von Heiko Hilker, 5.9.10
von Heiko Hilker und Jürgen Scheele
Mitte Mai veröffentlichte Carta einen von der Rundfunkkommission der Länder insgeheim vorbereiteten Staatsvertragsentwurf für einen geräteunabhängigen Rundfunkbeitrag. Daraus ließ sich ableiten, dass die seinerzeit zumindest nach außen hin offengehaltene Frage, ob es zu einer allgemeinen Haushalts- und Betriebsstättenabgabe komme, hinter den Kulissen – und unabhängig von dem im nachhinein die verfassungsrechtliche Legitimation erteilenden Kirchhof-Gutachten – längst entschieden war.
Anfang Juni vollzogen die Ministerpräsidenten unter Federführung Kurt Becks (SPD) das längst Gewollte dann lediglich für die mediale Öffentlichkeit nach. Entgegen der in Presse und Rundfunk oft kolportierten Meinung, die Gebührenreform führe zu einer Reduzierung oder gar Abschaffung der Aufgaben der GEZ, war damals schon klar, dass das Gegenteil der Fall sein würde, vielmehr die Datensammelwut infolge des Übergangs zur Haushaltsgebühr enorm ausgeweitet würde.
Nun liegt ein überarbeiteter Entwurf zur Änderung des Rundfunkgebührenstaatsvertrags (Stand: 17.08.2010) vor, der nach unserem Kenntnisstand bereits auf der nächsten Ministerpräsidentenkonferenz der Länder am 29. September verabschiedet werden soll.
Gegenüber der von Carta im Mai veröffentlichten Version (Stand: 31.03.2010) sind die Änderungen bis auf wenige Punkte rein redaktioneller Art. Neu ist lediglich, dass Zweit- und Ferienwohnungen – sofern nicht entgeltlich durch Dritte genutzt – nicht mehr der vollen Abgabenhöhe unterworfen sind, sondern nun als sogenannte Nebenwohnungen mit einem Drittel der Gebühr in Rechnung gestellt werden. Neu ist auch die Streichung des Nachteilsausgleichs für mehr als 580.000 bislang von Rundfunkbeiträgen befreite Personen mit Behinderungen. Blinde, sehbehinderte, hörgeschädigte und behinderte Menschen müssen künftig einen Betrag in Höhe eines Drittels der Gebühr zahlen.
Die Staffelung nach Unternehmensgröße bei Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern ist weiter enthalten. Dies bedeutet eine Verbesserung gegenüber der ersten Entwurfsfassung, nicht jedoch gegenüber dem grundlegenden Konstruktionsfehler in der Bemessung der Betriebsstättenabgabe. Das heißt, Unternehmen mit weniger als 1.000 Mitarbeitern und einer großen Anzahl von Filialen bezahlen mehr als Unternehmen mit 1.000 und mehr Mitarbeitern. Oder, wie einem Bericht des Manager Magazins zu entnehmen: “Die Belastung pro Mitarbeiter sinkt, je größer ein Unternehmen ist.”
Zudem haben schon mittelständische Unternehmen (Bäckereien) darauf hingewiesen, dass vor allem Unternehmen mit einem Filialnetz überdurchschnittlich belastet werden. Nach ersten Berechnungen im Bäckerhandwerks könne sich etwa für eine Bäckerei mit sechzig Mitarbeitern, zwölf Filialen und acht Betriebsfahrzeugen die Jahresgebühr von 423 Euro auf fast 2.030 Euro erhöhen. Auch die Autovermieter haben auf ihre exorbitante zusätzliche finanzielle Belastung aufmerksam gemacht.
Gegenüber der ursprünglichen Version wurden somit große Unternehmen und die Besitzer von Zweit- und Ferienwohnungen entlastet. Personen mit Behinderungen hingegen sind die Verlierer der Revision – ein, wenngleich es sich abgezeichnet hatte, immer noch erstaunliches Ergebnis!
Schließlich ist als weitere Neuheit die Streichung der ursprünglich vorgesehenen Umbenennung von GEZ in „Rundfunkservicezentrale“ zu verzeichnen. Statt von einer Rundfunkservicezentrale spricht der Staatsvertragsentwurf wieder ausschließlich von einer “nichtrechtsfähigen öffentlich-rechtlichen Verwaltungsgemeinschaft betriebenen Stelle der öffentlich-rechtlichen Landesrundfunkanstalten”.
Das aber ist nichts anderes als der eigentümliche Status, den die GEZ immer schon inne hatte und der sie im übrigen gerade dann vor Ansprüchen immunisiert, wenn Bürgerinnen und Bürger mit ihr in Konflikt geraten. Offenbar war es den Ministerpräsidenten letztendlich doch zu heiß, der Öffentlichkeit ein X für ein U vorzumachen und die GEZ lediglich umzubenennen.
Ohne Kontrolleinrichtung – hieße sie nun GEZ oder Rundfunkservicezentrale – geht es eben auch bei der Haushalts- und Betriebsstättenabgabe nicht. Doch sind die datenschutzrechtlichen Kollateralschäden gegenüber dem bestehenden gerätebezogenen Modell abenteuerlich.
