von Eva Flecken, 23.9.16
Wir leben in einer Zeit, in der Menschen auf die Straße gehen und historisch belastete Parolen wie „Lügenpresse“ auf Plakate schreiben. Nicht der Blick auf derartige Transparente, auch das Lesen so mancher Feeds und Threads erschreckt mich. Fassungslos schaue ich auf pure Wut, grenzenlose Entrüstung sowie blanken Hass. Da wünsche ich mir bisweilen eine ordentlich gefilterte Bubble, in der ich mich online aufhalten darf – ein Prenzlauer Berg der Onlinewelt. Doch da ich nicht an vollständigem Realitätsverlust leiden möchte, immerhin wohne ich bereits in der Wohlfühl-Müsli-Yoga-Holzspielzeug-Käseglocke Berlins, werfe ich ab und an den Blick auf dieses Gruselkabinett von Misstrauen und Wut. Getarnt wird derartige Geschichtsvergessenheit regelmäßig mit der Sorge, in Deutschland sei die Meinungsfreiheit in Gefahr. Bei der Lektüre dieser Kommentare, Wertungen und Meinungen fällt auf, dass wir uns mit jener Art der öffentlichen Kommunikation, die jenseits der klassischen Massenmedien stattfindet, längst in eine postfaktische Gegenwart katapultiert haben. Ratio, Sachverstand und Ausgewogenheit der Argumente haben weltweit selten einen geringeren Stellenwert in der öffentlichen Auseinandersetzung gehabt als heute. Wenn ein US-amerikanischer Präsidentschaftskandidat ernsthaft Bürger für sich mit der kruden Ansicht einnehmen kann, dass es elitärem Gequatsche gleicht, wenn sich politische Akteure universitären Sachverstand einholen, bleibt mir außer ratlosem Kopfschütteln nichts. Wenn in Europa staatlich-humanitäres Handeln verhöhnt oder sogar mit tätlichen Auseinandersetzungen und übelsten Diffamierungen gegenüber unseren Staatsoberhäuptern quittiert wird, fasse ich mir erneut an den sich schüttelnden Kopf.
Ignorieren reicht nicht. Es werden inhaltsanalytische Forschungen nötig sein, um gehaltvoll auf den Vorwurf der Zensur und Gleichschaltung etablierter Medien eingehen zu können.
Dass ausgerechnet jene hetzerischen Stimmen den Massenmedien vorwerfen, gleichgeschaltet zu sein und sich in ihrer Stimmungsmache auf Meinungsfreiheit berufen, erfordert allerdings einen genaueren Blick auf unsere mediale Kommunikation. Ignorieren reicht nicht. Es werden inhaltsanalytische Forschungen nötig sein, um gehaltvoll auf den Vorwurf der Zensur und Gleichschaltung etablierter Medien eingehen zu können. Das kann ich hier nicht leisten. Jenseits dieser kommunikationswissenschaftlichen Aufgabe, fällt mir aber bei solchen Vorwürfen spontan der ausgezeichnete Versuch Dunja Hayalis im Morgenmagazin des ZDF ein. Als Reporterin besuchte sie 2015 eine Pegida-Demonstration, um die Stimmen der Teilnehmer einzufangen. Immer wieder betonte sie in ihrer unnachgiebigen und ruhigen Art, dass alle Äußerungen gesendet werden würden. Die Menschen, die in ihr Mikro sprachen und vor die Kamera traten, glaubten ihr das regelmäßig nicht. Stattdessen witterten sie ausschließlich Verschwörung. Das Transparenz- und Gesprächsangebot, dass die Fernsehfrau den Demonstranten unterbreitete, wurde aggressiv abgelehnt.
Eigentlich sollte uns das nicht wundern, denn der zuhörende Diskurs scheint derzeit nicht sonderlich gefragt zu sein. Mit dem Austausch von Argumenten halten wir uns nicht lange auf, stattdessen geht es um das lautstarke Präsentieren von Meinungen. Die öffentliche Kommunikation ist kein Dialog, wie sie es dank des ubiquitären Internets sein könnte. Selten standen die technischen Vorzeichen so auf dialogisches Miteinander wie heute. Das 21. Jahrhundert wäre für Brechts Utopie des Kommunikationsapparats das technologische Eldorado schlechthin gewesen. Derweil bewegen wir uns keinen Schritt aufeinander zu, sondern mit Siebenmeilenstiefeln voneinander weg. Die Wahlergebnisse belegen diesen Eindruck mit zahlenmäßiger Gewissheit: Wir rutschen in die Extreme. Bewegen sich die Enden des breiten und mehrheitlichen Meinungsspektrums immer weiter auseinander, scheint es fast zwangsläufig, dass beide Seiten brüllen müssen, um sich über diese Distanz hinweg überhaupt noch wahrnehmen zu können. Welche Rolle können Massenmedien in solch einer spannungsgeladenen Stimmung spielen?
