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Gefahrengebiet Hamburg: Der Generalverdacht ist salonfähig

von , 9.1.14

Ich beschäftige mich aktuell viel mit dem Thema Grundrechte. Nicht etwa, wie ein Jurist es tut, sondern wie es ein mündiger Bürger versucht zu tun. Seit einiger Zeit habe ich nämlich das vage Gefühl, dass sie verschwinden werden – nicht auf dem Papier, aber in der Praxis.

Als ich erfahren habe, dass in meiner Wahlheimat Hamburg aufgrund eines Angriffs von vermutlich linken Autonomen auf die Davidwache und diensthabende Polizisten eine Gefahrenzone eingerichtet wurde, dachte ich zunächst nichts Böses: Vermutlich so etwas wie eine erweiterte waffenfreie Zone, wie sie bereits 2007 – erstmalig in der Bundesrepublik – auf St. Pauli ausgerufen wurde.

Bei genauerem Lesen war ich jedoch schockiert: Die Gefahrenzone Hamburgs ist – wie inzwischen viele wissen – ein Gebiet, das sich von Altona über St. Pauli bis zur Sternschanze zieht, und in dem die sogenannte Unschuldsvermutung gegenüber Staatsbürgern nicht mehr zählt.
 

Radio Hamburg beschreibt die Lage der Gefahrenzone:

Das Gefahrengebiet ist von der Hamburger Polizei nördlich von der Fruchtallee, Schäferkampsallee, Schröderstiftstraße begrenzt. Im Osten von der Karolinenstraße, Feldstraße und Budapester Straße. Im Süden wird das Gebiet von der Simon-von-Utrecht-Straße markiert, im Westen von der Holstenstraße, Stresemannstraße, Alsenstraße und Doormannsweg.

 
Konkret bedeutet das, dass Polizisten ohne einen begründeten Verdacht und ohne erkennbaren Anlass vorbeigehende Bürger bis in die Handtasche überprüfen und im Zweifel sogar festhalten beziehungsweise in Gewahrsam nehmen dürfen.

Noch konkreter bedeutet das, dass Polizisten auf einige unserer verfassungsmäßigen Grundrechte pfeifen dürfen, ohne befürchten zu müssen, dass „Vater Staat“ ihnen auf die Finger haut. Freies Geleit zur angeordneten Aussetzung des Rechtsstaates – und das sogar bis auf Weiteres.

 

Zielgruppen klar definiert: Kiffer, Feiernde und Kapuzenpulli-Träger im Visier

Das allein ist meines Erachtens schon ein starkes Stück. Die LINKE hat indes mal nachgefragt, gegen wen sich die Kontrollen denn richten werden, und entsprechend einer Senatsantwort fallen Personen in das Raster, die sich in den Grenzen des Gefahrengebiets aufhalten und vom äußeren Erscheinungsbild und ihrem Verhalten der Drogenszene zugeordnet werden können.

Daneben werden auch 16- bis 35-Jährige in Gruppen ab drei Personen oder Personen, die alkoholisiert sind oder sich auffällig verhalten, kontrolliert. Ebenso Einzelpersonen, die nach polizeilicher Erfahrung der gewaltbereiten Fußballszene sowie Personen, die augenscheinlich dem linken Spektrum zuzurechnen sind.

Kurzum: Es müssten sich auch kiffende und feiernde Freundeskreise sowie Fußballfans und Alternative in schwarzen Kapuzenpullovern in Acht nehmen, nicht zu vergessen Demonstrierende – die gehen in Hamburg nämlich zumeist für linke Themen auf die Straßen der Gefahrenzone: für sozialverträgliche Mieten, Menschenrechte von Kriegsflüchtlingen und dem Ausverkauf des Wohnviertels an gesichtslose Spekulanten.

Nein, jetzt ernsthaft: Die Kriterien für die „Zielpersonen“ treffen in den betroffenen Stadtvierteln mindestens auf jeden Dritten zu – „Kiez“-Kenner wissen, was ich meine.

Das ist ein Problem. Denn selbst, wenn einige der bisherigen Kontrollen zu berechtigten Aufgriffen geführt haben sollten, ist ein Großteil der Kontrollierten zu Unrecht einer eigentlich nicht hinnehmbaren Prozedur unterzogen worden, die im Grunde nur durchzuführen gewesen wäre, wenn derjenige sich mindestens eine Ordnungswidrigkeit oder eben eine Straftat geleistet hätte.

Inzwischen braucht es das nicht mehr.
 

Schanze, HH, 21.12.2013, Foto: woerpel, CC BY

Schanze, HH, 21.12.2013, Foto: woerpel, CC BY

 

Der Generalverdacht ist salonfähig

Der pauschale Generalverdacht greift weiter um sich: In den vergangenen Jahren hat sich in der Politik und weiten Teilen der Gesellschaft mehr und mehr die Auffassung durchgesetzt, dass Bürgerrechte der Terror- und Verbrechensbekämpfung untergeordnet werden müssen.

Etwas übertrieben könnte man auch sagen: Die Angst von 9/11 hat es inzwischen bis vor unsere Haustür geschafft – aktuell mehr denn je manifestiert durch die Späh-Affäre, der angestrebten Vorratsdatenspeicherung und auch der beschriebenen Causa „Gefahrenzone“.  All die genannten Vorgänge beruhen nämlich auf einem nicht greifbaren Sicherheitsversprechen der Politik gegenüber dem Bürger. Währenddessen untergraben sie ganz nebenbei den Rechtsstaat und die Demokratie in der Bundesrepublik.

Zyniker würden sagen: Der Sicherheitsstaat wird kommen.

Passieren nämlich keine weiteren Terroranschläge und Verbrechen mehr, heißt es, dass die Methoden Erfolg haben – halten wir also weiter an ihnen fest. Passiert trotzdem wieder etwas, wird es heißen: Seht ihr, das kommt davon, dass ihr nicht noch mehr von euren Bürgerrechten aufgebt.

Wer dem auf den Leim geht, wird irgendwann das Nachsehen haben und sich in einem zweiten Russland wiederfinden. Oder in einem mehr oder weniger altbekannten Deutschland, der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt.

Dass wir uns hier nicht falsch verstehen. Ich gehöre nicht zu den „Sympathisanten von Krawallos“, wie der geschätzte Blogger Nico Lumma die Kritiker der Gefahrenzone betitelt. Aber ich gehöre durchaus zu der wachsenden Menge der Menschen, die beobachten, wie systematisch Politiker die eigenen Grundrechte hintenanstellen, und die deswegen besorgt sind.

Die Hamburger Morgenpost zitierte dieser Tage übrigens aufgebrachte Passanten, die beim Flanieren und Kaffeetrinken angeblich mehrmals kontrolliert wurden und einen Platzverweis erhielten – weil sie sich beschwerten. Davon steht in den Verlautbarungen der Polizei an die Presse wenig.

Hier heißt es unter anderem nur, dass binnen der ersten 24 Stunden über 200 Menschen überprüft und etliche Aufenthaltsverbote und Platzverweise ausgesprochen wurden. Warum? Wahrscheinlich wegen Verdacht auf terroristische und verbrecherische Aktivitäten.
 
Crosspost vom Upgrade.me-Blog
 

 

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