Denn künftig wird es großer Kontrollanstrengungen bedürfen, gerichtsfest festzustellen, wo ein Haushalt oder eine Betriebsstätte beginnt und wo ein Haushalt oder eine Betriebsstätte aufhört. Ist eine Wohngemeinschaft ein Haushalt oder mehrere Haushalte? Sind Untermieter oder volljährige Kinder mit eigenem Raum in der elterlichen Wohnung gebührenpflichtig? Und generell: Wer alles gehört zu einem Haushalt?
Bereits der Umstand, dass zukünftig sämtliche Personen Wohnungen zugeordnet werden müssen, weist auf eine erhebliche Ausweitung in der Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten hin. Zudem wird das Innehaben einer Wohnung, einer Betriebsstätte oder eines gebührenpflichtigen Kraftfahrzeugs anzeigepflichtig, so dass alle volljährigen Personen potentiell gebührenpflichtig sind und deren bei den Landesrundfunkanstalten “unverzüglich schriftlich” zu machenden Angaben bei Ein- und Umzug, bei An- und Abvermietung, bei An- und Abmeldung zu verifizieren sind.
Ferner werden auch künftig Wohnungen in einem erheblichen Ausmaße zu kontrollieren sein, weil sich Unstimmigkeiten und Kontrollnotwendigkeiten schon allein aus divergierenden Datensätzen ergeben. Denn die von der GEZ weiterhin zu beziehenden Daten der Einwohnermeldeämter sind teils inhaltlich nicht ausreichend, teils auch falsch, teils für die Zuordnung von Personen zu Wohnungen nicht brauchbar. Hinzu kommen Datenerhebung und Kontrolle bei Gewerbetreibenden, Selbständigen und Unternehmern, die neben den eigentlichen Verbrauchern ebenfalls belastet werden sollen.
Die Datenverarbeitung wird also beim Übergang zur Haushaltsgebühr keineswegs weniger, das Gebührenerhebungsverfahren nicht vereinfacht. Weder würde die Legitimationsschwäche des jetzigen Systems behoben, noch mehr Akzeptanz für die Gebühr in der Bevölkerung geschaffen.
Stattdessen verwandelte sich die GEZ faktisch – so die Einschätzung des Sächsischen Datenschutzbeauftragten Andreas Schurig – in eine “Supermeldebehörde” (Presseerklärung vom 02.02.2010). In einer eingehenden Analyse für Carta hatten wir selbst von einem “Dokument eines obrigkeitsstaatlichen Rundfunkgebührenstaats” und vom Entstehen eines kaum verfassungskonformen „bundesweiten Zentralmelderegisters“ gesprochen. Diese Befunde bleiben nach Vorlage der aktuellen Version des Staatsvertragsentwurfs weiterhin aktuell. In ihm wurden keinerlei Änderungen an den unakzeptablen Kontroll-, Melde- und Auskunftspflichten vorgenommen.
Ein Schreiben der für den RBB zuständigen Brandenburgischen Landesdatenschutzbeauftragten Dagmar Hartge vom 23. April 2010 an die Staatskanzlei Rheinland-Pfalz – das uns vorliegt und nachstehend in Auszügen wiedergegeben wird –, belegt vielmehr, dass der für die Erarbeitung des Staatsvertrags zuständigen Rundfunkkommission der Länder sehr wohl erhebliche datenschutzrechtliche Bedenken vorlagen, jene aber bewusst übergangen wurden. In dem Schreiben heißt es:
[…] Auf Grund der Komplexität der Thematik und des engen Zeithorizonts, der uns für eine Befassung mit der Materie zur Verfügung stand, können wir zunächst nur eine erste, kurze Stellungnahme abgeben. Insofern erheben unsere Anmerkungen keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Allerdings sehen wir bereits heute erheblichen Nachbesserungsbedarf bei der Formulierung normenklarer Regelungen. Wie bereits eingangs erwähnt, konnten wir keine Verbesserung zu Gunsten der Rechte der Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung feststellen. Im Gegenteil: Unklare Verfahrensregelungen lassen einen starken Anstieg der Beschwerden befürchten. Der Entwurf trägt weder dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dem Grundsatz der Normenklarheit noch dem Grundsatz der Datensparsamkeit Rechnung.
