von Klaus Vater, 12.7.17
Es gab und gibt Krawall-Demonstrationen ganz unterschiedlicher Art: Gegen fehlenden Umweltschutz, Naturzerstörung und gegen Kernkraft; gegen Krieg und Atomwaffen; gegen Ausbeutung, soziale Missstände und Diskriminierung; es gab Jugendkrawalle und es gibt Krawalle wegen internationaler Konferenzen. Eigentümlich ist: Mir scheinen die Demonstrationen gegen Krieg und Atombewaffnung die friedlichsten gewesen zu sein, während der Naturschutz im Vergleich dazu unter Hauen & Stechen lief.
Die ersten nennenswerten Jugendkrawalle nach der 68er-Zeit sind 1980 in Zürich ausgebrochen, in der Stadt der verschwiegenen Banken und der süßen Schokoladen. Sie wurden von den Söhnen und Töchtern der gutverdienenden Züricher Stadtgesellschaft organisiert, richteten sich gegen die Verwaltung der Stadt, weil ein Jugendzentrum verweigert wurde. Aber ganz rasch richtete sich gewalttätiger Protest auch gegen die herrschende Ordnung und eine Beton- Ästhetik, die sich gegen ein Eindringen ungewohnter kultureller Formen abkapselte. „Züri brännt“ hieß ein Programmstreifen über die Krawalle in der Stadt, obgleich Zürich nicht brannte.
„Züri brännt“: War damit etwas Prophetisches gelungen, wurde da etwas voraus gedeutet?
Zürich war ein durch und durch lokaler Konflikt. Internationalisierung von Protest begann eben erst in die Kinderschuhe zu schlüpfen. Einunddreißig Jahre später, 2011, erlebten die Londoner sowie die Einwohner anderer britischer Städte eine andere Art von Krawallen einschließlich Plünderungen, Brandstiftungen und dabei ums Leben gekommene Menschen. Im Stadtteil Tottenham war ein Schwarzer von Polizei erschossen worden. Die Tat löste viertägige erbitterte Auseinandersetzungen aus, die von tausenden Polizisten beendet und anschließend durch Schnellgerichte und eine rigorose Rechtsprechung abgeschlossen wurden.
Folgt Mensch einem Bericht der NZZ, dann ergab ein Parlamentsbericht drei Monate später, dass es 4000 Festnahmen gegeben hat, 2000 Gerichtsurteile und dass 864 Straftäter einsaßen.
Der Konflikt um den Toten hatte sich wie ein Flächenbrand ausgebreitet; ein Flächenbrand, der seine Nahrung aus den miesen sozialen Verhältnissen bezog: Hier die Näherin aus Pakistan oder Jamaica, die irgendwo in London unter erbärmlichen Bedingungen in Heimarbeit für einige Pfund je Teil und ohne Tarif Kleider nähte. Da der Export der Waren auf den Kontinent, wo sie um das Vierfache verkauft wurden. Schließlich die Textilunternehmer, die Aufkäufer und Händler, die sich für viele tausend Pfund in sanierte ehemalige Arbeiterstadtteile wie Islington oder Tottenham einkauften. Ich weiß, dass dies ein wenig holzschnittartig geschrieben ist, aber im Kern stimmt’s.
Andere Krawalle entzündeten sich an internationalen Ereignissen. Bereits 1988 in Toronto und 1992 in Seattle hatte es wüste Krawalle gegen internationale Konferenzen wie die Welthandelskonferenz gegeben. Das 27. Treffen der acht führenden Wirtschaftsnationen im Juli 2001 in Genua (Bush, Blair, Schröder, Putin und andere) geriet zu einem Desaster. Die italienische Polizei erschoss einen Demonstranten, Demonstranten versuchten Polizisten zu töten. Gefolterte Demonstrierende, verurteilte Polizisten.
