dialogs lebendiger und direkter zu gestalten. Doch bedarf es mehr als der Wählermobilisierung via Internet. Wenn auf die Finanzkrise einmal zurückgeblickt wird, als habe es sich um einen „Weltkrieg ohne Krieg“ gehandelt, wie es der Historiker Neil Ferguson formulierte, spätestens dann stellt sich auch die Frage, ob diese Ausnahmesituation nicht auch spezielle kommunikative Mittel, eine neue politische Semantik erfordert?

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