von Adrian Schneider, 2.8.10
Die Geschehnisse bei der Duisburger Loveparade scheinen bei manchen Redaktionen presserechtliche Regeln außer Kraft gesetzt zu haben. So war jedenfalls mein Eindruck, als ich letzte Woche Zeitungen aufgeschlagen, den Browser geöffnet oder den Fernseher eingeschaltet habe. Bilder von Verletzten, unverpixelte Aufnahmen der Massenpanik, Portraitfotos verstorbener Menschen. Häufig mit dem Hinweis „Quelle: Internet“, dem schon fast branchenüblichen Synonym für: „Rechte ungeklärt“.
Es ist nicht das erste Mal, dass ich den Eindruck habe, dass die Pressefreiheit mit Narrenfreiheit verwechselt wird. Und manchmal wünsche ich mir in diesen Momenten eine Aufsichtsbehörde für die Presse.
Loveparade, Kachelmann und andere Ausnahmesituationen
Es gibt Situationen, da scheinen Presse und Rundfunk sämtliche Regeln über Board zu werfen. Die Loveparade ist da nur ein Beispiel. Die Verdachtsberichterstattung über Jörg Kachelmann ist auch so ein Fall. Regelrechte Fotoshootings finden vor und im Gefängnis statt und private Fotos machen die Runde. Von Zurückhaltung – wie sie auch juristisch in solchen Fällen gefordert wäre – keine Spur.
Doch das sind nur die prominenten Fälle. Fast noch schlimmer sind die kleinen Berichte, die Persönlichkeitsrechte mit Füßen treten. Sei es über mutmaßliche oder verurteilte Straftäter, über Opfer, oder völlig uninteressante Menschen, die sich einfach nur im falschen Moment lächerlich gemacht haben oder zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Natürlich sind solche Vorfälle nicht die Regel in der deutschen Presselandschaft – aber auch keine vernachlässigbaren Ausrutscher.
Die Möglichkeiten der Betroffenen
Wer einmal in eine solche journalistische Sensationsmaschinerie gelangt ist, hat es sehr schwer, dort wieder heraus zu kommen. Das deutsche Presserecht sieht einige Instrumentarien vor, mit denen sich Betroffene zur Wehr setzen können. Vom Unterlassungsanspruch, über die Gegendarstellung bis – in besonders schwerwiegenden Fällen – zum Schadensersatz.
Doch auf dem Zivilrechtsweg sind Betroffene auf sich allein gestellt. So ein Rechtsstreit kostet viel: Nerven, Zeit und vor allem auch Geld. Und bei allen Faktoren sitzen die Zeitungen, Magazine oder Fernsehsender meistens am längeren Hebel. Wer sich gegen unangemessene Berichterstattung wehren will, braucht vor allem einen langen Atem.
Und was steht am Ende eines solchen Verfahrens? Ein Verbot für die Zukunft, ein kleiner Absatz in der Zeitung, viele Monate nach dem ursprünglichen Bericht oder im besten Fall eine kleine Geldzahlung. Nichts, was dem Prozessgegner nachhaltig beeindrucken würde. Und nichts, was die Berichterstattung ungeschehen machen würde. Kein Wunder, dass sich das Gros der Betroffenen davor scheut, selbst tätig zu werden.
Auf der anderen Seite besteht natürlich auch die Möglichkeit einer Strafanzeige wegen Verleumdung, Beleidigung oder übler Nachrede. Nicht immer greifen diese Instrumentarien und häufig scheuen sich die Strafverfolgungsbehörden, auch tatsächlich davon Gebrauch zu machen. Und das zu recht: Das Strafrecht ist das härteste Mittel, das dem Staat zur Verfügung steht. Gerade bei der Presse ist hier äußerste Vorsicht geboten.
Bleibt noch der Weg zum deutschen Presserat. Hier ist die Hürde gering, die Auswirkungen aber auch. Denn der Presserat beruht lediglich auf einer Selbstverpflichtung von Presseorganen. Er hat nichts, aber auch gar nichts in der Hand, um seinen Hinweisen, Missbilligungen oder Rügen auch Taten folgen zu lassen.
Eine Aufsichtsbehörde für die Presse
Die Lage ist also ziemlich unbefriedigend: Mit dem Zivilrechtsweg kann man zwar effektive Verbote erreichen, manchmal sogar einen finanziellen Ausgleich erstreiten. Doch dabei ist man auf sich allein gestellt und muss ein großes finanzielles Risiko in Kauf nehmen. Der Presserat ist ein Tiger ohne Zähne und das Strafrecht häufig eine zu große Kanone, als dass sie auch wirklich eingesetzt werden könnte.