Diese Konferenzen sind geschossen wie die Pappeln. Ursprünglich angesetzt, um ein verträgliches Wirtschaften der wachstumsstärksten Industrieländer möglich zu machen, sind die Tagesordnungen immer umfangreicher und damit auch schwieriger geworden. Es hat mich stets verwundert, warum erwachsene Menschen, Berichterstatter, Kommentatoren ernsthaft die Frage stellten, ob solche Konferenzen sinnvoll seien. Ein leichtes Anstoßen der grauen Zellen kann ja helfen, zu verstehen, was geschieht und auf welchen Bedingungen das aufbaut, was geschieht. Staatsmänner und Staatsfrauen sind heute mehr denn je auf die Zuarbeit vieler Leute angewiesen, um entscheiden zu können. Entscheiden können sie aber nur dann, wenn sie ihre unmittelbaren Partner oder Kontrahenten kennen, kennen lernten, wenn sie wissen, ob sich ein Stück Vertrauen aufbauen lässt, ob der Kontrahent ehe impulsiv oder rational argumentiert und so weiter; ob als wahr Erkanntes vom anderen so geteilt wird, ob die Sicht des anderen zynisch ist, ob er/sie lügt oder nicht. Staaten können sich heute eben nicht mehr begegnen wie weilend die Dorfjugend am 1. Mai: Musik und glänzende Augen und die erste warme Vorsommernacht und dann durch dieselbe.
Anlässlich solcher Konferenzen schleppen die Staatsfrauen und -männer den gesamten Polit- und Beratungstross mit sich, die versammelte Medienpräsenz und anderes mehr. Ob’s gefällt oder nicht, spielt da keine Rolle. Es ist so. Das hat auch nur bedingt etwas mit Stadt oder Land zu tun.
2008 hatte die Bundesregierung zu einem G 8 Treffen nach Heiligendamm auf Rügen eingeladen; also nicht in die Großstadt sondern in die Provinz, aufs Land. Das ließ sich nach einem Bericht der SZ so an: „Kurz vor Heiligendamm, auf der Landstraße von Kröpelin nach Kühlungsborn. An jeder Straßenkreuzung Polizei. Immer wieder rechts ran, weil gerade eine Kolonne Mannschaftswagen mit eingeschaltetem Blaulicht überholt oder entgegenkommt. Und dann auch noch eine Motorradstaffel der Feldjäger. Die Bundeswehr im Einsatz. Das dünnbesiedelte Fleckchen Erde wirkt, als sei der nationale Notstand ausgebrochen.“
Krawall und Gewalt gab es dennoch. Und zwar in Rostock. Der sogenannte „Schwarze Block“ und dessen Spießgesellen verlegten den Krawall von Heiligendamm, wo nichts zu gewinnen war, nach Rostock. Spiegel Online: „Diese Eruption hat alle überrascht: Aus einer friedlichen Demo heraus starteten äußerst brutal vorgehende Autonome eine Orgie der Gewalt, die über Stunden die Ostseestadt lahmlegte. Zurück blieben verwüstete Straßen, zerstörte Autos und viele Verletzte – darunter mehr als 430 Polizisten.“
Kritiker solcher Konferenzen reisen aus allen möglichen Ländern an – zwischen, hinter, neben ihnen Hunderte potenzielle Gewalttäter und – innen, die den angereisten Staatsgästen und dem gastgebenden Staat die, wie es heißt, Masken von den Gesichtern reißen wollen. Sie reisen solchen Ereignissen nach wie Nomaden, die neuen Weidegründen hinterher ziehen.
Gegen Krawalle manchen Typs „sind Kräuter gewachsen“. Jugendproteste werden auch ausgelöst, weil es kaum Beteiligungsformen und zu wenig gelebte Demokratie gibt. Wo die repräsentative Demokratie es lernt, sich Entscheidungen mit den Bürgern ohne Mandat zu teilen, kann Gutes entstehen. Neues entsteht im Guten wie im Schlechten im Kleinen.
