#Hausdurchsuchung

Hausdurchsuchung bei Pressefotografen – mal eben so

von , 13.2.13

Im März 2012 fand in Frankfurt eine Demonstration statt, in deren Umfeld ein Polizist von einem Demonstranten angegriffen, mit einem Kantholz geschlagen und mit Reizgas eingesprüht worden sein soll. Der Polizist musste zeitweise auf der Intensivstation behandelt werden. Nun wollte die Staatsanwaltschaft Frankfurt für ihre Ermittlungen Fotos herbeiziehen, die sie bei diversen anwesenden Fotografen vermutete. Der kleine Haken dabei: Diese Fotografen sind Pressefotografen, also Journalisten. Für sie gelten besondere Rechte.

Am Mittwoch, dem 6. Februar 2013, wurden im Rahmen einer bundesweiten Razzia die Wohnungen von neun Pressefotografen — und nur von Pressefotografen — in vier Bundesländern durchsucht.

Angeblich habe man nicht gewusst, dass es sich um Pressefotografen handelt, hieß es zunächst. Doch schon am folgenden Tag stellte sich heraus: Die Behörden wussten sehr wohl, wen sie da durchsuchen.

In diesem Zusammenhang bat ich den Langenfelder Rechtsanwalt Dr. Michael Stehmann in einem per E-Mail geführten Interview um eine Beurteilung der bislang bekannt gewordenen Fakten.
 

Carta: In den Zeitungsartikeln über diese Razzia wird immer wieder hervorgehoben, dass Journalisten und damit auch Pressefotografen eigentlich geschützt sein sollten, da sie ein besonderes Zeugnisverweigerungsrecht haben. Schützt sie dieses Recht (normalerweise) vor so einer Hausdurchsuchung bzw. wie hoch schätzt Du den Erfolg von Beschwerden etc. ein?

Dr. Michael Stehmann: Einfachgesetzlicher „Aufhänger” ist im vorliegenden Fall § 97 Absatz 5 der Strafprozessordnung:

 

„Soweit das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 genannten Personen reicht, ist die Beschlagnahme von Schriftstücken, Ton-, Bild- und Datenträgern, Abbildungen und anderen Darstellungen, die sich im Gewahrsam dieser Personen oder der Redaktion, des Verlages, der Druckerei oder der Rundfunkanstalt befinden, unzulässig. Absatz 2 Satz 3 und § 160 a Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend, die Beteiligungsregelung in Absatz 2 Satz 3 jedoch nur dann, wenn die bestimmten Tatsachen einen dringenden Verdacht der Beteiligung begründen; die Beschlagnahme ist jedoch auch in diesen Fällen nur zulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der Grundrechte aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und die Erforschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.”

 

Das Zeugnisverweigerungsrecht der Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben, ist in § 53 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 5 und Sätze 2 und 3 sowie Absatz 2 Sätze 2 und 3 der Strafprozessordnung geregelt.

In der sogenannten Cicero-Entscheidung (Urteil vom 27. Februar 2007 — 1 BvR 538/06) entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts, dass die dort zur Rede stehende Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Potsdam einen schwerwiegenden verfassungswidrigen Eingriff in die im Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes verankerte Pressefreiheit darstellte. In dieser Entscheidung ging es in erster Linie um Durchsuchungen und Beschlagnahmen in einem Ermittlungsverfahren gegen Presseangehörige, die ausschließlich oder vorwiegend dem Zweck dienten, die Person eines Informanten zu ermitteln.

Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht auch erkannt, dass die Gewährleistungsbereiche der Presse- und Rundfunkfreiheit auch diejenigen Voraussetzungen und Hilfstätigkeiten mit einschließen, ohne welche die Medien ihre Funktion nicht in angemessener Weise erfüllen können (a. a. O. Rn. 42).

Im vorliegenden Fall geht es — soweit für mich ersichtlich — um Pressefotografen, die eine Auseinandersetzung zwischen Bürgern und staatlichen Organen dokumentiert haben. Eine solche Dokumentation gehört für mich selbstverständlich zu den Aufgaben der Presse, die von besonderer Bedeutung für den freiheitlichen und demokratischen Staat sind.

Dieser Aufgabe könnten Pressefotografen aber nicht nachkommen, wenn sie als verlängerter Arm des Staates und damit als potentiell parteiisch betrachtet werden müssten. Es bestände dann die naheliegende Gefahr, dass sie an ihrer Arbeit massiv gehindert würden.

Es ist aber auch nicht möglich, dieser Gefahr dadurch zu begegnen, dass die unabhängige Presse ihre Arbeit künftig unter Polizeischutz verrichtet, zumal zu ihren Aufgaben auch gehört, gegebenenfalls auch polizeiliche Übergriffe zu dokumentieren.

