#ARD

Guttenberg soll bleiben!

von , 21.2.11

Die Umfrage der ARD stammt vom vergangenen Samstag. Da war das ganze Ausmaß des Plagiats im Netz schon bekannt, aber das Fernsehen kann so komplizierte Dinge einfach nicht gut darstellen. Auch die missbräuchliche Nutzung des Wissenschaftlichen Dienstes für private Zwecke war am Samstag noch nicht in aller Munde. Trotzdem wird man davon ausgehen müssen, dass das Volk seinen Führer Hoffnungsträger bis zum möglichen Untergang stützen wird.

Weil dieser Guttenberg eben „anders“ ist. Weil die Menschen ‚instinktiv’ ‚spüren’, dass hier eine Kampagne läuft, eine Intrige (70 Prozent glauben das!). Weil sie den Neid derer ‚fühlen’, die den schnellen Aufstieg des Freiherrn nicht akzeptieren können. Weil sie Guttenberg nicht wegen seines Aussehens unterstützen – was die Volksverächter ja gerne kolportieren -, sondern aus ganz prinzipiellen Gründen, die gar nichts mit Guttenberg zu tun haben.

Auch Horst Seehofer hätte der deutsche Anti-Politik-Star werden können (und er wäre es nach seiner Herzbeutelentzündung liebend gern geworden), aber nun ist es eben Guttenberg. Ihm vertrauen die Bürger nicht nur, weil er finanziell unabhängig ist, weil er der eigenen Partei nicht dankbar sein muss wie die anderen Emporkömmlinge, weil er die Kennedy-Rolle in den gelben Blättern so gut ausfüllt, nein, ihm vertrauen so viele Bürger, weil er tolle Fehler macht. 61 Prozent der Befragten sagen: „Er hat Fehler gemacht, die einfach vorkommen, wenn man vielbeschäftigt ist“.

Nun haben Politiker durch die Vorbilder im Showgeschäft gelernt, dass es ungemein nützlich ist, wenn man strauchelt. Eine zugegebene Affäre, ein Seitensprung, ein uneheliches Kind, eine Scheidung, eine Sucht, eine überwundene Depression, eine schwere Krankheit – das bringt kostenlose PR und Volksnähe. Doch bei Guttenberg ist das anders. Er macht andere Fehler. Seine Fehler sind system-relevant. Jeder „proaktiv“ zugegebene Fehler ist bei ihm zugleich ein Aufstand gegen „das System“.

Der Aachener Karnevalsverein, der zu Guttenberg am Samstag den Orden wider den tierischen Ernst verlieh, begründete die Wahl seines neuen „Ordensritters“ damit, dass zu Guttenberg „Mut zum Widerspruch und zum akrobatischen Querdenken“ (!) habe. Er könne die Bürger zu Begeisterungsstürmen bringen und sei auch „bereit, Fehler einzugestehen“.

Das hören die Jecken gern. Denn in einer überregulierten Gesellschaft ist es die höchste Kunst eines öffentlichen Entertainers, Fehler zu machen und einzugestehen. Er protestiert damit stellvertretend für alle Genervten gegen das bürokratische System (so wie z.B. Helmut Schmidt öffentlich qualmt). Dieses deutsche System, das sich aus vielen kleinen, in der Summe unerträglichen Überregulierungen zusammensetzt – Führerscheinprüfung, Steuererklärung, Rentenversicherungsbürokratie, Hartz-IV-Antrag, Krankenkassenschriftwechsel, Hypothekenkredit, Gewerbeanmeldung, Ausweisbeantragung, Firmengründung, Hausordnung, Promotionsordnung, Bußgeldkatalog, Stromanbieterwechsel, Briefwahlunterlagen, Online-Banking, Hotline-Warteschleifen, Allgemeine Geschäftsbedingungen, Betriebsanleitungen, Flughafenkontrollen, Fahrkartenautomaten, Passwörter, Anmeldebögen, Abmeldebögen, Bewerbungsbögen etc.pp. – dieser ganze Lebenszeit raubende Wahnsinn ist wie geschaffen für den Aufstieg von Menschen, die endlich mal mit der Faust dazwischen hauen. Die sich nicht um Regeln scheren, die alte Ordnungen über den Haufen werfen, Tacheles reden, den gordischen Knoten zerschlagen.

Die Menschen möchten offenbar nicht, dass Guttenberg jetzt gebremst wird. Sie finden sein Plagiat zwar nicht in Ordnung (das sagen 50 Prozent der Befragten), aber der Mann möge doch bitte noch möglichst viel Porzellan zerschlagen, weil uns der politisch-bürokratische Alltagskram sonst erstickt.

Diese Botschaft macht den Freiherrn (vorerst noch) unantastbar. Es ist das blinde Vertrauen der Menschen in ihn, das zu denken geben sollte.

Und seien wir ehrlich: Würden sich morgen Thilo Sarrazin, Freiherr zu Guttenberg, Erika Steinbach und andere zusammentun, um eine NEUE VOLKSPARTEI zu gründen – wäre uns damit mehr gedient?

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