Was fehlt ist ein Mittelweg. Eine Aufsichtsbehörde, die Betroffenen hilft, ihre Rechte durchzusetzen und Sanktionen verhängen kann, die die Presse auch dazu zwingen kann, Grenzen wirklich einzuhalten. Manchmal, wenn ich unfaire, unangemessene, manchmal sogar vernichtende Berichte über Menschen lese, wünsche ich mir genau das: Eine Instanz, die solche Journalisten effektiv in ihre Schranken verweist. Ohne großes Risiko für die Betroffenen, ohne jahrelange Gerichtsverfahren, sondern mit einem Bußgeldbescheid. Das geht schnell, ist erprobt und kann angemessen wehtun. Und auf der anderen Seite kann man sich als Verlag oder Journalist auch praktisch dagegen wehren.
Die Landespressegesetze helfen hier nicht weiter. Zwar sind dort auch Bußgelder vorgesehen, allerdings nur bei Verstößen gegen die Impressumspflichten. Diese können zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen von den Kreisordnungsbehörden mit einem Bußgeld bis 10.000 Deutsche Mark [sic!] geahndet werden (§ 23 LPG-NRW). Eine eigene Aufsichtsbehörde – wie zum Beispiel die Landesmedienanstalten im Rundfunkrecht – gibt es hingegen nicht.
Verfassungsrechtlich wäre eine solche Aufsichtsbehörde natürlich extrem kritisch. „Schlechthin konstituierend für die Demokratie“ nennt das Bundesverfassungsgericht die Meinungsfreiheit und ohne eine freie Presse ist Meinungsfreiheit nicht zu haben. Doch weiß gerade auch das Bundesverfassungsgericht, dass die Presse nicht grenzenlos walten und sich über Recht und Gesetz hinwegsetzen darf. Und nicht umsonst sieht das Grundgesetz das „Recht der persönlichen Ehre” ausdrücklich als Schranke für die Kommunikationsgrundrechte vor. Ganz ausgeschlossen wäre eine solche Behörde deshalb wahrscheinlich nicht, wenn man ihr enge Grenzen setzen und effektive Sicherheitsmechanismen installieren würde, um die Freiheit der Presse dennoch zu wahren. Etwa durch eine Beteiligung des Presserates an Maßnahmen der Aufsichtsbehörde.
Ganz neu ist dieser Ansatz auch nicht. In den 50er Jahren wollte das Bundesinnenministerium schon einmal mit einem Bundespressegesetz sog. „Landespresseausschüsse“ schaffen, um durch staatliche Aufsichtsgremien eine „innere Sauberkeit“ bei der Presse sicherzustellen. Der Plan wurde von Verlagen und Journalisten als Drohung verstanden und so einigte man sich als eine Art Kompromiss auf eine Selbstkontrolle der Presse – der Deutsche Presserat war geboren. Wenn wir nun, ein halbes Jahrhundert später, feststellen, dass sich dieser Presserat nicht durchsetzen kann, könnte es an der Zeit sein, erneut über ein solches Gesetz nachzudenken.
Die Kehrseite der Medaille
Das alles klingt – auf den ersten Blick – überzeugend. Doch im gleichen Moment sehe ich dann auch die Kehrseite der Medaille. Manchmal muss Journalismus auch an Grenzen gehen. Als Günter Wallraff damals undercover in der BILD-Redaktion recherchierte, kassierte er danach eine Rüge des Presserates. Begründung: Verdeckte Recherche sei unzulässig. Will ich wirklich, dass eine Behörde über solche Grenzfragen entscheidet und seine Ansicht notfalls mit Hilfe der gesamten Palette der Staatsgewalt durchsetzen kann?
Ich denke dann an Gerichtsentscheidungen aus Hamburg, die kritische Berichterstattung – zum Teil wegen Nichtigkeiten – verbietet oder anderweitig behindert. Allein der Einschüchterungseffekt ist schon heute teils verheerend. Ich denke an Strafverfahren gegen Journalisten und das Potential, das in einer solchen Aufsichtsbehörde stecken könnte, kritische Presse mundtot zu machen.
Und ich frage mich: Ist diese systematische Lücke im Presserecht vielleicht der Preis, den wir für freien Journalismus zahlen müssen?
Auch wenn der Gedanke manchmal wirklich verlockend erscheint, komme ich zu dem Schluss: Eine Aufsichtsbehörde wäre zu gefährlich für die freie Presse in Deutschland, das Missbrauchspotential zu hoch. Doch mit jedem Artikel, der die Persönlichkeitsrechte von Menschen mit Füßen tritt, sägt ein Journalist am Ast der Pressefreiheit, gefährdet freien Journalismus von innen heraus und arbeitet daran, nicht nur mich davon zu überzeugen, dass wir doch in gravierenden Fällen eine staatliche Notbremse brauchen. Nicht um kritische Presse zu unterdrücken, sondern um Einzelne vor dem Missbrauch von Pressefreiheit zu schützen.
Crosspost von Telemedicus, dem Blog für Rechtsfragen der Informationsgesellschaft.