#Barack Obama

Frischzellenkur für die Demokratie

von , 21.4.09


Die Bürger steigen Schritt für Schritt aus der Demokratie aus, aber kaum ein Politiker interessiert sich ernsthaft dafür. Hauptsache, die Zahl der Mandate wird nicht gekürzt. Dabei wäre die Kürzung der Parlamentssitze entsprechend der Wahlbeteiligung das einzige Mittel, um die Parteien aufzuwecken.

Die Parteien aber blenden die Legitimationskrise der Demokratie einfach aus, um nicht ernsthaft über die Konsequenzen nachdenken zu müssen. Denn dagegen vorzugehen, hieße, sich selbst infrage zu stellen. Denn dann kämen die Parteien schnell zu dem Schluss, dass der Mangel an realer innerparteilicher Demokratie eine der zentralen Ursachen für den Mangel an Beteiligung an der Demokratie ist.

Parallel zur Wahlbeteiligung sinkt das Ansehen des demokratischen Systems insgesamt: nur noch 49 Prozent der Deutschen sind mit der parlamentarischen Demokratie zufrieden. Das ergab eine Infratest-Umfrage schon im September 2006. Das heißt, man muss bei der sinkenden Wahlbeteiligung anfangen, wenn man die Akzeptanz des parlamentarischen Systems insgesamt erhöhen will. Dafür gibt es kein Patentrezept, aber ein paar Ansätze schon. Deutschland braucht eine Revitalisierung der Demokratie, eine massive Frischzellenkur.

Nun kann man vom derzeitigen politischen Spitzenpersonal in Deutschland nicht erwarten, dass es wie Barack Obama ein neues Feuer der Leidenschaft für Demokratie entzündet, aber es könnte sich wenigstens bemühen, die Demokratie attraktiver für die Bürger zu machen. Dazu gehören:

1. eine stringente, berechenbare Politik der Parteien, die – zumindest in prinzipiellen Fragen – nach Wahlen das tut, was sie vor den Wahlen versprochen hat;

2. Führung. Spitzenpolitiker müssen das Risiko von Führung auf sich nehmen, vorangehen, statt vermeintlichen Trends hinterherzulaufen;

3. klare Profile der Parteien – auch in der großen Koalition, auch gegenüber der eigenen Regierung. Die Unterschiede müssen wieder für jeden Wähler erkennbar werden;

4. eine überzeugende Kommunikation mit dem Bürger in einfacher,verständlicher Sprache, die Politik nicht hinter einer Nebelwand von Beamtenformeln und Politphrasen verbirgt.

5. neue Formen innerparteilicher Demokratie, mit denen die Parteien die Intransparenz der Hinterzimmer verlassen;

6. die Nutzung des Internets für neue Angebote politischer Partizipation.

Der Mangel an stringenter Politik hängt auch mit der Entwicklung des politischen Personals zusammen, das häufig keine beruflichen Alternativen hat, das in der jahrelangen Ochsentour glattgeschmirgelt wurde, dem persönlicher Machterhalt vor Problemlösung geht, das auf Umfragen schielt, statt eigene Überzeugungen zu wagen. Nur kein Risiko eingehen, im Kurs geschmeidig bleiben, es könnte sonst existenzgefährdend sein. Häufig ist das Lebensziel dieses Politikertyps das Amt des Parlamentarischen Staatsekretärs – eine Funktion ohne administrative Verantwortung, aber mit hohem Einkommen. Es wäre ein erster kleiner Reformschritt, die Parlamentarischen Staatssekretäre abzuschaffen.

Das Kartell der risikoscheuen Berufspolitiker kann nur durch neue Formen der innerparteilichen Demokratie aufgebrochen werden. Junge Talente in den Parteien müssen die Chance zur Karriere durch Widerspruch statt durch Anpassung erhalten. Und zu schnelleren Karrieren, an den etablierten Politikern vorbei. Es darf doch nicht sein, dass Talente wie Karl-Theodor zu Guttenberg und Thorsten Schäfer-Gümbel nur im Katastrophenfall nach oben kommt. Und die Parteien brauchen Seiteneinsteiger, Menschen, die in anderen Berufen schon etwas geleistet haben.

Dies geht nur durch neue Formen der Kandidatenaufstellung. Die Kandidatenaufstellungen müssen raus aus den Hinterzimmern, die lokalen Delegiertenversammlungen müssen durch direkte Formen der Demokratie entmachtet werden. Kandidaten in den Wahlkreisen sollten grundsätzlich in Urwahl bestimmt werden. Sie führen zuvor einen innerparteilichen Wahlkampf – in Versammlungen, in den Medien und auf der Homepage der Partei. Noch besser wäre es, die gesetzlichen Regelungen so zu verändern, dass Vorwahlen wie in den USA möglich werden. Wähler einer Partei könnten sich registrieren lassen und dann über den Kandidaten abstimmen. Auch die Vorsitzenden sollten auf allen Ebenen in Urwahl gewählt werden.

Und bei der Aufstellung der Landeslisten sollte jeder Parteitags-Delegierte fünf Stimmen haben, um die vom Vorstand vorgelegte Liste verändern zu können, indem er Stimmen häufelt und so Kandidaten nach vorne wählt. Voraussetzung dafür ist, dass die Liste mindestens vier Wochen lang im Internet steht und dort offen diskutiert werden kann.

Die Parteien sehen bisher, bis auf wenige Ausnahmen, das Internet nur als Verlängerung ihrer Propagandaschiene über Plakat, Anzeige, Medienauftritte hinaus, also als rein technisches Mittel, Wähler zu erreichen. Das Internet kann aber politisch nur funktionieren, wenn es als Partizipationsmedium verstanden wird. Dazu gehört, Entwürfe für Wahlprogramme vor der Verabschiedung der offenen Diskussion auszusetzen – genauso wie Gesetzesentwürfe. Der entscheidende Schritt, das Funktionärskartell aufzubrechen, wäre die Einführung von Internet-Mitgliedschaften. So haben die französischen Sozialisten ihre Mitgliederzahl verdoppelt. Die Internet-Mitglieder haben in Frankreich dieselben Rechte wie alle anderen Mitglieder, stimmen mit ab über Kandidaten und Programme.

Dieser Schritt würde allerdings – wie in Frankreich geschehen – die Macht der Parteieliten brechen, die Parteipolitik im positiven Sinn unberechenbarer machen. Deshalb ist auch mit massivem Widerstand der Partei-Eliten gegen solche Internet-Mitgliedschaften zu rechnen, obwohl sie ein Weg wären, junge Leute an die Parteien heranzuführen.

Michael Spreng bloggt auf Sprengsatz, wo auch dieser Beitrag erschienen ist.

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