Wie man es nicht machen sollte, erleben zurzeit die Bonner. Der frühere Oberbürgermeister der Stadt Jürgen Nimptsch hatte 2014 ein beachtenswert weitreichendes Konzept zur Bürgerbeteiligung durchgesetzt. Anlässlich der ersten Nagelprobe auf das Konzept lehnen der amtierende OB von der CDU, ein großer Teil der gewählten Bürger der Stadt und in der Folge auch die Verwaltung der Stadt es ab, kompliziertere Probleme auf dem Weg der Bürgerbeteiligung anzugehen. Plötzlich ist zu teuer und zu personalintensiv, was vor wenigen Jahren als Konzept noch beklatscht wurde. Gleichzeitig wird einem Stadtwerke-Manager der Abschied aus dem Job mit einer Viertelmillion Euro versüßt. Vertrauen bilden zwischen Mandat und Amt auf der einen und einer Stadtgesellschaft auf der anderen Seite, das geht anders.
Wer sich anhört, was Krawallmacher und Gewalttäter von sich geben, stellt mit Verwunderung fest: Das passt, aufgeschrieben und gerollt in einen Glückskeks. Das kann nicht links sein.
Auch gegen Krawalle wie die in London und in anderen Städten „sind Kräuter gewachsen“: Eine bessere Wohnungsbaupolitik, gute Bildungs- und Ausbildungschancen, Arbeitsmarkt- und Gesundheitspolitiken, die erkennbar helfen. Perspektiven in Leben und Beruf, Sicherheit auf den Straßen. Das ist schwierig aber durchaus möglich. Es gelingt in den Staaten, die verändern wollen und die Reform als Regierungsauftrag verstehen.
Und was hilft gegen die G7- und G 20-, die WTO- Krawalle? Dazu müssten wir uns auf eine schlüssige Analyse verständigen. Sind diese Leute Linke, wie manche behaupten?
Solche Krawalle sollen sich, so sagen Wortführer, gegen die kapitalistische Aneignung insgesamt richten, gegen die immer intensivere weltweite Ausbreitung derselben und gegen die Regierungen, Staatsapparate sowie deren Zusammenschlüsse, weil die als willige Agenten des Kapitalismus gesehen werden. Es herrscht eine durchdeklinierte, verhältnismäßig einfache Böse-Gut-Ordnung. Die ist in sich geschlossen, verriegelt und somit unzugänglich für reformorientierte Ansätze beziehungsweise für eine reformistische Politik. Wer sich anhört, was Krawallmacher und Gewalttäter von sich geben, stellt mit Verwunderung fest: Das passt, aufgeschrieben und gerollt in einen Glückskeks. Das kann nicht links sein.
Wenn das keine Linke sind, wer und was sind sie denn?
2005 kam der Film „V for Vendetta“ von James McTeigue und in den Hauptrollen neben anderen mit Natalie Portman und John Hurt besetzt in die Kinos. Ein moderner Guy Fawkes auf dem Rachefeldzug gegen eine futuristisch aufgezogene, im Kern barbarische, totalitäre Regierung. Rache: Wie du mir, so ich dir. Ein Filmrequisit sprang aus den Kinos auf Abertausende über: Die von Hugo Weaving getragene Guy Fawkes-Maske, ein künstliches, grinsendes Gesicht mit Ziegen- und Schnurbart, langer gebogener Nase und mandelförmigen, schwarzen, leeren Augen: Der lächelnde Schrecken. Die Maske wurde für viele zum Symbol des Widerstandes gegen Bankenmacht, Globalisierung, brutale Herrschaft.
Der „lächelnde Schrecken“ baut im Film für eine junge Anhängerin einen Folterkeller auf. Sie glaubt, sie werde von der barbarischen Regierung gefoltert, um Verrat zu üben. Als diese junge Frau am Ende angelangt ist, nicht mehr kann, kommt aber der Maskenträger aus der von ihm geschaffenen Folterkulisse hervor, erklärt der Frau, dass die Folter notwendig gewesen sei, um sie auf die kommenden Ereignisse vorzubereiten.
In diesem Film steckt eine extrem reaktionäre, eine a-soziale Botschaft: Du musst dich verwandeln, deinen Charakter ablegen und einen neuen Charakter annehmen, alles hinter dir lassen, was dich mit früher verbindet, damit du bereit bist, zu zerstören.
