#Familienpolitik

Heitere(s) Geburtenraten! Das Max-Planck-Institut als Stimmungsaufheller

von , 10.12.09

Beim Thema Geburten wird sogar der Wissenschaftsteil der Süddeutschen Zeitung poetisch: „Das Märchen von der leeren Wiege“ lautet der Titel des Enthüllungsstücks. Denn die Pressemitteilung des Max-Planck-Instituts hatte die frohe Botschaft „Trendumkehr bei Geburtenraten“ ohne einschränkendes Fragezeichen angeboten. Und die Süddeutsche Zeitung wusste auch gleich zu berichten, woran die Trendumkehr liegt: am „positiven Einfluss der Politik“. Schöner hätte es Ursula von der Leyen auch nicht formulieren können.

Was haben die Max-Planck-Forscher um Professor Joshua Goldstein denn nun herausgefunden? Sie haben viele, viele Zahlen in eine Tabelle geschrieben – Zahlen aus Moldawien und Weißrussland, Spanien und Kuba, China und Korea, Georgien und Lettland. Diese Zahlen fußen auf den Angaben der jeweiligen Statistikämter bzw. auf „eigenen Berechnungen“ (Schätzungen?) der Rostocker Forscher.

Schon dieses Vorgehen (nicht immer unzweifelhafte Statistiken zu übernehmen) hätte man besser unter einen gewissen Vorbehalt gestellt. Und tatsächlich trägt die Studie im Original auch ein dickes Fragezeichen: Sie heißt: „The End of ‘Lowest-Low’ Fertility?“ und wurde bereits vor sieben Monaten (!) in Detroit vorgestellt.

Die Goldstein-Studie vergleicht die zusammengefassten Geburtenziffern (total fertility rates) in 33 Ländern zwischen 1989 und 2008. 16 dieser Länder sind ehemalige Sowjet-Republiken, 2 sind Zerfallsprodukte Jugoslawiens, 6 liegen in Asien, 8 in Westeuropa und eins in Mittelamerika (Kuba). Deutschland ist doppelt dabei: einmal Ost, einmal West.

Doch die Ergebnisse der Studie sind eigentlich banal: Es wird festgestellt, dass Geburtenziffer und allgemeine Wirtschaftsentwicklung eng miteinander verknüpft sind. Es wird festgestellt, dass „die extrem niedrigen Geburtenraten“ nach dem Kollaps des Kommunismus im späteren Verlauf nicht ganz so niedrig geblieben sind. Erkenntnishöhepunkt: Im Vergleich zum absoluten Tiefpunkt steigen die Geburtenziffern wieder an (was sollen sie auch anderes machen?).

Ihre bezaubernde Wirkung erzielt die Studie aber vor allem durch die Wahl des Untersuchungszeitraums. Sie beginnt 1989, als die Wirtschaftsstrukturen des sowjetischen Imperiums gerade zusammen brechen. Massenarbeitslosigkeit und Mangel an Lebensperspektiven verleiten die Menschen nicht gerade zur Gründung von Familien. Logischerweise rutschen die Geburtenziffern in diesen Ländern drastisch nach unten. In den neuen Bundesländern z.B. sinkt die zusammengefasste Geburtenziffer 1993/94 (während des Höhepunkts der Nachwendekrise) auf den absoluten Tiefpunkt von 0,77 Kindern pro Frau.

Logisch ist auch, dass nach einem solchen Schock eine Erholungsphase nicht ausbleiben kann (in der Studie mündet das in die tolle „Erkenntnis“, dass Frauen das Gebären von Kindern offenbar auf bessere Zeiten verschieben). Wie ernst müssen wir also die zentrale Aussage der Studie nehmen, dass das tiefe Tal der extrem niedrigen Geburtenziffern jetzt möglicherweise durchschritten sei? Sagen wir nicht auch, wenn nach einem Rezessionseinbruch von 100 auf 90 Prozent der Wirtschaftsleistung die Werte wieder auf 92 Prozent ansteigen: Toller Aufschwung!? (Nebenbei: Die Studie zeigt, dass das Absacken der Fertilitätskurve in den westeuropäischen Staaten sehr viel milder verlaufen ist, und dass im alten Bundesgebiet seit 20 Jahren eine ziemlich konstante, nur ganz leicht abfallende Linie existiert).

