von Christian Sickendieck, 21.6.12
Ein von mir sehr geschätzter Journalist schrieb mir heute, dass meine Dystopie sehr lustig sei, gleichzeitig wurde die Frage gestellt, warum niemand über den Manchesterkapitalismus von Google schriebe. Ich würde diese Frage wie folgt interpretieren: Es schwingt ein wenig die Enttäuschung mit, dass das Leistungsschutzrecht eine Welle der Empörung hervorruft, man sich also mehr oder weniger auf die Seite Googles stellen würde, Google selbst aber wenig kritisiert werden würde.
Dabei wird Google durchaus kritisiert. Der Leitsatz Don’t be evil wird schon seit geraumer Zeit nicht mehr wahrgenommen. Sei es die Datenschutzproblematik, wie beispielsweise beim Start von Google+, das Verhalten in China (Selbstzensur in totalitären Staaten), die undurchsichtige Filterung der Suchergebnisse, ich denke an die WLAN-Schnüffelei bei Street View, oder auch die Quasi-Monopolstellung im Suchmaschinenbereich und der Onlinewerbung. Es ist nicht so, dass Google nicht kritisiert wird, teilweise wird die Kritik genauso hart und fordernd (sogar weltweit) formuliert, wie derzeit das Leistungsschutzrecht kritisiert wird.
Ich glaube aber auch, dass Kritik am Status Quo nicht zielführend ist. Sicher, Google+ lässt nun Pseudonyme zu, die WLAN-Schnüffelei wird nicht noch einmal geschehen, doch generell wird sich Google nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, zumindest mittelfristig. Viele Internetgiganten sind schon tief gefallen – dass Google derzeit alles auf Google+ zu setzen scheint, kann man durchaus auch ein stückweit als Panik interpretieren. Bei Google sollte man vielleicht nicht darauf wetten, dass der eigene Stern schnell sinken wird. Bleiben wir realistisch: Wir leben in einer Marktwirtschaft, aktuell kann es bei Google immer nur kleine, partielle Veränderungen und Verbesserungen geben.
Diese kleinen Veränderungen werden den Journalismus aber nicht retten. Wo liegt also die Zukunft des Journalismus? Wie können Journalisten in Zukunft eine Geschichte recherchieren, veröffentlichen und davon leben? Ich glaube, wir sollten uns vielleicht mit einer eher düsteren Prognose an die Lösung des Problems machen:
Der Journalismus, wie wir ihn kennen, wird sich in Zukunft nicht mehr refinanzieren können.
Nehmen wir als Beispiel den Guardian: Er gilt als das wahrscheinlich beste journalistische Projekt weltweit, wenn man Online und Print nicht trennt. Nebenbei bemerkt: Ich halte die Trennung von Online und Print für absolut haltlos. Journalismus ist Journalismus, wo und wie veröffentlicht wird, ist eine Frage des Vertriebsweges; Journalisten bleiben Journalisten, egal, ob sie im Spiegel publizieren oder auf faz.net.
Zurück zum Guardian: Bekannt ist, dass er seit Jahren rote Zahlen schreibt; er wird nur durch Querfinanzierung am Leben erhalten. Dabei haben der Guardian oder auch die New York Times einen großen Vorteil gegenüber deutschen Angeboten: Es besteht eine weltweite Zielgruppe, die deutschsprachige Zielgruppe ist dagegen überschaubar.
Wo liegt denn nun die Zukunft des deutschen Journalismus?
Hätte ich eine Antwort, würde ich mich für teures Geld einkaufen lassen. Ich glaube, dass Querfinanzierung ohne Zweifel ein Standbein werden wird, der Axel-Springer-Konzern perfektioniert dies gerade mit seinen Volks-Produkten.
Die Antwort kann im Moment nur sein: Investitionen und Mut. Deutsche Zeitungen und Zeitschriften müssen investieren, ohne zu wissen, ob sich die Investition auszahlt. Beispiele: Die Kolumnen auf Spiegel Online oder die Blogs der FAZ. Doch eine Frage sei gestattet:
Wo ist die Abteilung “Future Lab” des Spiegel, der FAZ und der restlichen Medienhäuser beheimatet? Gibt es solche Abteilungen überhaupt?
Google, Facebook, Apple & Co. sind keine Gegner. Zumindest nicht auf Augenhöhe. Selbst wenn sich alle Medienhäuser zusammentun, die Politik dazu bringen, Gesetze zu verabschieden – in den USA wird dies vielleicht als kleine Randnotiz Erwähnung finden. Nicht mehr und nicht weniger.
Stellen sich deutsche Medienhäuser mit Unterstützung neu geschaffener Gesetze gegen Google, Facebook und Apple, wäre das ungefähr das Gleiche, als würde ich nackt in den Löwenkäfig bei Hagenbecks Tierpark steigen und um das Rehfilet kämpfen wollen. Kommt das Leistungsschutzrecht, mag man dies als Sieg feiern, es wird sich jedoch als Pyrrhussieg herausstellen. Zur Not wird Google wie in Belgien reagieren. Es ist durchaus als Botschaft zu verstehen, wenn der sonst in politischen Diskussionen eher schweigsame Kay Oberbeck heute auf einen Artikel im Handelsblatt verlinkt, in dem noch einmal an Belgien erinnert wird, und sich in weiteren Tweets über die deutsche Politik echauffiert.
