#Antragswesen

Freie Szene Berlin: Eine Gemeinschaft ohne Wir

von and , 10.11.13

Viele Veranstaltungen, Diskussionen, Zeitungsberichte, Treffen mit PolitikerInnen, und auf einmal spricht es sich herum: In Berlin gibt es eine Freie Szene. Und die braucht Geld. So geht die Kurzversion.
 

Kneipe, Foto: Mario Sixtus, CC BY-NC-SA

 
»Was ist die Freie Szene?« mag niemand fragen und niemand beantworten. Und wird doch gefragt, dann meist abwertend und abwehrend; und wird doch geantwortet, dann meist genervt, verlegen, ausweichend. Der Begriff sei eben ein unglücklicher. Deswegen spart man sich das »Was?« und fängt lieber beim Stellenwert der Freien Szene an, beim ökonomischen natürlich, denn irgendein Argument dieser Sorte braucht es, wenn es um Geld geht. Und so wird die Freie Szene zu einem »Standortfaktor«, zur »Tourismusattraktion«, ein paar ihrer VertreterInnen zu »Kulturbotschaftern Berlins« in der großen, weiten Welt.

Oder man bastelt sich ein hübsches Bild zurecht: Dauerparty in der Sandkiste des exportfähigen Künstlernachwuchses, in der fröhlich gefeiert und experimentiert wird, solange man eben jung ist, und aus dem dann schon »die Besten« hervorgehen werden, um was Richtiges, also »eigentliche« Kunst in »eigentlichen« Häusern zu machen. Die Freie Szene als selbstorganisiertes Talentescouting und vermarktbares Übergangsstadium, das perfekte Aushängeschild für eine junge, bewegte Hauptstadt, und ein superbilliges noch dazu.

Und das ist bereits die wohlwollende Stellenwertanalyse. Die weniger wohlwollende verdächtigt alles, was frei ist, in Wahrheit ohnehin nichts zu sein, also nicht mal potenzielle Kunst, sondern einfach gar keine. Das Unglück der Freien Szene liegt im »Frei«, das nichts sagt und nichts meint.

Es scheint erst mal für nichts anderes zu stehen als für ein loses Beschäftigungsverhältnis; »Frei« als eine arbeitsrechtliche Bestimmung, und zwar in Abgrenzung gegenüber »ordentlichen« und »eigentlichen« Beschäftigungen, und damit Wiederholung und Bestätigung des Vorurteils, wer frei arbeite, arbeite gar nicht oder (noch) nicht richtig.

 

Ist KünstlerIn ein Beruf?

Alles dreht sich um so ein wirtschaftliches »Frei«, und es scheint, als ob es sogar in der Szene selbst peinlich wäre, nach anderen möglichen Bedeutungen zu fragen, sich andere auszudenken, auf andere zu bestehen und für diese zu kämpfen.

Was ist »Freie Szene«? ist aber im Grunde eine mögliche Variante, die Frage danach zu stellen, was Kunst eigentlich ist. Und zwar in allen Facetten: Wer »darf« Kunst machen, wie »darf« er/sie Kunst machen, wo kann Kunst stattfinden, von wem und für wen, mit wem, auf welche Weise, in welchen Formen, mit welchen Inhalten, an welchen Orten, mit welchen Produktionsmitteln und -prozessen? Und auch: Ist KünstlerIn ein Beruf? Ist Kunst Arbeit, und wenn ja, welche?

Die Frage nach der Kunst zu stellen, ist das Potenzial der Freien Szene. Unter welchen Bedingungen es sich entfalten kann und unter welchen eben nicht, ist die Diskussion, die wir entschiedener als bisher führen wollen. Denn irgendetwas verhindert derzeit eine produktive Entwicklung der Freien Künste. Und das liegt nicht nur an der krassen Unterfinanzierung der öffentlichen Fördertöpfe, von denen alle freien Kunstschaffenden abhängig sind.

Wenn wir die öffentliche Förderpolitik mit ihren Ausschreibungen, Jurys, Fristen etc. jetzt gleich als »Antragswesen« ansprechen, dann machen wir das, um die Perspektive vom Wieviel auf das Wie zu verschieben.

 

Antragswesen

In weiten Teilen der Kunst findet heute Fließbandarbeit statt. Das klingt absurd, weil ja davon auszugehen ist, dass gerade die Kunst den kreativen Funken braucht und das Feuer, das über lange Zeit für die jeweilige Sache brennen muss. Und dieser Funke springt eben über oder springt nicht über, jedenfalls braucht er Spielraum. Statt Spiel- und Freiraum gibt es aber Antragszwänge, die bei allem Innovationsgerede zu Wiederholungen und Bestätigungen führen und dazu, inhaltlich und thematisch auf das zu setzen, was scheinbar gerade angesagt ist (der 100. Todestag von …).
 