Die angestrebte Stimmungsaufhellung erzielt die Rostocker Studie aber vor allem dadurch, dass sie zum richtigen Zeitpunkt abbricht! Sie endet mit den vorläufigen Zahlen für 2008. Und das heißt, sie endet, bevor die Auswirkungen der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise in den Kinderzimmern auftauchen (bzw. dort nicht auftauchen!). Würde die Studie die Geburtenziffern für 2009 mit einbeziehen, sähe das Ergebnis schon wieder anders aus. 2009 nämlich wird es in Deutschland – trotz Elterngeld – zu einem drastischen Geburtenrückgang kommen. Von Januar bis August wurden – nach vorläufigen Zahlen – 25.900 Kinder weniger geboren als im gleichen Zeitraum 2008. Das ist ein vorläufiges Minus von 5,7 Prozent.

Das Problem der Rostocker Vergleichsstudie ist es also, dass sie mit der größten wirtschaftlichen Umwälzung der letzten Jahrzehnte einsetzt (der Wende von 1989) und kurz vor den Auswirkungen der jüngsten weltweiten Finanzkrise abbricht. Allein aus diesen beiden Daten hätte man den Kurvenverlauf der Geburtsziffern Pi mal Daumen vermuten können.

Doch den Rostocker Statistik-Auswertern ist gar nichts vorzuwerfen. Sie haben die Entwicklung so seriös wie möglich recherchiert. Und sie ziehen in ihrer Studie auch keine voreiligen Schlüsse. Tendenziös sind nur die Schlussfolgerungen in den so genannten „Nachrichten“ mancher Qualitätsmedien.

So untersuchten die Forscher – ich zitiere aus der Presseerklärung des Max-Planck-Instituts -, „inwieweit wirtschaftliche und politische Gründe die Eltern dazu bringen, den aufgeschobenen Kinderwunsch nun doch umzusetzen. Ihre Daten aus der Zeit vor der momentanen Finanz- und Wirtschaftskrise zeigen: Die Jobsituation beeinflusst die Eltern am stärksten. In einigen Ländern wie Spanien oder Polen begannen die Geburtenraten genau dann wieder nach oben zu klettern, als dort die Arbeitslosenzahlen zurückgingen. Schlechte Aussichten auf dem Arbeitsmarkt bewirkten offenbar das Gegenteil: In acht von neun Ländern waren die Raten zuvor gefallen, während gleichzeitig die Arbeitslosigkeit gestiegen war…Ob auch Familienpolitik höhere Geburtenraten bewirkt, lässt sich mit den neuen Zahlen nicht eindeutig belegen…“ „Um klar sagen zu können, ob und wie politische Maßnahmen wirken“, so Professor Goldstein, „muss weiter erforscht werden, welchen Einfluss andere Faktoren gleichzeitig haben, und wie sie zusammenhängen“. Vorsicht ist die Mutter der wissenschaftlichen Porzellankiste.

Das hindert die Süddeutsche Zeitung freilich nicht, eine ganz eigene Interpretation der Studie als „Nachricht“ zu verkaufen. Die Rostocker Forscher, schreibt die SZ am 8. Dezember auf Seite 1, sähen die Ursachen der positiven Entwicklung in den „Ungenauigkeiten früherer Analysen“ sowie im „positiven Einfluss der Politik“. Man muss es sich nur oft genug einreden.

Lesen Sie dazu auch den Beitrag: Die statistischen Tricks der Ursula von der Leyen

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