#Außenpolitik

Finnland und die Ukraine

von , 22.2.14

So macht Moskau den Westen mit seiner Unterstützung der Opposition für die Zuspitzung verantwortlich, wie auch im Westen viele Beobachter Putin. Janukowitsch gilt als der Handlanger Putins, wie Klitschko als der des Westens. Daraus sind früher Kriegsgründe geworden.

Tatsächlich ist die Ukraine ein aus zwei Gründen tief gespaltenes Land. Zum einen die unklare geopolitische Lage zwischen einer Orientierung nach Westen und der nach Moskau. Hier findet sich jener uralte Konflikt zwischen Slawophilen und Westlern wieder, der den europäischen Osten seit dem 19. Jahrhundert prägte.

Zum anderen der Widerwille gegen ein politisches System, das im Wesentlichen auf Korruption beruht. Das Misstrauen gegen die Parteien betrifft auch die Oppositionsparteien. In solchen Konstellationen ist der Einfluß von außen begrenzt, vor allem, wenn völlig unklar ist, mit wem man es eigentlich zu tun hat. Jetzt von der Bundesregierung, der EU oder dem Rat der Yedi die Lösung dieses Konflikts zu verlangen, ist eine an Torheit kaum zu überbietende Forderung. Sie setzte voraus, was offenkundig Unsinn ist: Die Existenz von Handlangern.

Allerdings kann man von der Bundesregierung und der EU eines schon erwarten: sich wenigstens über die Grundlagen der eigenen Außenpolitik klar zu werden.

Eric Bonse hat dazu schon einiges gesagt. Die EU berauscht sich gerne an ihrer sogenannten “wertegebundenen Außenpolitik”: Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit bestimmten die Maxime ihres Handelns. Sie hat allerdings noch nie eine Antwort auf jene Lage gefunden, die wir jetzt wieder in der Ukraine erleben: wenn innerhalb des Landes höchst unterschiedliche Vorstellungen über diesen Wertekanon existieren.

Der Appell an die Kompromissbereitschaft der Akteure oder die Forderung nach Gewaltlosigkeit gehört zum Standardprogramm diplomatischer Initiativen. Die entsprechenden Textbausteine kann man aktuell auch für die Lage in Thailand oder Venezuela verwenden. Anstatt sich aber an der eigenen Phraseologie zu berauschen, sollte die EU endlich beginnen, ihre eigenen Interessen in der Ukraine zu definieren.

Dabei verwickelt sie sich bisher in heillose Widersprüche. So unterstützt sie zwar die Westorientierung der Opposition, aber die soll möglichst nichts kosten. Angesichts der eigenen Überdehnung wäre die Ukraine ein zusätzlicher Ballast, der die EU zum Kentern bringen könnte. Eine Ausweitung der eigenen Einflußsphäre nach Osten liegt daher kaum im politischen und ökonomischen Interesse der EU. Insofern ist das Argument, die EU habe keine geopolitische Rivalität mit Russland, gut begründet.

Tatsächlich fehlt ihr dafür die Substanz. Nur will sie gleichzeitig die Ukraine als Teil einer russischen Einflußsphäre verhindern. Sie will diesen Staat damit in jenem Zustand belassen, der seine Existenz seit seiner Gründung prägt und erst die Eskalation verursachte: Als ein Vakuum zwischen Ost und West. Dass Russland seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion seine eigene Rolle als klassische europäische Flügelmacht wiederzufinden sucht, wird dabei mehr oder minder ignoriert. Russland wird als imperialistisch gescholten, während man sich selbst mit Hinweis auf den eigenen Wertekanon die antiimperialistische Absolution erteilt. Die EU gefällt sich in der Rolle der Unschuld vom Lande.

Dabei wird sich die von internen Problemen geplagte EU einen Großkonflikt mit Russland als klassischen Kampf um Einflußsphären nicht leisten können. Dafür muss man weder das Wertesystem Putins teilen, noch das seiner Verbündeten in Kiew – oder sich sogar reflexartig mit den Despoten in Kiew oder Moskau solidarisieren.

Es wird keine Lösung in Kiew geben, die die Interessen Russlands nicht anerkennt. Es sei denn, man ist bereit, die entsprechenden Konsequenzen hinzunehmen. Das wäre aber eine Form der Realpolitik, die sogar die Bismarcks in den Schatten stellte. Wobei Bismarck zwar nicht die Werte grüner Außenpolitiker (oder eines Elmar Brok) teilte, aber dafür genau wusste, was es heißt, eine Großmacht herauszufordern. Oder werden die Grünen bald im Bundestag Anträge zur Aufstellung neuer Panzerbrigaden stellen, um die Ukraine vor der russischen Autokratie zu retten?

Dieses Motiv überzeugte übrigens die SPD 1914, in den 1. Weltkrieg einzutreten. Vielleicht sollte man die entsprechenden Reichstagsprotokolle einmal im Bundestag verlesen lassen. Manche Abgeordnete wären sicherlich überrascht, was sie dabei zu hören bekämen: ihre eigenen Argumente.

Die EU kann kein Interesse an der Integration der Ukraine gegen den innenpolitischen Widerstand in Kiew oder den aus Moskau haben. Sie sollte daher darauf verzichten, diesen Eindruck zu erwecken. Sie muss vielmehr ein Interesse daran haben, dieses geopolitische Vakuum zwischen Ost und West namens Ukraine mit einem Inhalt zu füllen, der sowohl für den Westen als auch für Russland akzeptabel ist. Erst unter dieser Voraussetzung wäre überhaupt erst eine Einflussnahme auf die innenpolitischen Akteure in Kiew möglich: wenn nämlich alle Seiten erkennen müssen, dass ihre Träume vom Westen oder der Rückkehr in den Schoß Moskaus unerfüllbar sind.

Dafür gab es ein historisches Beispiel: Die Rolle Finnlands nach dem 2. Weltkrieg. Es war ökonomisch und außenpolitisch von Moskau abhängig geblieben, aber es konnte seine innenpolitische Verfassung selbst bestimmen. Mit der Herausbildung einer für alle Bürger legitimen Verfassung hätte die Ukraine in den kommenden Jahren genug zu tun. Was noch dafür spricht: Finnland schlug Russland in Sotschi im Viertelfinale des Eishockey-Turniers.

Crosspost von Wiesaussieht

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