von Robin Meyer-Lucht, 6.10.10
Das Eröffnungsstatement der Autorin Kathrin Passig war nicht gerade schmeichelhaft: „Ich mache mir große Sorgen um die Buchindustrie. Sie ist noch lange nicht dort, wo ich glaube, dass sie sein sollte.“ Die Veränderung des Kauf- und Nutzungsverhaltens bei Büchern habe längst begonnen, so Passig – aber die Verlage würden noch immer glauben, sie können ihre Inhalte “einfach in E-Books abfüllen” und verkaufen.
Passig: “Auch die Musik- und die Nachrichtenindustrie mussten herausfinden, dass sie nicht in dem ‘Business’ sind, von dem sie dachten, dass sie es wären.”
Beim Eröffnungspanel der StoryDrive-Konferenz der Frankfurter Buchmesse am Mittwoch konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren, die Buchbranche sei gerade dort, wo die Musikindustrie 1998 und die Zeitungsindustrie 2004 waren. Eine Zustandsanalyse, wie man ebenso als Mahnung wie Chance begreifen könnte.
Neben Passig versuchten eher buchbranchenfremde Akteure auf dem Panel, der Buchindustrie Mut zu neuen Modellen zuzusprechen: Cornelia Geppert, Games-Produzentin, Denis Bartelt von der Crowdfunding-Plattfom Startnext und Tim Renner, allgegenwärtiger Experte für digitale Veränderung.
Tim Renner erklärte gleich einmal, dass man leider „fucked“ sei, wenn man in dem Geschäft sei, Inhalte und Lizenzen zu verkaufen (wobei ihm wohl klar war, dass die Buchmesse vor allem auch eine riesiger Lizenzhandelsmarktplatz ist). Lizenzen und Urheberrechte zu verkaufen werde immer schwerer, erklärte Renner. Er habe in den letzten Jahren lernen müssen, dass man vor allem noch Services verkaufen könne.
Diese Einsicht überrascht so sehr nicht: Tim Renner betreibt eine Künstlermanagementagentur. Er verdient sein Geld also heute als Dienstleister für Künstler statt – wie einst bei Universal – durch den Verkauf von Tonträgern. Renner lotst mit seiner Firma Künstler durch die neuerdings offeneren Vertriebskanäle. Der Buchbranche empfahl er Ähnliches: „Es gibt keinen Grund mehr für klassische ‘Publishing Houses’, aber für Services.”
Renner weiter: “Was sich verändern wird, ist nicht so sehr die Art, wie Bücher geschrieben werden oder wie sie verbreitet werden – sondern die gesamte Art, wie das Geschäft funktioniert.“
In der Tat: Bücher könnten in Zukunft völlig verrückt finanziert werden. Vielleicht durch Ausgabe kostenloser oder werbefinanzierter E-Books – ergänzt um kostenpflichtige Services oder Upgrades. Könnte zumindest sein.
Zumindest die Gamesindustrie arbeitet ja so, wie Cornelia Geppert noch einmal erläutern durfte. Sie hat ein Spiel lanciert, das sich über Mikropayments für bestimmte Spielgegenstände refinanziert: Das Spiel ist kostenlos, aber wer ein schönes Schwert für seine Spielfigur haben möchte, zahlt einen Euro. Eine offenbar gut funktionierende Idee – aber wie könnte man sie auf die Buchindustrie übertragen? Da kann man zunächst einmal getrost ratlos bleiben.
Denis Bartelt von der Crowdfunding-Plattform Startnext nahm den Service-Gedanken von Tim Renner auf erhellende Weise auf. Auf seiner Plattform (eine Art deutsche Adaption von Kickstarter) können Nutzer künstlerische Produkte mit Hilfe von Spendenzusagen finanzieren. Die freundlichen Unterstützer bekommen vom Künstler zumeist ein spezifisches Zusatz-Dankeschön – etwa ein persönliches Dankesvideo.
So gesehen ist eine Crowdfunding-Plattform wie Startnext sehr konsequent: Es werden keine Urheberrechte verkauft, sondern der Service des persönlichen Dankeschöns an die Nutzer – und der Service einer Finanzierungsplattform an den Künstler. Hier ist schon fast alles Service und sehr wenig noch Lizenz. Das Modell ist um die raren künstlerischen Ressourcen konstruiert – bevor ein Produkt entsteht.
Was könnten solche Finanzierungsansätze für Bücher bedeuten? Zukünftig könnten die Inhalte kostenlos abgegeben werden, wer aber mal mit dem Autor drüber reden möchte, kann eine kostenpflichtige Hotline anrufen?
Hm, so wohl nicht. Aber vielleicht so ähnlich – zumindest, wenn man den Ansatz Service statt Content einmal weiterdenkt.