Ich kenne die Antwort für die Zukunft des Journalismus nicht, ich weiß nicht einmal, ob der Journalismus überhaupt eine Zukunft hat. Ich halte aber aufgrund meiner Erfahrung folgende Punkte für unabdingbar:
1. Google, Facebook, Apple & Co. sind Dein Freund
Wir, die Medien, und da beziehe ich mich als Blogger mit ein, können auch mit gesetzlicher Hilfe nicht gegen die Internetgiganten zu Felde ziehen. Wir schlügen uns dabei selbst den Kopf ab. Es müssen Gespräche stattfinden, die Beteiligten müssen sich an einen Tisch setzen. Wer sagt denn, dass Google nicht doch bereit wäre, für etwaige Dienste zu zahlen? Schließlich wäre eine Einigung mit bekannten Unternehmen auch unbezahlbare Werbung. Wenn diese Gespräche transparent stattfänden, würde Google auch durch die Öffentlichkeit unter Druck gesetzt. Gesetzlicher Zwang wird nicht helfen, im Gegenteil, er provoziert Trotz. Und die Internetgiganten sitzen derzeit am längeren Hebel.
2. Es gibt kein Online und Print, sondern nur Journalismus
Die Medienhäuser sollten endlich aufhören, Online und Print zu trennen. Auch unsägliche Gedankenspiele um eine Paywall sollten zumindest in Deutschland der Vergangenheit angehören, Stichwort Zielgruppe (s.o.). Journalismus ist Journalismus und wird immer Journalismus bleiben. Es besteht faktisch kein Unterschied zwischen Online und Print und kein Grund, warum hier im Jahr 2012 immer noch eine Trennung vollzogen wird. Was ist dies zudem für eine Aussage gegenüber den Online-Redakteuren? Ihr seid Journalisten zweiter Klasse? Online bedeutet zugleich Werbung für die Printausgabe. Wer seinen Lesern zu verstehen gibt, der eigene Online-Auftritt sei Journalismus zweiter Klasse, wird keinen Leser am Kiosk hinzugewinnen.
3. Über Querfinanzierungen muss nachgedacht werden
Wo können in Zukunft Einnahmequellen abseits des Online-Angebots und der Printausgabe generiert werden? Eine entscheidende Frage. Natürlich ist der Axel-Springer-Konzern da kein wirkliches journalistisches Vorbild, doch sollte intensiv darüber nachgedacht werden, wie der Journalismus zukünftig durch andere Unternehmensteile mitfinanziert wird. Wenn es auch ohne Querfinanzierung in Zukunft kaum gehen wird, so ist es doch sehr heikel. Die eigene Reputation, die eigene Glaubwürdigkeit darf hier nicht aufs Spiel gesetzt werden.
4. Gründet Future Labs, liebe Medienhäuser
Wenn investiert werden muss, dann heute. Investieren in die Zukunft heißt: überleben. Gründet Abteilungen, die nicht reagieren und zuschauen, sondern die Zukunft selbst gestalten. Kopiert Eure Webseiten nicht, lasst Eure langweiligen und alle gleich aussehenden Apps nicht von denselben externen Unternehmen programmieren: macht es selbst. Ihr seid die Profis, nicht der Programmierer, dessen Herz nicht an Eurem Produkt, Eurer Zeitung hängt. Baut Euch Eure eigene Zukunft, wie sie beispielsweise in Minority Report zu sehen ist. Dort wurden mehrere Zukunftsstudien verarbeitet. Wo sind Eure Ideen? Nehmt dabei Eure Leser mit. Ihr wollt eine Zukunft haben? Baut sie Euch selbst. Mit Euren Partnern und Lesern.
5. Habt Mut, kein Angst
Wer Mut hat, handelt proaktiv, wer Angst hat, handelt reaktiv. Wer reaktiv handelt, hat bereits verloren, wer proaktiv handelt, hält das Zepter des Handelns in der Hand. Hört auf zu jammern, das will kein Mensch hören. Bietet den Menschen eine gemeinsame Zukunft an. Untergangsszenarien mögen sich gut verkaufen -heute. Doch was ist mit morgen? Zum mutig sein gehört es auch, Fehler zu machen. Es werden noch viele Fehler geschehen, doch jeder Fehler bedeutet eine neue Erfahrung.
Thomas Edison hat ungefähr 2.000 Versuche benötigt, um seine Glühbirne zu bauen. Er sagte daraufhin: “Gescheitert bin ich nicht, ich kenne 2.000 Wege wie man Glühbirnen nicht bauen darf.” Und dann hat ein einziger Versuch ausgereicht, um zum Erfolg zu kommen (Quelle: National Treasure).
Diese Gedanken sind selbstverständlich nur eine lose Gedankensammlung, teilweise vielleicht reine Utopie. Doch Grabenkämpfe gegen die eigenen Leser, gegen die Internetgiganten werden unweigerlich zum Scheitern führen. Was jetzt gefragt ist, was gestern schon gefragt war, sind Ideen. Für eine Zukunft des Journalismus.
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