Eine Antwort auf diese Frage, scheint schwierig genug. Noch komplizierter wird sie, wenn wir uns die Glaubwürdigkeitskrise der etablierten Medien vor Augen führen. Die Umfragen lassen sich euphemistisch dahingehend interpretieren, dass immerhin noch die Hälfte der Bevölkerung sich von den Nachrichtenmedien nicht bevormundet sehen und noch rund zwei Drittel die Medien für glaubwürdig halten. Allerdings geben auch 60 Prozent an, dass Nachrichtenmedien unerwünschte Meinungen ausblenden. Mit derartigen statistischen Ergebnissen können wir nicht zufrieden sein. Bei aller Sympathie für Optimismus empfinde ich diese Zahlen als alarmierend. „Krise“ lässt sich als der entscheidende Abschnitt einer schwierigen Zeit, als ein Wendepunkt beschreiben. Derartiges Misstrauen in unsere Massenmedien mit ihren ausgebildeten Journalisten verdient die Bezeichnung der Glaubwürdigkeitskrise allemal. Doch haben wir momentan nicht nur eine Zeit der Krise, die sich gegen Redaktionen und Verlagshäuser richtet. Tatsächlich scheint es sich um eine gesamtgesellschaftliche Tendenz zu handeln.
Es liegt in der Natur des Menschen, dass er sich und seine Standpunkte lieber bestätigt als in Frage gestellt sieht. Positiv ist das Gefühl, wenn andere uns Recht einräumen und an unsere Positionen glauben. „Glauben“ und „Glauben schenken“ fußt auf aus reflexiven Kommunikationsprozessen hervorgehenden Emotionen. Jemandem Glauben zu schenken, ist vielmehr ein Gefühl, als dass es ein faktenbasierender Abwägungsprozess ist. Nicht selten gelten Menschen als glaubwürdig sowie als Vertreter der ehrlichen Worte, wenn sie fern jeder Ratio und Überprüfung Meinungen verbreiten. Sogar nachweisliche Unwahrheiten spielen dabei eine erschreckend geringe Rolle. Glaubwürdigkeit funktioniert zutiefst emotional. Und der Gegenentwurf zum Glauben ist Wissen. Wissen basiert auf Zahlen, Fakten – und auf Unsicherheiten. Wissen ist nichts, was dem Stillstand unterliegt. Wissen wird hinterfragt, evaluiert, verifiziert oder falsifiziert. Was heute stimmt, kann morgen falsch sein. Wissen ist stets auf die Probe gestellt und nur so lange wahr, wie nicht das Gegenteil bewiesen wurde. Glauben und Wissen unterscheiden sich in ihrem jeweiligen Kern grundlegend. Am Glauben können zwar Zweifel aufkommen, doch ist der tiefe Glaube an etwas oder jemanden schwerer zu erschüttern, als dass Wissen als überholt gilt. Wissen ist in seinem Wesen deutlich vergänglicher und flüchtiger als Glauben.
Beides ist für das gesellschaftliche Funktionieren bedeutsam und insbesondere sollte es sich aber die Balance halten. Wenn Glauben dominiert, hat es das Wissen schwer, durchzudringen. In guter konstruktivistischer Manier lässt sich feststellen, dass die Wahrnehmung des Einzelnen hochgradig selektiv abläuft. Es besteht die Gefahr, dass nur noch das erkannt wird, an das auch geglaubt wird. Damit fällt aber all das aus unserem Wahrnehmungsfeld, das wir nicht wissen. Denn wir wissen zwar, was wir glauben, doch glauben wir noch längst nicht alles, was wir wissen. Wir werden auch immer eher das sehen und erkennen, an das wir glauben, da wir uns nun einmal lieber im Glauben bestärken als im Wissen schwächen lassen. Ebenjenem Tendenz der selbstreferenziellen Bestätigung und der faktenlosen Vorwürfe sehen wir unsere Debattenkultur derzeit besonders ausgesetzt.
Sprechen wir in diesem Zusammenhang von der Glaubwürdigkeitskrise etablierter Medien, wird deutlich, in welch gefährlichen Fahrwassern wir uns gesellschaftlich bewegen. Wie schaffen wir es, dass Menschen echte Unsicherheiten, nämlich das in Frage stellen der eigenen Position, ertragen oder sogar schätzen lernen? Die Antwort darauf kenne ich leider nicht. Mit Inbrunst glaube aber auch ich, dass es weiterhin die Aufgabe der freien und unabhängigen Medien sein muss, Gesprächsangebote zu unterbreiten, Gegendruck auszuhalten und niemals gegenüber dem platten, unwürdigen Vorwurf der Lügenpresse einzuknicken.
Der Text erscheint im Rahmen des Dossiers „Journalismus – Aufklärung oder Animationsarbeit?“, das in Zusammenarbeit mit der Otto Brenner Stiftung entsteht. Ausgangspunkt ist das dort publizierte Arbeitspapier „Journalist oder Animateur – ein Beruf im Umbruch. Thesen, Analysen und Materialien zur Journalismusdebatte“ von Hans-Jürgen Arlt und Wolfgang Storz. Wir setzen die Debatte in den nächsten Wochen fort.
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