#Bankrott

Griechenland Exit: Was gilt – Verträge oder Demokratie?

von , 17.2.15

Was tun, wenn die Wähler in demokratischer Wahl beschließen, dass sie einen Vertrag ablehnen? Die Eurogruppe hat nun zum wiederholten Mal versucht, die griechische Regierung zu Bedingungen zu zwingen, die das griechische Volk ausdrücklich ablehnt. Es will offenbar schwer in die Köpfe der Brüsseler Bürokraten, dass Regierungen überhaupt auf die Idee kommen, den Auftrag ihrer Wähler ernst zu nehmen. Das ist ein sehr bedenkliches Zeichen. Handeln doch vornehmlich Lobbyisten gerade ein paar andere Verträge aus – TTIP, CETA und TISA, die nach allem was man hört, auf Wahlen und Bürgerrechte pfeifen. Kein Wunder dass diese Verhandlungen so geheim wie möglich vor sich gehen sollen.

Mit der neuen Regierung in Athen funktioniert die Brüsseler Geheimdiplomatie ausgesprochen schlecht. Nicht zufällig ist das Dokument, das die Eurogruppe dem Finanzminister letztlich vorlegten, geleakt. Varoufakis hat auch in der Pressekonferenz ausführlich zum Verlauf der Gespräche Stellung bezogen. Eine aus Brüssel ungekannte Transparenz.

Versuchen wir ein wenig auseinander zu dröseln, um was es geht. Es gibt einen Gegensatz in den ökonomischen Lösungswegen. Dahinter steht ein Interessenkonflikt zwischen Export- und Importstaaten. Es treffen neoliberale Technokraten und „populistische“ Experten aufeinander. Dabei geht aus auch um die Frage, wer nun die besseren Karten in der Hand hat. Und schließlich um demokratische Prinzipien.

Lösungswege

Der ursprüngliche Lösungsweg der Troika bestand vor allem darin, griechische Löhne soweit zu senken, dass Arbeit dort profitabel wird, während gleichzeitig möglichst viel öffentliche Werte an private Investoren verkauft werden sollten. Hilfsmaßnahmen und Kredite kamen dabei nicht eigentlich dem Land zugute, sondern dienten in erster Linie zur Rettung jener Banken und Vermögen, die sich in griechischen Anleihen verspekuliert hatten. Die ganze Aktion überhaupt als Rettung zu bezeichnen, grenzt schon an ein wenig Hohn. Das einzig erstaunliche daran ist, dass die Griechen so lange gebraucht haben, um zu merken, dass sie über den Tisch gezogen werden.

Diese sogenannte Rettung hat unter anderem dazu geführt, dass die Schulden im Verhältnis zum Wirtschaftsleitung des Landes im weiter gestiegen sind. Und zwar nicht deswegen, weil Griechenland mittlerweile mehr Geld schuldet, sondern weil die Maßnahmen zu einer schweren Rezession geführt haben und die Wirtschaftsleistung entsprechend gesunken ist.

Varoufakis hat es nun wiederholt klar abgelehnt, weitere Maßnahmen durchzuführen, die die Rezession verschärfen. Es ist offensichtlicher Unfug, von einem Land, dass man in die Armut treibt zu erwarten, es käme besser in die Lage, Geld zu verdienen und Schulden zurück zu zahlen. Warum also beharrt die Eurogruppe auf – nach Auskunft namhafter Ökonomen bis zum Nobelpreisträger Krugman – offensichtlich unsinnigen und für alle Seiten schädlichen Maßnahmen.

Export- vs. Importstaaten

Im Hintergrund stehen die Interessen der Exportländer, wie etwa Deutschland oder Holland, gegen jene der wirtschaftlich schwächeren Länder. Es gibt zwei Möglichkeiten, Ungleichgewichte zwischen beiden Seiten abzubauen. Entweder die Löhne in den Exportländern steigen, so dass dort mehr gekauft und mehr importiert wird. Oder die Löhne in den Importländern fallen, so dass dort mehr produziert und exportiert wird und zugleich weniger importiert wird. Nun schreibt sich Deutschland auf die Fahnen, mit einer Politik der Lohnstagnation erfolgreich gewesen zu sein, und wenn man es im Eigeninteresse der lokalen Industrie betrachtet, stimmt das auch. Doch führen die Exportüberschüsse der einen Staaten auf der anderen Seite notwendigerweise zu genau den Schulden, für die man die Griechen nun allein zur Verantwortung ziehen will.

Für die Exportnation und vor allem deren prosperierende Unternehmen ist klar, das Lohnsteigerungen nicht in Frage kommen, auch wenn sie politische das Vernünftigste wären. Es bleibt also nur Option zwei – die Löhne der verschuldeten Länder zu kürzen, auch wenn sie damit in die Rezession fallen. Es geht in den Verhandlungen in Brüssel also nicht nur um Griechenland, sondern auch um deutsche Interessenpolitik. Und zwar nicht im Interesse der Bürger, die unter höheren Löhnen nicht leiden, sondern im Interesse der hiesigen Industrie und ihrer „Arbeitsplätze“, sprich Profite. Was sich in Schäubles Worten wie die Ausgeburt politischer Vernunft anhört, ist tatsächlich eine kurzsichtige, eigensinnige und allein für die heimische Industrie vorteilhafte Interessenpolitik. Europa als gemeinsames Projekt zählt dagegen nichts.