Ausstellung, Foto: Mario Sixtus, CC BY-NC-SA

 
Auch bestimmte Formate werden gern bedient, wenn sie denn das Zeitgemäße der eigenen Kunst unterstreichen und damit scheinbar legitimieren (die interdisziplinäre multimediale performative Installation z.B.). Und es ist auch kein Geheimnis, dass zu bestimmten Zeiten bestimmte Begrifflichkeiten entscheidend für eine Förderungswürdigkeit sein können, und deshalb tauchen diese gezielt, aber eben auch pro forma in den Antragstexten auf (Interkulturalität, Nachhaltigkeit, Transdisziplinarität, etc.).

Was sich hinter diesen Schlagworten in der realen Umsetzung verbirgt, welche Konsequenzen und ernsthaften Herausforderungen sie mit sich bringen, dazu fehlt die Auseinandersetzung: Sollen Kunst- oder Sozialprojekte gefördert werden? Sind KünstlerInnen Klimaschutz- und Integrationsbeauftragte? Das sind nur ein paar der Fragen, die deutlicher gestellt werden müssen.

 

Bekämpfen, beherrschen und kontrollieren

Die von den Freien Kunstschaffenden verfassten Anträge sind aber natürlich nur der Effekt der Ausschreibungen. Diese geben die Richtung des Diskurses und der Praxis vor, sie selektieren nicht nur »passende« Konzepte und Projekte, sondern sind Herrschafts- und Kontrollinstrumente, die, statt Freiräume zu schaffen, Kunstproduktion determinieren.

Indem sie bestimmen, welche Themen relevant sind bzw. zu sein haben, indem sie entscheiden, welche Formate angesagt sind. Dabei berufen sie sich – nicht explizit, aber offensichtlich – auf Trends, die fortgesetzt und bestätigt werden sollen, und Themen, die im Feuilleton breitgetreten werden. So entsteht »Innovation« in und »gesellschaftliche Relevanz« von Kunst.

Das Antragswesen dient dem Zweck, alles Experimentelle, alles Prozesshafte, alles Undisziplinierte von vornherein zu bekämpfen, zu beherrschen, zu kontrollieren. Man macht nicht der Kunst einen Antrag, sondern dem Betrieb. Irgendwann erkennt man den Unterschied zwischen den beiden Anträgen auch nicht mehr (an). Man verwechselt den Betrieb mit der Kunst und kann nicht mehr unterscheiden zwischen dem, was man machen will, und dem, was man verkaufen muss; zwischen den Sprachen, die man suchen möchte, und der, die man beherrschen und befolgen muss, um etwas und sich durchzubringen.

Das Antragswesen wirkt nicht nur in den abgelehnten Anträgen, sondern schon in den zu schreibenden und auch in vielen der durchgebrachten als ein monströser Erstickungsapparat.

Und so läuft alles im Bestätigungsleerlauf. Es wird dauernd reproduziert, und alle machen und kriegen, was sie sowieso erwarten, weil sie es nun mal bestellt haben. Das ist aber nicht »nur« für diejenigen ein Problem, die sich als KünstlerInnen verstehen, sondern auch für diejenigen, die als ZuschauerInnen, BesucherInnen wahr- und ernstgenommen werden möchten. Denn während die einen als reine ProduzentInnen von Kunst als Imagefaktor eingesetzt werden – im Dienst der Kulturnation, im Dienst der hippen Hauptstadt – werden die RezipientInnen zur reinen Quote, zur quantifizierbaren, statistisch erfassbaren Menge, zur Auslastung.

 

Von Projekt zu Projekt

Die vom Antragswesen in Gang gesetzte und gehaltene Fließbandarbeit ist dabei gleichzeitig zu schnell und zu langsam. Sie ist zu schnell, weil sie keine Leerläufe kennt. Sie verhindert die Unterbrechung, die Abweichung vom reinen Funktionieren, die Auszeit.

Sie ist aber auch zu langsam. Das Antragswesen erzeugt zwar Produktionsdruck, taktet ihn aber fristgerecht so, dass es keine Schnellschüsse geben kann. So findet künstlerisch-praktischer und/oder diskursiver Dialog nicht statt und wird strukturell zumindest be-, wenn nicht verhindert. Es können und sollen sich gar keine Konfrontationen ergeben.

