#Energiepolitik

Gasstreit: Europa hat wenig gelernt

von , 7.1.09

Der russische Staatskonzern Gazprom, kontrolliert von Schattenpräsident Putin, lehrt Europa wieder mal das Fürchten und zeigt gleichzeitig der Ukraine, dass die Westwendung der Orangenen Revolution ein korrigierbarer Fehler war. Neuer Kalter Krieg, Gaswaffe, Erpressung, so die Umschreibung führender, meist konservativer Medien im Lande. Würde der Nahostkonflikt nicht die Titelseiten dominieren, es wäre das Top-Thema der Woche.

Doch so einfach die stetig wiederkehrende Geschichte der politischen Ausbeutung energiepolitischer Abhängigkeit auch aussehen mag, sie ist weit komplexer, als die meisten Kommentare uns glauben machen wollen.

Bereits im Oktober und November des vergangenen Jahres kündigte Gazprom-Chef Alexej Miller an, dass die Ukraine durch die Weigerung ihre Schulden für vergangene Gaslieferungen zu begleichen und durch eine wenig kooperative Haltung im Zuge anstehender Preisverhandlungen, mittelfristig ihre eigene Versorgung mit russischem Erdgas gefährde. Die Warnungen wurden im Laufe der vergangenen Wochen immer deutlicher und die russische Seite bemühte sich darum, auch in Europa Verständnis für die sich anbahnende Situation zu erzeugen. Allein aus Europas Hauptstädten war im Vorfeld wenig zu hören. Auch Angebote an Europa im Streit zu vermitteln, gingen entweder in den Feierlichkeiten der französischen Ratspräsidentschaft unter oder wurden wissentlich abgelehnt.

Nachdem auch zu Beginn des neuen Jahres keine Einigung erzielt werden konnte, drosselte Gazprom die Lieferungen an die Ukraine. Diese wiederum schien sich eifrig an den Transitlieferungen westwärts zu bedienen. Der Vorhang für den zweiten Akt war gefallen und Europa betrat die Bühne.

Während in den ersten Tagen des Konflikts die mediale Berichterstattung auf die starre Haltung beider Seiten und die teils intransparenten Praktiken des ukrainischen Staatsunternehmens Naftogas hinwies, scheint sich nun, da die Lage dramatischere Ausmaße annimmt, der Schuldige wieder mal in Moskau zu finden. Beinahe reflexartig wird politische Erpressung der russischen Geheimdienstagenten in Gazproms Schaltzentralen gewittert.

Die Konfliktsituation ist komplex und vielschichig, enthält jedoch eine Botschaft, die anhand eines einfachen Beispiels dargelegt werden kann: Man stelle sich vor, Person A ist junger Unternehmer und hat vor einigen Wochen sein erstes Geschäft eröffnet. Um dieses erfolgreich über die schwierige Anlaufphase zu bringen, hilft ihm ein ungeliebter, aber reicher Bekannter B monatlich mit 100 Euro aus. Solange bis A auf den eigenen Beinen stehen kann, muss er wohl oder übel mit B auskommen. B schickt A das Geld monatlich per Post. Eines Tages erreichen A nur noch 70 Euro. Im nächsten Monat nur noch 30 Euro. A ist wütend. Auf wen? Natürlich auf B, da er diesen erstens persönlich nicht ausstehen kann und ihn daher, zweitens, instinktiv als Schuldigen für den abnehmenden Geldfluss wahrnimmt. Der Postbote C, der monatlich den Geldbrief bringt, macht hingegen einen freundlichen, vertrauenswürdigen und pflichtbewussten Eindruck. Er ist ein kleiner Mann und arbeitet schließlich für die Post.

Das Beispiel bringt die Zwickmühle, in der sich Europa derzeit befindet anschaulich auf den Punkt. Grundsätzlich gäbe es nun drei Möglichkeiten, diese Situation dauerhaft zu lösen. Entweder A geht stets direkt zu seinem Bekannten und holt sich das Geld persönlich ab, um den Erhalt des vollen Betrags sicherzustellen, er wechselt den Postdienstleister oder aber er sucht sich einen anderen Bekannten, der ihn finanziert. Leider wird A bald klar, dass die Anzahl potenter Bekannter eingeschränkt ist, also muss er sich langfristig für eine der beiden ersten Möglichkeiten entscheiden.

Die Europäische Union unterscheidet sich kaum von Person A. Sie ist heute nicht viel weiter, als sie es während des letzten Gasstreits im Jahr 2006 war. Die beinahe einhellige Antwort auf die Herausforderung lautet heute wie damals: Hände weg vom russischen Gas! Dass dies aufgrund des Mangels anderer Anbieter kaum möglich ist, wird dabei häufig wissentlich vernachlässigt. Naheliegender scheint hingegen eine weitere Diversifizierung der Transportrouten. Die viel geschmähte Ostseepipeline wäre dafür ein passendes Beispiel. Doch auch Leitungen durch das Schwarze Meer bieten sich als Alternativen an. Insbesondere das von Lieferausfällen schwer betroffene Bulgarien dürfte an Gazproms “South Stream”-Projekt sehr schnell wieder Gefallen finden.

Dies alles macht jedoch nur dann Sinn, wenn Europa seine Hausaufgaben erledigt. Dazu gehören der weitere Ausbau grenzüberschreitender Infrastruktur, durch den Ausgleichslieferungen innerhalb Europas erst ermöglicht werden, ein rechtsverbindlicher Solidaritätsmechanismus und natürlich ein effizienterer Umgang mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen.

Krisen wie die derzeitige lassen sich schwer verhindern. Doch Vorsorge zu treffen liegt in der Verantwortung nationaler wie europäischer Politik.

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