Es gilt aus den genannten Gründen schon den Anschein zu vermeiden, die Arbeit der Pressefotografen könnte gegen ihren Willen einseitig staatlichen Zwecken dienstbar gemacht werden. Es muss daher in diesen Fällen meiner Ansicht nach in der autonomen Verantwortung der Pressefotografen bleiben, welche Aufnahmen sie wann und auf welche Weise veröffentlichen, und welche Aufnahmen sie beispielsweise den staatlichen Behörden zu Strafverfolgungszwecken zur Verfügung stellen.

Das Bundesverfassungsgericht hat es schließlich auch für relevant erachtet, dass eine solche Anordnung Einschüchterungseffekte auslösen kann (a. a. O., Rn. 79). Ein solcher Effekt liegt nach dem zuvor Dargelegten meiner Ansicht nach auf der Hand. Eine solche Aktion ist nämlich geeignet, die körperliche Unversehrtheit der Pressefotografen und ihr Eigentum bei ihrer künftigen Arbeit zu gefährden.

Zu welchem Ergebnis aber irgendwann einmal ein endgültig entscheidendes Gericht kommen wird, ist bekanntlich schwer vorauszusagen.
 

Carta: Wie sieht das bei möglichen Zeugen aus, die nicht durch dieses Zeugnisverweigerungsrecht geschützt sind? Angenommen, es würden Bilder bei einem Amateur-Fotografen oder -Filmer vermutet: Dürften die Ermittlungsbehörden in diesem Fall eine Hausdurchsuchung durchführen, ohne den Zeugen vorher vorzuladen und ihn anzuweisen, seine Aufnahmen vorzulegen?

Dr. Michael Stehmann: Klassische Juristenantwort: Das kommt darauf an.

Wenn zu befürchten ist, dass eine solche Aufforderung zum Verlust des Beweismittels führen könnte, ist auch eine „überraschende” Hausdurchsuchung grundsätzlich zulässig (siehe § 103 der Strafprozessordnung).

Bei Banken z. B. haben die Strafverfolgungsbehörden nach dem, was mir in meiner Ausbildung berichtet worden ist, regelmäßig zunächst eine „freiwillige” Herausgabe der Unterlagen versucht (natürlich mit dem Druckmittel, andernfalls eine Hausdurchsuchung vorzunehmen). Dies schließt natürlich im Einzelfall eine „überraschende” Durchsuchung auch bei Banken nicht aus.
 

Carta: Einem Journalisten wurde gedroht, wenn er die Polizisten nicht seine, Bilder der Demo durchsehen lasse, werde alles — Computer, Datenträger, Kameras etc. — eingesackt. Ist so eine Drohung bei einer Hausdurchsuchung a) üblich, b) generell erlaubt, c) in diesem besonderen Fall erlaubt?

Dr. Michael Stehmann: Bei einer zulässigen Hausdurchsuchung wäre eine derartige Belehrung, sofern sie in angemessener Weise erfolgt („Der Ton macht die Musik”) und auch die Beschlagnahme der genannten Gegenstände zulässig wäre, durchaus als auch im Interesse des Betroffenen zulässig und sinnvoll.

Andernfalls könnte man an eine Nötigung denken.
 

Carta: Wie sieht das aus, wenn a) bei einem Pressefotografen, b) bei einem Amateur-Fotografen nur verschlüsselte Datenträger gefunden werden? Müsste der jeweils Betroffene das Passwort herausgeben? Mit welcher Begründung?

Dr. Michael Stehmann: Bei einem Pressefotografen kommt es darauf an, wie weit der Schutz der Pressefreiheit geht. Im Rahmen des § 53 Absatz 1 Satz 1 Ziffer 5 und Sätze 2 und 3 sowie Absatz 2 Sätze 2 und 3 der Strafprozessordnung haben sie ein Zeugnisverweigerungsrecht.

Bei anderen Personen stellt sich die Frage, ob sie als Zeugen zum Passwort vernommen werden können und ob bei einer Weigerung gegebenenfalls Beugehaft verhängt werden kann. Diese Fragen bedürfen noch der richterlichen Erforschung, sofern der Gesetzgeber sie nicht zuvor in verfassungskonformer Weise ausdrücklich klärt.
 

Carta: Kaum erwähnt wird in den Artikeln, dass nicht nur die Staatsanwaltschaft am Zustandekommen des Durchsuchungsbeschlusses beteiligt war. Den musste ja schließlich auch noch ein Richter unterschreiben. Was kann, rein juristisch betrachtet, diesem Richter passieren, wenn sich herausstellen sollte, dass seine Anordnung nicht rechtens war?

Dr. Michael Stehmann: Einfache Antwort: In aller Regel aufgrund des Schutzes seiner richterlichen Unabhängigkeit nichts.
 

Carta: War da nicht mal was von wegen Rechtsbeugung?