Statt dessen wird der Kontinent zum Spielfeld einer ruinösen Standortkonkurrenz, die am Ende gar internationale Großunternehmen steuerfrei davonkommen lässt. Welchen Schaden die Politik der Exportländer – allen voran Deutschlands – in ganz Europa anrichtet, hat kürzlich noch einmal der Ökonom Paul de Grauwe auf VoxEU dargestellt.

Politische Kultur

Nun treffen zwischen Athen und Brüssel nicht nur politische Gegensätze, sondern auch verschiedene politische Kulturen aufeinander. Journalisten versuchen gerne, den Konflikt an Personen wie Dijsselbloem und Varoufakis festzumachen, aber das trägt wenig zur Klärung der Sachlage bei. Wie man ohnehin den Eindruck haben muss, dass ein Großteil der Presse dazu neigt, politische Fragen zu Helden-, Opfer- oder Tätergeschichten zu verklären. Das ist an sich nichts Neues und wird zusehends offensichtlich, seitdem Leser im Netz zu jedem Thema selbst nachrecherchieren können. Dass Qualitätsmedien in der Regel auf weiterführende Links verzichten, hilft in dem Fall wenig. Wer gründlicher recherchieren will, muss sich eben anderswo umsehen. Dort trifft der interessierte Leser nicht nur auf Dummheit, wie Kaube jüngst in der FAZ schrieb, sondern auch auf Berichte von Augenzeugen und Ansichten von Experten, die sich in der Regel besser auskennen und fundiertere Meingungen vertreten als Journalisten. Dass Schreiber in Qualitätsmedien auf den Verlust ihres Darstellungsmonopols und ihrer Autorität hin und wieder mit hysterischen Ausfällen reagieren, trägt zu ihrer Glaubwürdigkeit nicht wirklich bei.

Der Bruch im Informationsverhalten schlägt sich auch in der politischen Kommunikation nieder. Die politische Kultur der Euro-Technokratie bewegt sich noch im alten Meinungsfeld. Wir haben auf der einen Seite Kommissionen und Gremien, die sich daran gewöhnt haben, beraten von Lobbyisten, abgeschirmt von demokratischen Wahlen und wenn nötig im Geheimen ihr Süppchen zu kochen. Die Politiker vor Ort haben dann die Aufgabe, mit Hilfe gewogener Journalisten nachträglich zu vermitteln, was beschlossen wurde.

Gegen dieses Regime verstößt die neue griechische Regierung. Mit großem Rückhalt in der eigenen Bevölkerung vertritt sie die Rechte des Souveräns, nämlich des Volks. Größer könnte der Gegensatz politischer Kultur nicht sein. Und noch einmal: im Interesse der Demokratie können wir nur hoffen, dass sich die Griechen durchsetzen und die Politik wieder zu Angelegenheit machen, bei der sich Politiker für die eigenen Bürger einsetzen.

Die Verhandlungen

Was kann nun in Brüssel passieren? Wer hat die bessere Verhandlungsposition? Auch wenn Varoufakis sich in der New York Times sich gegen die Unterstellung gewehrt hat, er verfolge als Spieltheoretiker nur eine Taktik, sondern auf die Ehrlichkeit des politischen Willens gepocht hat – wir befinden uns bei diesen Verhandlungen auf einem taktischen Terrain. Die Eurogruppe versucht die Lage so darzustellen, als sei der Austritt Griechenlands unverantwortlich und schade in erster Linie dem eigenen Land. Dem widersprechen etliche Ökonomen, allen voran der Australier Bill Mitchell, der Austritt und Bankrott für den einzigen Lösungsweg zur Gesundung des Staates hält. (Bei der Gelegenheit nimmt er auch die Vorwahl-Mär von einer angeblichen Wirtschaftserholung dank der guten Arbeit der Troika auseinander.)

Kalkuliert man nur die offensichtlichen Kosten, muss Europa einen Austritt tatsächlich nicht fürchten.
Bezieht man aber die weiteren Folgen einer Staatspleite für das Bankensystem und die politischen Auswirkungen mit ein, wird klar, dass der Austritt Griechenlands für alle Beteiligten höhere Schäden verursacht als jeder noch so nachgiebige Kompromiss. „Presiding over the eurozone’s breakup must be one of German Chancellor Angela Merkel’s worst nightmares. And if it is not, it should be“, schreibt der Ökonom Dani Rodrik. Es geht also bei den Verhandlungen nicht wirklich um Geld, sondern um eine politische Ideologie, die auf Biegen und Brechen durchgehalten werden muss, weil sonst noch andere Wähler und andere Staaten merken, wie ihnen mitgespielt wird. Das heißt im Kern stehen einander gegenüber eine kurzsichtige und von Eigennutz geleitete Interessenpolitik, und ein Europa der Solidarität und der Demokratie.

Mehr zum Thema: Im Tal der Ahnungslosen. Ein Interview zur deutschen Griechenland-Berichterstattung mit dem Publizisten Robert Misik (2.2.15),  Kein Kredit für Antisemiten: Wie SPIEGEL und WELT die Regierung in Athen enttarnen (4.2.15) von Stefan Heidenreich sowie Athen: Der Rauswurf der Spar-Sadisten und der Plan von Finanzminister Varoufakis von Ralph Heidenreich und Stefan Heidenreich (1.2.15)

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