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Rundfunkgebühr – Staatsferne vs. Realitätsferne?

von , 9.3.10

7.600.000.000 – manche Zahlen entfalten ihre Wirkung erst in der ganzen Pracht ihrer vielen Nullen. Die hier Aufgeführte bildet in etwa das Gebührenaufkommen in Euro ab, welches den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in Deutschland 2009 zur Erfüllung ihres Versorgungsauftrages zufloss.

Die kritische öffentliche Debatte um die Rundfunkgebühr ebenso wie die Reformresistenz der Länder hat in Deutschland mittlerweile eine jahrelang gefestigte Tradition. Es besteht die Gefahr, beides nur noch als medienpolitischen Blockbuster mit fest verteilten Rollen und zuverlässiger schlagzeilenträchtiger jährlicher Wiederkehr zu begreifen – eine Art Telenovela also, die in erster Linie das Ziel verfolgt, kein Ende zu haben, was der Diskussion immerhin einen gewissen Bezug zum öffentlich-rechtlichen Vorabendprogramm verleiht.

Die zur Gewohnheit gewordene mediale Aufregung übertönt dabei teilweise den Fakt, dass die Akzeptanz der Rundfunkgebühr in der Bevölkerung auch ganz real aufgezehrt ist. Die offenbar hohe Quote sogenannter Schwarzseher ist hierfür weniger ein Beleg, als die erstaunlich breite Bereitschaft einzelner Zahler, sich in langwierigen und kostenintensiven Gerichtsverfahren auch ganz handfest juristisch gegen die Rundfunkgebühr zu wehren. Die Entscheidungen zum Thema füllen regelmäßig die Urteilsteile der medienrechtlichen Fachzeitschriften. Jede einzelne liest sich wie ein Lagebericht aus Absurdistan.

Das Bemerkenswerte: Der sich hierin abbildende Akzeptanzverlust gründet sich weniger isoliert auf die bloße Höhe der Gebühr, als auf den über weite Strecken fraglichen Gegenwert in den Angeboten der Anstalten. Vor allem aber trägt das gerätezentrierte Einzugsverfahren mit Begriffsungeheuern wie dem „neuartigen Rundfunkgerät“ dazu bei. Der Gerätebezug in der Rundfunkfinanzierung ist damit durchaus repräsentativ für das weitgehende Verharren der deutschen Medienpolitik in der Vor-Internet-Zeit.

Harald Staun hat in der FAS treffend formuliert, der Begriff „neues Rundfunkgerät” könne es mit der Definition aus Borges´ chinesischer Enzyklopädie aufnehmen, wonach „Tiere, die dem Kaiser gehören all jene sind, die von weitem wie Fliegen aussehen”. Der Vergleich trifft ins Schwarze, weil bereits der Grundbegriff der „Gebühr“ eine Mogelpackung ist. Die „Gebühr“ ist ein fein definierter juristischer Terminus. Sie unterscheidet sich von der „Steuer“ oder auch den „Beiträgen“ durch eine ihr unmittelbar gegenüber stehende und auch tatsächlich in Anspruch genommene staatliche Gegenleistung. Hier liegt ein prinzipielles Legitimationsdefizit der Rundfunkgebühr.

Denn ein solches Leistungs- und Gegenleistungsverhältnis ist schon immer nur eine Fiktion gewesen, die aus der technischen Möglichkeit des Empfangs öffentlich-rechtlicher Programme auch deren Konsum folgert. Diese Fiktion hatte noch ihre Berechtigung in Zeiten des Röhrenfernsehers vor der Einführung des Privatfernsehens und des Multimediums Internet. Sie war schon fragwürdig mit dem Aufkommen des Kabel- und Satellitenfernsehens und der damit einhergehenden Sendervielfalt. Und sie reicht ins Groteske, seit sie jeden Internetanschluss faktisch zu nichts anderem als einer Programmempfangsmaschine für öffentlich-rechtliches Fernsehen deklariert.

Diese Kritik ist ebenso wenig neu, wie die passenden Reformbekenntnisse der Ministerpräsidenten, denen gleichwohl bei jedem neuerlichen Anlauf zu einer Reform zuverlässig die Puste ausgeht. Aktuell bedeutet dies: Nach langen Jahren der Ankündigung eines echten Abgabesystems scheinen die Länder jetzt lieber in die Boxengasse statt ins Ziel steuern zu wollen. Der kolportierte Plan, schlicht die reduzierte Gebühr für die PCs und Smartphones abzuschaffen und auch für diese Empfangsgeräte nunmehr den vollen Satz zu erheben, hat denn auch erwartungsgemäß erneut empörte Schlagzeilen provoziert.