Dr. Michael Stehmann: Rechtsbeugung setzt Vorsatz voraus, und der ist nur äußerst schwer nachweisbar. Erst recht nicht angesichts der Pensen, die z. B. einem Untersuchungsrichter auferlegt werden.
 

Carta: Und mit welchen Konsequenzen muss gegebenenfalls der beantragende Staatsanwalt rechnen? Insbesondere, weil zunächst behauptet wurde, man habe nicht gewusst, dass es sich um Pressefotografen handelt, während sich bereits einen Tag später herausstellt hat, dass man das sehr wohl gewusst hat?

Dr. Michael Stehmann: Für die Beamten der Staatsanwaltschaft gilt der Schutz der richterlichen Unabhängigkeit nicht. Bei ihnen können aus pflichtwidrigen dienstlichen Handlungen Folgen erwachsen, die sie persönlich als nachteilig empfinden (selbstverständlich im Rahmen des Beamten- und Diziplinarrechts).

Wurde der Richter tatsächlich bewusst nicht darüber unterrichtet, dass die betroffenen Personen möglicherweise zu dem von § 97 Absatz 5 der Strafprozessordnung geschützten Personenkreis gehören könnten, wären ihm wesentliche Tatsachen, die für seine Entscheidung relevant sind, vorenthalten worden. Dies erschiene mir mit den Amtspflichten eines Staatsanwaltes kaum vereinbar.
 

Bemerkungen

Im Rahmen des Vortrages „Das Grundrecht auf digitale Intimsphäre” (MP4 | M4V | MP3 | OGG Vorbis) beim 25. Chaos Communication Congress wies der Richter am Landgericht Berlin Ulf Buermeyer darauf hin, dass Untersuchungsrichter je nach Bundesland durchschnittlich zwischen wenigen Minuten und einer halben Stunde Zeit haben, um über einen Durchsuchungsbeschluss zu entscheiden. Man muss wohl kein Jurist sein, um zu verstehen, dass bei solch einem Zeitdruck eine angemessene Prüfung des Sachverhalts und der Rechtmäßigkeit der geplanten Durchsuchung nicht mehr gewährleistet sein kann.

Deshalb bleibt ein flaues Gefühl im Magen. In einem Rechtsstaat kann es eigentlich nicht sein, dass für die Folgen von Durchsuchungsbeschlüssen letztlich niemand mehr verantwortlich ist. Der beantragende Staatsanwalt nicht, wenn er behauptet, er habe nicht gewusst, dass die zu durchsuchenden Menschen Journalisten sind, und der Richter nicht, der sich darauf berufen kann, dass er ja überhaupt keine Zeit dafür hatte, die ihm im allgemeinen fertig vorgelegten Durchsuchungsbeschlüsse angemessen zu prüfen.

Denn die Sache hat noch eine kleine Nebenwirkung: Funde aus unberechtigten Hausdurchsuchungen („Früchte des vergifteten Baumes”) können nämlich nach deutschem Recht in Gerichtsverfahren unter bestimmten Umständen sehr wohl verwendet werden. Ermittlungsbehörden haben es somit unter Umständen in der Praxis (zu) leicht, unbefugte Hausdurchsuchungen anzuordnen, um an gewünschtes, aber eigentlich „verbotenes” Material heranzukommen: Die Unterschrift des Richters ist kein Problem, der hat ja sowieso keine Zeit, genauer hinzusehen; hinterher kann man sich dann auch noch nett entschuldigen, aber man hat auf jeden Fall sein Material, und das Recht des Durchsuchten ist einfach mal egal.

Dazu kommt ein weiterer Aspekt: Hausdurchsuchungen können auf diese Weise nicht nur zur Beweisfindung verwendet, sondern auch zur Einschüchterung missbraucht werden, wie Udo Vetter in seinem Artikel richtig bemerkt. Das ergibt dann die Situation, dass man sich bei Ermittlungsbehörden sagen kann: Wenn wir das Gewünschte finden, kriegen wir ihn dran. Wenn wir etwas Anderes finden, kriegen wir ihn auch dran. Wie auch immer: Wir kriegen ihn dran, und dann ist er fällig. — Sinn der Ermittlungsbehörden ist es aber nicht, Leute auf jeden Fall wegen irgend etwas „dranzukriegen”, sondern die Wahrheit über einen konkreten Vorfall herauszufinden, der eine Straftat ist oder sein könnte.

Insofern ist die Razzia bei den Pressefotografen ein Symptom eines grundsätzlichen rechtsstaatlichen Fehlers, der von einem Gesetzgeber, der an einem gesunden Rechtsstaat interessiert ist, schnellstens behoben werden sollte. Ob wir einen solchen Gesetzgeber haben, kann man jedoch durchaus anzweifeln.
 
Sabine Engelhardt bloggt auf Atari-Frosch.

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