von Dirk Elsner, 6.8.13
In europäischen Denk- und Politikstuben ist der dogmatische Streit zwischen den Befürwortern der beinharten Sparpolitik (auf ökonomisch: Austerität) und einer wie auch immer gestalteten Politik staatlicher Konjunkturmaßnahmen (keynesianischer Ausgabenpolitik) etwas stiller geworden. Dieser Streit hat mich stets genervt, weil mich keine Seite wirklich überzeugen konnte.
Paul Krugman hat vor einigen Wochen die Argumente der Anhänger der Austeritätspolitik tiefsinnig auseinandergenommen. Mittlerweile scheint zwar eher Konsens zu sein, dass Austerität nicht wirkt – was freilich nicht stimmen muss. Aber was wirkt dann? Was feuert die Konjunktur an, was fördert die Investitionsneigung der Unternehmen? Darüber finde ich sehr wenige, kaum überzeugende Debattenbeiträge (wobei ich natürlich längst nicht alle kenne). Wenn die Antwort “staatliche Ausgabenpolitik und Konjunkturprogramm” lautet, überzeugt mich das nicht.
Ich glaube ja, dass in der Debatte auf beiden Seiten mit Modellen gearbeitet wird, die schlicht irrelevant sind. Es wird mit Theorien und groben makroökonomischen Korrelationen gearbeitet, aus denen dann Handlungsempfehlungen abgeleitet werden.
Ich hatte letzten Freitag das Zitat von Tomas Sedlacek hier im Blog, der meint, ökonomische Modelle würden nicht auf Grundlage ihrer größeren oder geringeren Wahrheit akzeptiert, sondern vielmehr auf Grundlage ihrer Glaubwürdigkeit, Eignung, Überzeugungskraft oder Übereinstimmung mit unserem internalisierten Glauben an das Funktionieren der Welt.
Ganz offensichtlich handeln ja die Menschen oder Wirtschaftssubjekte nicht so, wie sich das die Mainstreamökonomen vorstellen. Ich bleibe dabei, dass es sich um einen Glaubenskrieg handelt, den Uwe Jean Heuser im letzten Jahr sehr plastisch in der ZEIT darstellte. Und in einem Glaubenskrieg, das wird gerne übersehen, muss man nicht zwingend auf einer der beiden Seiten stehen. Man kann sich einem anderen Glauben anschließen oder einfach skeptischer Atheist bleiben.
Das Nachdenken könnte z.B. dort starten, wo eigentlich die konjunkturrelevanten Entscheidungen getroffen werden. Das passiert nicht bei Zentralbanken oder in Finanzministerien, sondern bei Verbrauchern und Unternehmen. Und deren Haupt-Entscheidungsparameter sind gerade nicht ökonomische Makrovariablen. Robert Shiller und George Akerlof haben vor vier Jahren die Idee von Keynes von den Animal Spirits wiederbelebt.
Das Buch macht deutlich, weshalb die herrschende Makroökonomie mit ihren Erklärungsansätzen nicht weiter kommt: Die Ökonomie als Wissenschaft berücksichtigt zu wenig Erkenntnisse aus der Psychologie, um das Verhalten der Menschen in der realen Wirtschaft erklären zu können. So können Börsenkurse von ihren “richtigen” Werten abweichen, weil Anleger dem Herdentrieb folgen und nicht rationalen Erwartungen von Gewinnchancen, wie die bislang in der Finanzlehre vorherrschende Theorie der effizienten Märkte behauptet. Derart instinktgetriebenes Handeln sei eher die Regel als die Ausnahme, erklären Shiller und Akerlof.
Die “Animal Spirits” sind in der Keynes-Rezeption schnell unter den Tisch gefallen, wie Olaf Storbeck 2009 im Handelsblatt schrieb. Klar, die lassen sich auch nicht so einfach in mathematische Modelle gießen (oder vielleicht gar nicht). In ihrem Buch schrieben Akerlof und Shiller u.a.:
“Keynes räumte sehr wohl ein, dass ökonomisches Handeln großenteils von rationalen ökonomischen Motiven bestimmt wird, setzte dem aber entgegen, dass es häufig von Instinkten beeinflusst wird, den von ihm so genannten Animal Spirits. Der Mensch verfolgt nicht allein ökonomische Ziele. Und auch dann, wenn er seine ökonomischen Interessen im Auge hat, handelt er nicht immer rational. Nach Keynes’ Auffassung sind die Animal Spirits die wichtigste Ursache für Schwankungen der Konjunktur und für unfreiwillige Arbeitslosigkeit.”
Wenn das so stimmt, dann wird darüber freilich zu wenig nachgedacht. Und, noch schlimmer, es wird an den falschen Parametern geschraubt. So halte ich die Geldpolitik für irrelevant, weil Unternehmen ihre Investitionsentscheidungen nicht von einem Leitzins abhängig machen. Viel wichtiger ist, dass sie selbst von der Investition überzeugt sind, und überhaupt Zugang zu Finanzierungsquellen haben. Der Zins spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Genauso wenig ist erkennbar, warum die “Vergemeinschaftung der Schulden”, die etwa der britische Ökonom Simon Tilford forderte, die Investitionsbereitschaft der Unternehmen ankurbeln können soll.
Ich bin mir zwar sicher, dass es einen anderen Weg gibt als den zwischen Austerität und Ausgabenpolitik, ich weiß allerdings nicht wie der aussieht. Es wird nur zu wenig darüber nachgedacht. Heute allerdings wollen wir das tun, in einer virtuellen Podiumsdiskussion.
Crosspost vom Blick Log