Doch der Aufruhr geht am Kern des Problems vorbei, weil auch die in Betracht kommenden alternativen Modelle kein anderes Ergebnis zeitigen würden. Egal ob Haushaltsbeitrag, Personenabgabe oder eben eine Gerätegebühr auf irgendwie alles und jedes – das eigentliche Ziel lautete schon immer: Möglichst jeder soll zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks herangezogen und so das immense Gesamtvolumen breit und einigermaßen verträglich verteilt werden. Das Problem daran: So etwas nennt man eigentlich Steuer. Doch seit jeher winden sich Medienpolitiker der Länder und die Anstalten, das Kind endlich beim Namen zu nennen. Jeder soll zahlen – das ist das unausgesprochene Credo.

Dass Steuer- oder Beitragsmodelle nicht möglich sein sollen, wird in der Regel mit dem Hinweis auf die verfassungsrechtlich gebotene „Staatsferne“ des öffentlich-rechtlichen Rundfunks begründet. Diese schließe eine Finanzierung direkt aus Steuermitteln, also durch den Staat aus, so die Argumentation. Das Prinzip der Staatsferne hat selbstverständlich seine Berechtigung. Es wirkt allerdings in Zeiten der Brender-Debatte skurril, ausgerechnet über Abstempelung sämtlicher Handys und PCs zu ARD- und ZDF-Empfängern die politische Unabhängigkeit der Anstalten retten zu wollen.

Aus der Staatsferne wird hier politische Realitätsferne, die den Akzeptanzverlust in der Bevölkerung nur verstärkt und letztlich die Medienpolitik insgesamt diskreditiert. Die Länder täten daher gut daran, wieder auf die Zielgerade einzubiegen, die Karten offen auf den Tisch zu legen und endlich wenigstens ein ehrliches Beitrags- oder Steuermodell zu etablieren. Ob dieses nun personenbezogen oder haushaltsbezogen ansetzt, ist dabei nicht die bedeutsamste Frage, wenn auch einiges für ein haushaltsbezogenes System spricht, um zumindest Kostenschocks bei Mehrpersonenhaushalten zu vermeiden.

Eines jedenfalls ist jetzt schon sicher: Eine effektive Gebührenentlastung wird allein durch einen Systemwechsel beim Einzugsmechanismus in keinem Fall erreicht. Noch unumstößlicher als das Festhalten am Gerätebezug ist das Dogma der Gebührenkontinuität, also der Sicherstellung eines stetig steigenden Mittelzuflusses für ARD und ZDF. Jede Reform, das haben die Länder stets betont, setze zwangsläufig beim aktuellen Gesamtvolumen an und muss mindestens dieses sichern. Die verschiedenen Optionen werden also in Wahrheit rückwärts gerechnet – die Abschaffung der reduzierten Gebühr ist damit zufällig auch die bequemste, da sie zwangsläufig zu Mehreinnahmen führt.

Hier liegt die eigentliche Sprengkraft der gesamten Debatte um die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Die Legitimation der meisten Angebote und der aus ihnen folgenden Kostenlast erfolgt heute faktisch nach dem Prinzip „es gibt sie“. Das Finanzierungssystem der öffentlich-rechtlichen Anstalten in Deutschland kennt keinen objektiven Legitimationsmechanismus, der auch den Bestand in langfristigen, aber regelmäßigen Abständen zur Debatte bestellt. Betriebswirtschaftlich entspräche ein solcher Ansatz einem sogenannten zero-based-budgeting und er wäre nach über 50 Jahren Rundfunkgebühr in Deutschland überfällig.

Dies darf nicht mit der ebenfalls berechtigten Debatte um den Online-Funktionsauftrag und die Wirksamkeit des sogenannten Drei-Stufen-Test verwechselt werden. Die Forderung nach einer Bestandslegitimation setzt eben bei null an und müsste etwa so grundlegende Fragen beantworten, wie die nach der notwendigen und sinnvollen Anzahl an Landesanstalten der ARD, der digitalen Spartenkanäle der Sender oder der Frage, ob eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt auch Betreiber eines technischen Sendenetzes sein soll und darf. Es ginge dabei, dies muss deutlich klargestellt sein, nicht um die Substanz des dualen Fernsehsystems, aber um den darum aufgebauten Speckgürtel der Anstalten.

Operationen hieran sind schmerzlich und politisch unpopulär. Es steht daher nicht zu erwarten, dass die Länder zum Skalpell greifen werden. So wird denn wohl die eingangs aufgeführte zehnstellige Zahl schon in absehbarer Zeit zu einer elfstelligen und die Gebühren-Telenovela in den Medien um zahlreiche neue Folgen bereichert werden – egal, ob wir künftig per allumfassender Gerätegebühr, Haushaltsbeitrag oder Rundfunk-Steuer unseren Beitrag leisten.


Der Autor dieses Gastbeitrags ist Rechtsanwalt und Bereichsleiter Medienpolitik beim BITKOM e.V.

Dieser Beitrag basiert auf einem Artikel, der im Magazin “Berliner Journalisten” (Heft 1-2010) unter dem Titel “Lagebericht aus Absurdistan” erschienen ist.

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