Der Film führt in extenso vor, was vielleicht, vielleicht in der Realität stockend und abgeschwächt geschieht, in milder Weise, was verkürzt abläuft; was unter den Bedingungen einer kontrollierenden Gruppe geschieht während gleichzeitig harte „Kommissar-Typen“ faszinieren. Scheinbar plausible Parolen blenden in solchen Situationen. Die Ästhetik der schwarzen Klamotten und wechselseitiges Antreiben tun ein Übriges. So könnte geschehen, dass sich der nette Abiturient und die etwas aufsässige Tochter in Steinewerfer und Stahlkugeln verschießende Zwillen-Schützen verwandeln.
Es ist nicht der Kapitalismus, der in Deutschland zur Zwille, zum Stein oder zum Molotowcocktail greifen lässt. Es ist die schwarze Ausstattung unter vermummten Gesichtern in einem Marschblock, die wie ein Sirenen-Gesang wirkt und Gewalt verströmt. Das ist eine reaktionäre Antwort auf reale Freiheitsangebote in unserer Gesellschaft.
Nichts zwingt junge Leute, Steine in die Hand zu nehmen, mit den Zwillen Stahlkugeln auf Menschen zu verschießen oder zu plündern. Vor jeder Tat steht die Entscheidung: Soll ich oder soll ich nicht.
Die Praxis der schwarz Gekleideten und der Vermummten in ihren Marschblöcken ist daher ebenso reaktionär wie die „V for Vendetta“-Ideologie es im Kern ist: Man zerstört Eigentum anderer – man nennt das scheinbar neutral „Sachen“, weil der Staat, den man treffen und zerstören will, nicht zu treffen ist. Manche sind dann bereit und gewillt, durch Stahlgeschosse, durch Benzin-gefüllte und angezündete Flaschen oder schwere Betonbrocken andere zu verletzen oder gar zu töten. Nichts legitimiert zu solchen Taten.
Diese Leute schieben den im Rechtsstaat geltenden Gesetzesrahmen einfach beiseite. Der soll wertlos sein. Was Generationen an Rechten erstritten und durchgesetzt haben – wertlos. Auch das ist reaktionär, es ist fern jeder fortschrittlichen, reformorientierten Politik. Wer glaubt, die Schwarzen Blöcke mit Gewalttätern in ihren Reihen hätten etwas mit linken Traditionen und mit linker Politik zu tun, der glaubt auch daran, dass in jedem Fürst Pückler-Eis aus der Kühltruhe des Kinocenters der Geist des Hermann von Pückler-Muskau wohnt.
Daher stört mich – nebenbei geschrieben – die Äquidistanz, die in vielen Berichten über Hamburg erkennbar wird: Ich habe den Eindruck, manche Medienleute halten den Schwarzen Block irgendwie für faszinierend und anregend. Diesem Faszinosum steht die Polizei gegenüber, die sich geschützt hat und nun ebenfalls in martialischen Aufzügen daher kommt. Kann es sein, dass manche, die berichten sollen, sich sagen: Mein Gott, was machen die Bullen denn schon wieder hier? Was soll das? Und jetzt rücken die auch noch vor! Das ist doch eine Provokation!
Manche Repräsentanten der Partei Die Linke sind wahre Hüter dieser Äquidistanz, die es in Wirklichkeit nicht gibt. Polizei hat die Aufgabe, mich, meine Familie etc. zu schützen. Der Schwarze Block hat diese Aufgabe nicht.
Was tun? Bei Licht besehen eignet sich der Hamburger G 20 – Gipfel nicht zum Wahlkampfthema. Er war Gemeinschaftswerk. Und man steht eine solche Sache dann auch gemeinsam durch.
Die gewaltbereiten Zugvögel Europas müssen kontrolliert und gegebenenfalls von solchen Konferenzen ferngehalten werden.
Auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland müssen die Rückzugsräume der gewaltbereiten Krawaller wenigstens kontrolliert werden.
Wir brauchen drittens im Land eine breite Debatte über den Reformismus und dessen Möglichkeiten im Zeitalter des globalen Kapitalismus. Wir brauchen mehr politische Bildung.
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