Weder können sich künstlerische Arbeiten aufeinander beziehen, noch kann sich ein wirklich interessanter Diskurs entwickeln, weil die Abstände zwischen Antrag und Realisierung zu groß und die Vorausplanungen zu lang sind. Während man also von Projekt zu Projekt hechelt, bleibt keine Zeit für kontinuierliche Entwicklung. und gleichzeitig lässt sich nichts Spontanes, gerade jetzt Wichtiges realisieren.
 

Wäscheleine, Foto: Mario Sixtus, CC BY-NC-SA

 
Der/die »Freie moderne KünstlerIn« arbeitet also unter permanentem Druck, ganz egal, ob und wo er/sie in der Gunst der Förderstellen steht. Entweder schießt man raus, weil man muss und greift dabei – pragmatischerweise – auf das zurück, was man sich als wiedererkennbare »Methode« (Alleinstellungsmerkmal!) erworben hat. Oder man versucht das, was man selber noch gar nicht kennt, da es sich nur durch Tun herausfinden lässt, so darzustellen, als wäre es bereits eine »Form«, ein »Format«. Jedenfalls ein Resultat.

Eine »produktive Entwicklung« muss und sollte aber nicht zwangsläufig eine »Produktentwicklung«, also ein resultatorientiertes Entwickeln sein. Sondern ein Nichtfertigwerden, ein Immerneubefragen, Proben, Probieren, Weiterprobieren, Infragestellen, Verändern, andere Perspektiven einnehmen, Betrachten, nicht fertig werden, nie fertig werden.

 

Unbedingtheit

Es geht also nicht nur um Geld, sondern um viel mehr: Es geht darum, das »Frei« in Freier Szene als Unbedingtheit zu erfinden, zu behaupten und zu erkämpfen, als Spielraum für den existenziellen Wunsch nach Ausprobieren, Versuchen und Andersmachen, als immer wieder neues Öffnen von Freiräumen, als immer wieder andere Art des (Zusammen-)Arbeitens, des Zuschauens, Teilnehmens und Mitmachens, als Spielen und Suchen.

Diese Unbedingtheit ist eine andere Art des Produzierens und des Rezipierens, und zwar immer wieder »anders« und daher frei – nicht feststellbar.

Es gibt keine Feststellung, welche »Kunst« die Freie Szene (aus)macht, es kann keine geben, weil das Unbedingte, das Freie ein Offenes meint, ein Offenlassen und Offenhalten. Dieses Freie als Offenes ist kein bloßes Übergangsstadium, zumindest nicht in dem Sinn, wie die Freie Szene als Nachwuchstummelplatz verstanden wird.

Es ist eine Haltung, und keine bequeme. »Frei« zu arbeiten heißt, anders zu arbeiten und damit auch die Frage zu stellen, was Arbeiten, Produzieren, Schaffen heißen kann.

Weil es gerade darum geht, Anderes zu machen und anders zu machen, kann man diejenigen, die sich zur Freien Szene zählen, die sie (aus)machen, nicht zu einer homogenen Gruppe erklären. »Wir« können und wollen es selbst nicht.

So, wie die Arbeiten, die wir machen, sich dagegen sperren, eingeordnet und diszipliniert zu werden, genau so ist es unmöglich, die Freie Szene zu einem kompakten »Wir« zu formieren. Auch wenn es für alle Seiten praktischer wäre, aber das ist das Spannende an »uns«: Dass »wir« uns und anderen die Frage nach dem »Wir« stellen können, nicht nur »untereinander«, sondern auch in den unterschiedlichen Formen, wie wir mit und für andere produzieren wollen.

Wir sind ein unordentliches Wir. Die Freie Szene ist eine vielfältige Substanz. Und das ist bestimmt kein unglücklicher Begriff. Wir können uns trauen, »Freie Szene« nicht länger und ausschließlich als Inbegriff derer zu sehen, die kein Geld haben und welches brauchen und für die man standortrelevante Argumente bemühen muss. Es geht um etwas ganz anderes: Freien Existenzen eine Szene schaffen.

 
Sandra_ManDer Beitrag entstand als Dialog zwischen Tanja Krone und Sandra Man. Mehr zum Thema gibt es auf der Site zum BQV-Projekt. Crosspost von der Berliner Gazette. Die Fotos stammen von Mario Sixtus und stehen unter einer Creative Commons Lizenz.

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