Wir bedauern, dass der Systemwechsel nicht zu weniger, sondern zu mehr Bürokratie führen wird und wenig bürgerfreundlich erscheint. […]
Eine riesige Datenbank würde geschaffen, die weit über die Inhalte der Melderegister hinausgeht. Zudem ist eine differenzierte Zugriffsberechtigung, beispielsweise nach den einzelnen Rundfunkanstalten, nicht vorgesehen. Obwohl seit Jahren von Seiten der zuständigen Landesdatenschutzbeauftragten kritisiert, hätte jeder Sachbearbeiter einen bundesweiten Zugriff auf diese Datenbank. Gleiches gilt für die Rundfunkgebührenabteilungen der Rundfunkanstalten sowie (teilweise) die Rundfunkgebührenbeauftragten. […]
Im Absatz 2 [aus § 2] wird die Vermutungsregel aufgestellt, dass Inhaber einer Wohnung derjenige ist, der dort nach dem Melderecht gemeldet ist oder im Mietvertrag als Mieter genannt wird. Mit dieser problematischen Definition des Wohnungsinhabers sowie der Definition der Wohnung im Sinne des § 3 StV-E unternimmt der StV-E ersichtlich den Versuch einer vom Melderecht unabhängigen Definition dieser Begriffe. […]
Gleichzeitig halten wir die Pflicht der Betroffenen, bei Ab- und Ummeldung (§ 7 Abs. 4 Nr. 1 und Nr. 3 [in der Version vom 17.08.2010: § 8 Abs. 3 und Abs. 5 Nr. 1 und 3] a.E. StV-E) die Daten der verbleibenden Bewohner zu übermitteln, für unverhältnismäßig. In vielen Fällen würde eine unzulässige, weil doppelte Datenerhebung bei den Rundfunkanstalten die Folge sein. Durch regelmäßige Datenübermittlungen von den Melderegistern werden die in Rede stehenden Angaben bereits vorhanden sein. […]
Auch bezüglich der Beachtung des Übermaßverbotes und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz haben wir Bedenken. So meldet zunächst der Betroffene selbst seine Daten. Dann erfolgt eine Meldung über die Meldeämter. […]
[…] hinreichend sicherstellen dürfte, dass die Landesrundfunkanstalten bzw. die Rundfunkservicezentrale über die für ihre Aufgabenerfüllung notwendigen Daten verfügen. Hinzu kommt die vorgesehene regelmäßige Datenübermittlung seitens der Meldebehörden. Damit besteht nach derzeitiger Einschätzung kein Anlass, eine zusätzliche Datenerhebung bei Dritten zuzulassen. […]
Mit Inkrafttreten des Staatsvertrages ist die Datenübermittlung der gesamten Datenbestände aller Meldebehörden an die jeweiligen Rundfunkanstalten vorgesehen. Diese wiederum können Dritte bzw. die Rundfunkservicezentrale mit der Datenverarbeitung beauftragen. Dadurch entstünde ein bundesweites Melderegister. Inwieweit eine solche Datenbank verfassungskonform, d. h. verhältnismäßig wäre, ist fraglich. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 90, 60) hat in seiner Entscheidung festgestellt, dass bei der Finanzierung des öffentlichen Rundfunks lediglich sichergestellt werden muss, dass dieser die ihm zukommende Funktion im dualen System erfüllen kann und er zugleich wirksam davor geschützt ist, dass die Entscheidung über die Finanzausstattung zu politischen Einflussnahmen auf das Programm genutzt wird. […] (Hervorhebung Carta)
Es muss als bemerkenswert bezeichnet werden, dass diese Einwände bei der Überarbeitung des Staatsvertragsentwurfs nicht nur nicht berücksichtigt wurden, sondern darüber hinaus auch im weiteren keine Mitwirkung der Landesdatenschutzbeauftragten stattfand.
Die Behauptung des für den Rundfunk zuständigen Sächsischen Staatsministers Johannes Beermann (CDU): “Das haben wir mit den Datenschutzbeauftragten der anderen Bundesländer erörtert, und die haben daran nichts zu beanstanden” (Interview mit der Sächsischen Zeitung, 17.07.2010), ist unzutreffend. Eine Zustimmung bzw. Unbedenklichkeitserklärung zur Haushaltsgebühr durch die Landesdatenschutzbeauftragten liegt ausdrücklich nicht vor.
Beermanns Aussage belegt allenfalls eines: Die Ministerpräsidenten der Länder wollen im Falle der Haushaltsgebühr weiterhin mit dem Kopf durch die Wand. Es wird Zeit, dass dem undemokratischen Treiben in den Hinterzimmern der Rundfunkkommission ein Ende gesetzt wird.
Update: Der ursprüngliche Absatz zur Betriebsstättenabgabe enthielt einen Fehler und wurde nach Hinweis von hape in den Kommentaren ersetzt (5. und 6. Absatz von oben). Hier zur Dokumentation der ersetzte Absatz:
Ebenfalls einer Änderung unterworfen wurde die Bemessungsgrundlage für die Betriebsstättenabgabe. Bestanden zuvor noch Staffelungen für Unternehmen ab 5.000 (60 Rundfunkbeiträge), 10.000 (100 Rundfunkbeiträge) und 20.000 (150 Rundfunkbeiträge) Beschäftigten, so sollen nun alle Firmen ab 1.000 Beschäftigten einheitlich 20 Rundfunkbeiträge entrichten.
Disclaimer: Dr. Jürgen Scheele ist Referent für Medienpolitik bei der Fraktion “Die Linke” im Bundestag.